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Die Krise dauert Jahre, nicht Monate

Von Norbert Häring, Jens Koenen und Robert Landgraf
Die Finanzkrise ist noch lange nicht überstanden. Das ist die herrschende Meinung führender Köpfe in Wirtschaft und Finanzindustrie. Die fünf vom Handelsblatt befragten Experten warnen vor weiteren Marktturbulenzen und Risiken für die Konjunktur.

Handelsblatt: Liegt das Schlimmste der Finanzkrise hinter uns, oder müssen wir mit weiteren Katastrophenmeldungen rechnen?
Henning Kagermann (Vorstandssprecher von SAP): Ich sehe zurzeit keine Indizien für eine Verschärfung der Situation. Die Märkte wachsen immer weiter zusammen, und Probleme in einzelnen Regionen oder Industrien, wie jetzt der Finanzindustrie, können nie isoliert betrachtet werden. Zwischen den Marktteilnehmern ergeben sich Wechselwirkungen, gegen die allerdings niemand immun ist. Unternehmen wie SAP kommt dabei zugute, in allen Weltregionen sehr gut und ausgewogen vertreten zu sein.
Stephen King (Chefvolkswirt der größten europäischen Bank HSBC): Es gibt zwei Aspekte dieser Krise. Die Schlagzeilen drehen sich um die Krise der Banken. Doch selbst wenn diese Schlagzeilen weniger werden sollten, gibt es ein weiteres Problem, nämlich die Kreditklemme. Die Klemme resultiert aus dem Kollaps des Verbriefungsmarktes. Durch eine Kreditklemme könnte der Konjunkturabschwung in eine Rezession münden.
Klaus Müller-Peter (Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken): Es ist zu früh, jetzt schon Entwarnung zu geben, auch wenn es erste Signale gibt, dass sich die Märkte normalisieren. So sinken die Risikoprämien für strukturierte Produkte seit Mitte März, und die Preise für Verbriefungen höherer Bonität stabilisieren sich. Die Chancen einer Beruhigung der Lage steigen also. Trotzdem sind die Märkte weiterhin durch Unsicherheit gekennzeichnet. Die Talfahrt des US-Immobilienmarktes, der Ausgangspunkt der Krise, ist noch nicht gestoppt.
Kenneth Rogoff (Ökonomieprofessor in Harvard und ehemaliger IWF-Chefvolkswirt): In den USA hat die Regierung historische Garantien gegeben - mit dem impliziten Versprechen, bei weiteren Problemen noch mehr zu tun. Wenn die Immobilienpreise nochmals zehn bis 15 Prozent fallen, was ich annehme, könnten staatliche Hilfen im Volumen von 500 Milliarden Dollar oder gar Billionen Dollar in Anspruch genommen werden. Der Dollar wird dann einbrechen, die Zinsen werden in die Höhe schießen, die Krise wird wieder da sein.
Detlef Scholz (Geschäftsführer von Moody's Deutschland): Die Kreditkrise dürfte die Schlagzeilen noch einige Quartale lang beherrschen. Die Auswirkungen auf die Finanzmärkte werden aber nachlassen. Die Lehren aus der Krise werden gezogen, Anlagestrategien und Geschäftsmodelle werden angepasst. Manche haben da aber noch Nachholbedarf. Die Entwicklung im April und Mai lässt auf eine allmähliche Rückkehr des Vertrauens und der Liquidität am gebeutelten Markt für eher klassische Finanzinstrumente schließen.
Wie sehr und wie lange werden Europa und USA noch unter der Krise leiden?
Kagermann: Die Finanzmärkte sind nervös, und die wirtschaftliche Lage in den Vereinigten Staaten ist sicher schwieriger geworden. Es wurden aber schon wichtige Konsequenzen ergriffen. Wir sollten nicht pessimistisch sein. Wir bemerken momentan kein Übergreifen einer Konjunkturschwäche von Amerika auf Europa oder Asien. Als global breit aufgestelltes Unternehmen sind wir auf allen Märkten aktiv - unsere Kosten und auch die Erlösbasis sind diversifiziert.
King: Meiner Einschätzung nach noch lange Zeit - eher Jahre als Monate. Wir wissen aus der Erfahrung der USA, Japans und Skandinaviens in den frühen 90er-Jahren, dass es keine schnelle Lösung für diese Probleme gibt. Wenn Schwierigkeiten der Banken, fallende Immobilienpreise und Inflationssorgen der Notenbanken zusammenkommen, dann können die verfügbaren wirtschaftspolitischen Gegenmaßnahmen nur allmählich wirken.
Müller: Die Wirtschaft in Deutschland und der Euro-Zone wird von den Finanzmarktturbulenzen bislang kaum belastet. Für dieses Jahr erwartet der Bankenverband hierzulande 2,25 bis 2,5 Prozent Wachstum, 2009 etwas weniger. Eine Rezession in Europa befürchten wir nicht. Für die US-Wirtschaft sieht es anders aus. Trotz der kräftigen geldpolitischen Impulse und der Steuerschecks in Höhe von 170 Mrd. US-Dollar ist die Gefahr einer Rezession noch nicht überwunden.
Rogoff: Den USA stehen zwei oder drei Jahre mit deutlich unterdurchschnittlichem Wachstum bevor - nicht so sehr wegen der Finanzkrise, sondern als Gegenbewegung zum aufgeblähten Wachstum in den ersten Jahren des Jahrhunderts. Niedrige Zinsen hatten den Hauspreisboom angetrieben und die Sparquote der privaten Haushalte auf eine historisches Tief gedrückt, sogar in den negativen Bereich. Das wird jetzt korrigiert.
Scholz: Es ist schwer vorherzusehen, wie sich die verschärften finanziellen Rahmenbedingungen und die konjunkturelle Dynamik gegenseitig beeinflussen. Ein zum Teil exogener Faktor, nämlich die gestiegenen Ölpreise, könnten tatsächlich stärkere Auswirkungen haben. Es ist schwer vorstellbar, dass nicht auch die europäische Wirtschaft leidet, denn die Krise betrifft das gesamte nordatlantische Finanzsystem. Die Durststrecke dürfte aber in Europa schneller überwunden sein.
Wird die Subprime-Krise die wirtschaftliche Vormachtstellung der USA schwächen?
Kagermann: Ich will das aus unserer Sicht beantworten: Die Vereinigten Staaten sind der größte Markt für Unternehmenssoftware - allerdings hat Asien die USA als Wachstumsmotor bei Unternehmenssoftware bereits abgelöst. SAP ist weltweit präsent. Im Geschäftsjahr haben wir 26 Prozent unseres Umsatzes in den USA erzielt - die höheren Wachstumsraten erwarten wir jedoch aus dem asiatisch-pazifischen Raum.
King: Wenn Ausländer sich zunehmend weigern, amerikanische forderungsunterlegte Wertpapiere zu kaufen, belastet das die US-Konjunktur. Die ökonomische Weltkarte wird aber ohnehin bereits neu gezeichnet: durch das Erstarken der Schwellenländer. Das Zentrum der wirtschaftlichen Macht verlagert sich ostwärts.
Müller: Eine Abkopplung der Weltwirtschaft von den USA wird es nicht geben. Die USA stehen für 30 Prozent des Welt-Bruttosozialprodukts. Aber das Risiko von Dominoeffekten bei einer Schwäche der US-Konjunktur ist gesunken. Denn schon seit längerer Zeit verschieben sich die wirtschaftlichen Kräfte zugunsten der Schwellenländer. Deutschland exportiert mittlerweile mehr in die vier BRIC-Länder Brasilien, Russland, Indien und China als in die USA. Im Übrigen hilft uns der Euro.
Rogoff: Auf jeden Fall, auch wenn die gesamten Auswirkungen vielleicht erst in zehn Jahren erkennbar sein werden. Das Finanzsystem der Vereinigten Staaten hat sich als weniger sicher herausgestellt, als die Welt bisher gedacht hat. Der Euro wird am Ende der größte Nutznießer sein. Wahrscheinlich wird er in seiner internationalen Bedeutung bis zum Jahr 2020 mit dem Dollar gleichgezogen haben.
Scholz: Das Wirtschaftsmodell wird auf eine harte Probe gestellt. Und es gibt Grund zu der Annahme, dass der US-Wirtschaft durch die Bereinigung der Bilanzen der privaten Haushalte eine starke Stütze genommen wird. Drei Stärken sind jedoch unverändert vorhanden: Die Anpassungsfähigkeit ist hoch, die Voraussetzungen für Produktivität, Innovation und Wettbewerb sind immer noch gegeben. Und die politische Führung ist trotz aller Kritik hervorragend.
Kagermann: Wie wird sich die Rolle und Bedeutung der Ratingagenturen verändern, die in der Krise in die Kritik geraten sind?
Henning: Das ist eher eine Frage an die Politik oder an die Finanzbranche selbst.
King: Die Ratingagenturen haben im Auftrag der Emittenten gehandelt. Deshalb hatten die Investoren Grund zur Skepsis. Sie wurden allerdings auch verführt von der zunehmenden Liquidität der Märkte für strukturierte Anleihen, die sie fälschlicherweise als Zeichen verminderten Risikos interpretierten. Die Ratingagenturen zu reformieren könnte nützlich sein. Aber das tiefere Problem liegt darin, einen Umgang mit dem uralten Problem der Finanzblasen zu finden.
Müller: Die Ratingagenturen haben ihre Unschuld verloren, ihnen sind schwere Fehler unterlaufen. Sie müssen alles tun, Vertrauen zurückzugewinnen. Erforderlich sind qualitative Anpassungen der Ratingverfahren und mehr Transparenz. Die von der Organisation Internationaler Wertpapieraufseher vorgeschlagenen Änderungen des Selbstverpflichtungskodexes für die Agenturen müssen umgesetzt werden - und die Einhaltung von einer unabhängigen Institution überprüft werden.
Rogoff: Die Rolle der Ratingagenturen beim Vertrieb von Subprime-Krediten ist skandalös. Ich finde es unglaublich, dass die Verantwortlichen nicht allesamt ihre Jobs verloren haben. Ich bin entschieden dafür, den Ratingagenturen jegliche Monopolrechte zu nehmen und die Branche für den Wettbewerb zu öffnen.
Scholz: Die Marktteilnehmer erwarten auch in Zukunft unabhängige Meinungen über Kreditrisiken in Form von Ratings. Sie geben einen Vergleichsmaßstab für Risiken über verschiedene Regionen und verschiedene Arten von Rentenpapieren hinweg. In Bereichen wie "Structured Finance" erwartet der Markt von Ratingagenturen zusätzliche Transparenz. Außerdem verlangt er mehr Informationen über die Ratingänderungsrisiken.

Quelle: http://www.handelsblatt.com