Verfasst von Klaus Singer am 09.03.2008 um 12:36 Uhr
Kreditkrise - nächster Akt
Die Zahl der nicht mehr bedienten Hypothekenkredite in den USA erreicht ein Rekord-Hoch. Das verstärkt die Gefahr, dass die Kreditkrise, die einmal eine Immobilienkrise war, nach Abschreibungen und Wertverlusten mit zunehmender Dauer auch zu Pleiten von Unternehmen führt, die sich mit Hypothekenfinanzierungen und Derivaten auf solche Kredite zu weit aus dem Fenster gelegt haben.
Am Donnerstag war es so weit: Die Hypothekenfinanzierer Carlyle Capital und Thornburg Mortgage melden Zahlungsschwierigkeiten, bzw. Insolvenz. Die zur Carlyle Group gehörende Carlyle Capital hatte in der Vergangenheit von Fannie Mae und Freddy Mac US-Hypothekenschulden guter Qualität gekauft. Die Refinanzierung erfolgte durch Ausgabe von Verbriefungen (ABS usw.), denen diese Schulden als Sicherheit zugrunde liegen. Als zusätzliche Sicherheit muss der Kreditnehmer bei solchen Geschäften eine Bareinlage hinterlegen (margin call), die umso höher ist, je stärker die zugrundeliegenden "originalen" Hypothekenschulden im Wert fallen. Wenn der Schuldner, in diesem Fall Carlyle Capital, dem nicht (mehr) nachkommen kann, droht der Bankrott.
Dem Vernehmen nach erreichte der Kredithebel bei Carlyle den stolzen Wert von 30, dabei ist das Geschäftsmodell von Carlyle zwar einzigartig hinsichtlich des Risikos, aber nicht einzigartig im Sinne von "singulär". Es war eine zeitlang äußerst profitabel und so fand es breite Umsetzung. Vom Pleiterisiko sind zahlreiche Institutionen nicht nur in den USA betroffen.
Je länger der Handel mit den Hypothekenderivaten brach liegt, je stärker die Hauspreise abrutschen, je weiter die Kreditspreads werden, je wahrscheinlicher ist es, dass hier nun eine Bewegung anläuft, die die Behauptung stützt, dass es sich bei der gegenwärtigen Krise nicht um Liquidität geht, sondern um Solvenz. Dagegen aber sind monetäre Erleichterungen relativ wirkungslos. Sie mögen zwar den Schuldendienst erleichtern, aber wenn nicht der Schuldendienst, sondern die Schuldenmasse den Schuldner erdrückt, hilft das nicht viel. Das erklärt auch, warum nach den gewaltigen Liquiditätsinjektionen der Zentralbanken und massiven Zinssenkungen in den USA die Spreads zwischen den kurzfristigen Zinsen und den (langen) Kreditzinsen sogar größer werden. Die Hypothekenzinsen in den USA sind aktuell höher als im Oktober 2007.
Als unmittelbare Reaktion auf die Pleitemeldungen erhöhte die Fed am Freitag die für März geplanten Liquiditätsinjektionen drastisch. Das ist konsistent zu den bisherigen Maßnahmen und dürfte aber ebenso die diese am eigentlichen Problem, der Gefahr eines Insolvenz-Flächenbrandes, nicht viel ändern. Gleichzeitig signalisiert sie damit weitere deutliche Zinsschnitte.
Ganz anders die EZB: Sie ließ am Donnerstag die Leitzinsen unverändert und setzt gleichzeitig ihre Inflationserwartungen auf 2,6-3,2 Prozent hoch, für 2009 auf 2,1 Prozent. Trichet sagte, auch hierbei liege das Risiko noch an der Oberseite. Man werde alles tun, damit die Inflationserwartungen nicht noch weiter steigen, heißt es. Damit scheint die Tür für baldige Zinssenkungen jetzt fest geschlossen. Trichet sagte auch, es gebe keine Zeichen für eine Kreditklemme im Euro-Raum. Die Wachstumsperspektive bleibe "sehr positiv". Die EZB scheint mit der Euro-Stärke einverstanden, gibt das doch einen gewissen Inflationsschutz. Mir scheint, die EZB träumt den Traum der Abkopplung von den USA.
Auch wenn jetzt zunächst einmal Intermediäre mit dem beschriebenen Geschäftsmodell unmittelbar im Feuer stehen, sind auch normale Banken mit ihrem sorgsam gepflegten Image der Solidität keineswegs "aus dem Schneider" sind. Sie sind hoch gehebelte Institutionen, deren Kapitalreserven bereits durch eine vergleichsweise kleinen Wertverfall der von ihnen gehaltenen "Assets" aufgezehrt werden können.
Das Eigenkapital und gleichgestellte Reserven der bei der amerikanischen FDIC versicherten Institutionen haben per Dezember 2007 knapp 1 Billion Dollar erreicht. Das sind 7,7 Prozent der 13 Billionen Dollar an ausgewiesenen "Asset"-Werten. Davon entfallen rund 7,3 Billionen Dollar auf Engagements im Hypothekensektor.
Die Hauspreise sind in den USA mittlerweile um 10 Prozent gefallen. Das führt jedoch gegenwärtig nicht zu einem Wertverlust der entsprechenden Finanzengagements in gleicher Höhe, da beim normalen Hypothekengeschäft nicht zu 100 Prozent finanziert wird. Legen wir hier einen heute realistischen Wertverlust von einem Prozent zugrunde, werden 7,3 Prozent des Eigenkapitals der Banken ausgelöscht.
Geht der Verfall der Haupreise weiter, reduziert sich der Sicherheitsabstand zwischen Sicherheit und Kreditvolumen und schlägt mit weiter steigender Zahl der nicht mehr bedienten Hypothekenkredite schließlich voll durch. Hinzu kommt, dass vom oben genannten Gesamtbetrag an Hypothekenengagement etwa 1,3 Billionen auf handelbare Mortgage backed Securities (MBS) entfallen. Hier dürfte die Ausfallrate deutlich höher sein und schneller steigen. Dann könnten eines Tages auch 10 Prozent Wertverlust beim Hypothekenengagement der Banken realistisch werden. Damit würden dann knapp 73 Prozent des Grundkapitals ausradiert. (Die Zahlen können über den entsprechenden Link unter "Intermarket" auf der Web-Seite der TimePattern eingesehen werden.)
Mittlerweile spiegelt auch der amerikanische Arbeitsmarkt die Konjunkturschwäche deutlich wider. Die Zahl der Beschäftigten außerhalb der Landwirtschaft verringerte sich im Februar um 63.000 gegenüber dem Vormonat. Das ist der stärkste Rückgang seit März 2003. Volkswirte hatten ein Plus von 25.000 Beschäftigten erwartet, im Januar waren 22.000 Stellen abgebaut worden. Nach allgemeiner Lesart manifestiert sich ein Trend frühestens nach drei aufeinanderfolgenden gleichgerichteten Datenpunkten. Damit würde eine weiterer Arbeitsplatzabbau im März letzte Gewissheit geben, dass der Arbeitsmarkt kontrahiert. Der 12-Montas-Durchschnitt fällt jedoch bereits seit drei Monaten. Zudem werden monatlich mehr als 100.000 neue Stellen gebraucht, damit das Beschäftigungsniveau bezogen auf Struktur und Entwicklung der Bevölkerung konstant bleibt. Mit Ausnahme von Oktober 2007 liegt die Zahl der neugeschaffenen Arbeitsplätze den achten Monat in Folge unter dieser Marke. So gesehen, hat der Abwärtstrend längst eingesetzt.
Damit ist es auch von dieser Seite so gut wie sicher, dass die US-Wirtschaft bereits in einer Rezession ist. Das aber beschleunigt die Abwärtsspirale bei den Hauspreisen und verstärkt die zu Beginn des Artikels diskutierten Insolvenzgefahren im Bereich der Hypothekenfinanzierer und Banken: Der Vorhang zum nächsten Akt der Kreditkrise ist aufgezogen.
Interessant war die Reaktion des Dollar im Zuge der Veröffentlichung der Arbeitsmarktdaten: Man sollte meinen, dass der angesichts der miserablen Nachrichtenlage weiter in den Keller rutschte. Er markierte auch kurz ein neues Rekordtief bei 1,5450 gegen Euro, lege dann aber eine scharfe Wende hin und schloss bei 1,5350. Parallel dazu erholte sich das Währungspaar Dollar/Yen von 101,50 zunächst auf über 103 und beschloss den Handel am Freitag bei 102,70. Dies könnte signalisieren, dass die Akteure nun meinen, es sei jetzt mal genug mit den schlechten Nachrichten.
Das bedeutet noch nicht, dass bereits ein Boden im Aktiengeschäft erreicht ist. Aber nachdem die Auswertung des VIX die Akteure fast den gesamten Februar mit seinem alles andere als bullischen Kursverlauf in trügerischer Zufriedenheit gesehen hatte, kommen jetzt starke Zweifel auf. Es fehlt nicht mehr viel bis zum Angst-Niveau, wo üblicherweise Abwärtsswings auslaufen.
Aktuell ist der Dow ist an einem statischen Support angekommen, SPX und NDX finden Unterstützung an Abwärtslinien. Fraglich allerdings, ob diese Zonen so stabil sind, dass sie für mehr als eine begrenzte Gegenbewegung taugen. Als vorläufige übergeordnete Zielmarken bieten sich im Dow das Niveau bei gut 11600 an, im SPX wäre 1240 zu nennen, im NDX 1630 bis 1645.
© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de
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