Der lange Abhang der Hoffnung
Am vergangenen Freitag kam die Nachricht, dass die Royal Bank of Scotland gedenkt, weitere 10 Milliarden Dollar zusammen zu bringen. Das kam inmitten der Nachrichten, dass die City (Londons Wall Street Bezirk) "den schwärzesten Tag in fast 20 Jahren erlebte" und dabei 3.500 Stellen verliert, wie der Daily Telegraph schrieb.
Doch das zeigt nur, wie sonnig das Finanzwesen in den vergangenen beiden Jahrzehnten ausgesehen hat. Ein bisschen Regen würde ihm gut tun, ist meine Meinung. Derweil hat am anderen Ufer des Atlantik die Citigroup Sturmwarnungen ausgegeben und Merrill Lynch sagt, dass man erneut nachdenkt.
Citi sagt, man habe ungefähr 9.000 Angestellte zu viel. Sie sagen auch, dass eine Flut von Entlassungsschreiben kurz davor ist, verschickt zu werden. Und was Merrill Lynch anbelangt, so heißt es über das Unternehmen, dass man weiteres Kapital bräuchte. Aber das war noch ehe man eine weitere Abschreibung von 10 Milliarden Dollar in minderwertigen Krediten verkündet hatte. Heute sagt die Bank, sie sei "offen für" weitere Kapitalaufnahme.
Der Preis für Öl hat am Freitag mit 116 Dollar einen neuen Höchstwert erreicht. Der Dollar hat die 1,57 Dollar für einen Euro erreicht und Gold musste Schläge einstecken - und fiel auf 915 Dollar.
Wie ich schon in der vergangenen Woche feststellte, gibt es gerade eine ganz ordentliche Menge -flation. Ich gehe davon aus, dass es den Preis der Verbrauchsgüter und den Goldpreis inflationieren wird... und dass es (wenn auch nur relativ) die Preise für Aktien und Häuser deflationieren wird.
Aber mit den Marktbewegungen der vergangenen Woche könnte man das nicht beweisen. Am Freitag ist der Dow um weitere 228 Punkte gestiegen. Der Aktienmarkt soll "nach vorne blicken" und dort etwas erblicken, was die normalen Sterblichen nicht sehen können.
Der Index ist seit vergangenen Oktober um 10% gefallen, aber zuletzt schien er nach oben gehen zu wollen. Was sieht er?
Ich gehe davon aus, dass er Inflation vor sich sieht. Aber es ist verbreiteter zu denken, dass er einen Boom sieht. ‚Die Negativität ist gründlich überholt’, lautet die Zusammenfassung der verbreiteten Ansicht. Die Finanzen haben den Tiefstpunkt hinter sich gelassen... die Immobilien haben den Tiefstpunkt erreicht… der Dollar hat den Tiefstpunkt erreicht. Mehr noch, die Verantwortlichen sind schnell und resolut zur Tat geschritten, um zu heilen, was immer die Märkte plagte.
Die Zentralbanken haben Hunderte von Billionen in das Bankensystem injiziert. Die Zentralbank hat die Zinssätze deutlich gesenkt. Der Kongress denkt über Maßnahmen nach, den Hausbesitzern zu helfen... und hier haben wir auch die Bank of England, die (laut der BBC) eine Finanzspritze für die Hypotheken im Wert von 50 Milliarden Dollar vorbereitet.
Nun, das erklärt meiner Meinung nach alles. Von hier aus sollte es immer weiter nach vorne und nach oben gehen. Wie ich zuletzt schrieb, ist es gut möglich, dass die Zeitungsschlagzeilen negativ sind, aber die Stimmungslage ist es nicht.
Die meisten Leute gehen davon aus, dass es eine gute Zeit ist, ein Haus zu kaufen - und das bedeutet, dass sie immer noch denken, dass man "mit Immobilien nichts falsch machen kann." Aktien mit einem KGV von 20 sind kein Schnäppchen.
Zu den wahren Talsohlen kann man Aktien für ein KGV von fünf bis acht kaufen. Zu den wahren Talsohlen haben die Leute aufgehört, nach Talsohlen zu suchen. Mein alter Freund Mark Faber hat mir eine praktische Liste der Zitate vom Crash 1929 geschickt.
Die Tabelle der Marktbewegungen sieht aus wie ein Berg, mit Felsvorsprüngen... gefolgt von weiteren scharfen Abhängen. Aber bei jedem Felsvorsprung... bei jeder kleinen Pause auf dem Weg nach unten… gab es eine bekannte Person, die der Welt sagte, dass es nun vorüber sei.
"Das ist die richtige Zeit, Aktien zu kaufen", sagte R.W. McNeal im New York Herald Tribune nach dem ersten Felsvorsprung der Krise. "Das ist die Zeit, sich an die Worte von J.P. Morgan zu erinnern... jeder, der gegenüber Amerika pessimistisch eingestellt ist, wird Konkurs machen."
"Es ist der lange Abhang der Hoffnung", sagt Marc.
Wie sich herausstellte, machte jeder, der im Oktober 1929 gegenüber Amerika optimistisch war, Konkurs. Aktien sind bis in die Fünfziger nicht mehr auf das Niveau von 1929 zurückgekehrt - nachdem mehr als 1.000 Banken pleite waren… ein Viertel der Arbeitnehmer ihre Stellen verloren hatte und der Dow 89% seines Wertes eingebüßt hatte.
Und heute, liebe Leser... spricht die Presse vielleicht über Depressionen, Bärenmärkte und Kreditkrisen, aber ich kann noch nichts erkennen. Wenn man einen wirklichen Tiefpunkt erreicht, dann wird man überhaupt nicht mehr reden - die Leute werden bis dahin ihr Interesse verloren haben. Und das wird passieren. Wenn wir einen richtigen Tiefpunkt erreicht haben, dann werden die Leute kein Interesse mehr daran haben, Aktien zu kaufen, sie werden anfangen, Aktien für ein Spielzeug reicher Leute zu halten. Und sie werden wieder einmal Häuser als Gebrauchsgegenstände ansehen, und nicht als eine Anlageklasse.
Und was die Krise anbelangt... sie werden keine Zeitung mehr brauchen, die ihnen sagt, wie schlecht es um sie steht. Ich gehe davon aus, dass der Tag kommen wird. Wie lange es bis dahin noch dauert, weiß ich nicht. Wie ich oft sagte: Ich habe keine Kristallkugel.
Ich weiß lediglich, dass der Tag der Abrechnung für den amerikanischen Aktienmarkt ordentliche Beinarbeit von denen verlangen wird, die ihre bereits bestehenden Anlagewerte schützen wollen und immer noch so positioniert sein wollen, dass sie einen netten Profit dabei einstecken.
© Bill Bonner
Quelle: Auszug aus dem Newsletters "Kapitalschutz Akte" / Goldseiten.de