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Welle der Inflation

von Donata Riedel, Daniel Goffart, Markus Ziener, Klaus Stratmann und Ruth Reichstein
Der Ölpreis steigt - die Inflation auch. Noch stärker aber wird sie durch die Nahrungsmittelpreise angetrieben. Klare politische Signale bleiben im Kampf gegen die enormen Teuerungen aus. Was die Europäer zunehmend in Wut versetzt, macht den Japanern Hoffnung.

BERLIN. Die nationale Politik steht der Inflation weitgehend machtlos gegenüber. Das haben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) am Dienstag unumwunden eingestanden. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) rät zur Zurückhaltung - und einer abgestimmten Kooperation zwischen Staaten und internationalen Organisationen.
"Die Regierungen müssen die richtige Balance zwischen zwei Risiken finden: Jenem für die Armen und jenem für die Volkswirtschaft", sagte IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn bei Vorlage eines neuen Inflationsberichts. Stärker noch als durch den Ölpreis werde die Inflation weltweit durch die Nahrungsmittelpreise angetrieben: Sie machten den größeren Anteil am Warenkorb aus. Sollten Lebensmittel noch teurer werden und der Ölpreis gleich hoch bleiben, "werden einige Regierungen nicht mehr in der Lage sein, ihre Bevölkerung zu ernähren und zugleich die Stabilität ihrer Volkswirtschaft zu gewährleisten", warnte der IWF-Chef.
Der Fonds rechnet nicht mit einem schnellen Abflauen der Inflation, warnte betroffene Regierungen aber davor, als Reaktion auf die Preisexplosion Handelsbarrieren zu errichten oder großzügige Energie-Subventionsprogramme aufzulegen. "Ein Verbot von Nahrungsmittelausfuhren exportiert nur den Hunger in ein anderes Land", sagte Strauss-Kahn.
Auch Kanzlerin Merkel wies bei einer Rede vor dem Bauerntag Forderungen nach niedrigeren Agrardiesel-Steuern zurück. Diese Art der Entlastung hätte angesichts der steigenden Rohstoffpreise keine große Wirkung. Wichtiger sei es, den Preisanstieg für Rohöl zu stoppen. "Ansonsten wird der steuerliche Vorteil nach 14 Tagen schon wieder vergessen sein." Die hohen Energie- und Rohstoffpreise seien ein zentrales Thema auf dem Gipfel der acht führenden Industriestaaten kommende Woche in Japan. Die Staats- und Regierungschefs der G8 wollen dort ihre Sorge darüber artikulieren, dass die hohen Ölpreise negative Auswirkung auf die Weltkonjunktur haben.
Geplant sind im wesentlichen drei Gegenmaßnahmen: Zum einen soll genau untersucht werden, wie hoch der spekulative Anteil an der Ölpreisentwicklung ausfällt. Da ein erheblicher Teil des Ölhandels auf dem Papier oder per Computer abgewickelt wird, soll verstärkt geprüft werden, wie man zumindest die Spitzen und Auswüchse der Spekulation eindämmen kann. Ferner will die G8 die Erdöl produzierenden Länder dazu bringen, ihre Förderkapazitäten auszuweiten, um das knappe Angebot auf dem Weltmarkt zu erhöhen. Nach Ansicht von Experten wirkt allerdings auch die geringe Kapazität der Raffinerien in den Abnehmerstaaten, vor allem den USA, preistreibend. Dort ist in den letzten 20 Jahren keine neue, größere Raffinerie mehr gebaut worden. Als dritte Maßnahme will die G8 den Ausbau regenerativer Energien und das Energiesparen vorantreiben.
Der anhaltende Atomstreit des Westens mit Iran hatte am Montag den Preis für US-Leichtöl erstmals über die Marke von 143 Dollar je Barrel (159 Liter) getrieben. Wegen der hohen Energiepreise erreichte die Inflation in der Euro-Zone im Juni erstmals die Marke von vier Prozent.
Bundesfinanzminister Steinbrück sagte, in Deutschland und in den anderen europäischen Ländern müsse man sich auf die Signale der Preisbildung einlassen und die Energieeffizienz erhöhen. Natürlich entziehe das Ölpreisniveau den Menschen Kaufkraft: "Nur warne ich davor zu glauben, man könnte dieser Energiepreisentwicklung mit politischen Trostpflastern begegnen." Steuererleichterungen lehnte Steinbrück ebenso ab wie Glos. Der Wirtschaftsminister betonte nach einem Treffen mit US-Finanzminister Henry Paulson, die Industriestaaten müssten sich vom Öl unabhängiger machen. Dazu müssten alle Technologien eingesetzt werden, auch die Kernkraft.
Wirtschaftsforscher sehen die Lage ähnlich wie die Politiker. "Die Inflation wird nach Deutschland über die hohe Nachfrage der Schwellenländer nach Nahrungsmitteln und Öl importiert", sagte DIW-Präsident Klaus Zimmermann. Sie könne daher auch nicht in Deutschland oder im Euroraum direkt bekämpft werden. Auch die Zinsanhebung, die von der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag erwartet wird, habe eine "eher symbolische Bedeutung". Die EZB demonstriere so, dass sie die Preissteigerung ernst nehme und alles dagegen tun wolle. Das DIW erwartet einen Anstieg des Leitzinses von 4,0 auf 4,25 Prozent und im Laufe des Jahres einen weiteren Zinsschritt auf 4,5 Prozent.
Eine Konjunkturabschwächung erwarten die meisten Wirtschaftsforscher spätestens 2009. Das DIW äußerte sich bei der Vorlage seiner Sommerprognose am Dienstag optimistischer als zuvor die Institute Ifo und IfW. "Wir sehen wenig Grund für Pessimismus", so Zimmermann. Es sehe nur so aus wie ein Absturz, wenn das erwartete Wachstum von 2,7 Prozent in 2008 auf 1,2 Prozent in 2009 sinke: Betrachte man die Quartale, dann sei der Rückgang vom starken ersten Quartal 2008 auf das zweite und dritte Quartal besonders stark, während es im vierten Quartal wieder besser aussehe.
Die Inflation wird laut DIW dann wieder abflauen: Bei den Nahrungsmitteln werde die Produktion erhöht, und die Energiepreise würden weltweit zu sparsamerem Verbrauch motivieren. "Die deutsche Industrie als Weltmarktführer in Effizienztechnologien wird davon sogar profitieren", so Zimmermann.
Nicht einmal um die Binnenkonjunktur ist das DIW besorgt: Das Plus bei den Arbeitsplätzen und das Gefühl, dass Jobs wieder sicherer seien, werde den Konsum in 2008 trotz Inflation steigen lassen. Für 2009 setzt Zimmermann bei sinkender Inflation sogar auf Reallohnzuwächse.dri/gof/mzi/str
BRÜSSEL. Auch für belgische Finanzpolitiker ist es eine harte Zeit. Über Jahre hinweg waren sie die Lieblingsschüler der europäischen Wächter über den Stabilitätspakt; schließlich war es ihnen gelungen, die Verschuldung des Landes kontinuierlich abzubauen und einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Damit aber ist es vorbei. Nun bekommen die belgischen Finanzpolitiker einen Rüffel nach dem anderen von der EU-Kommission. "Wir müssen sehr vorsichtig sein, dass wir nicht auf eine Inflationsspirale zusteuern", monierte jüngst die Sprecherin des Währungskommissars Joaquin Almunia. Im Blick hatte sie dabei die Inflation: Sie hat in Belgien im Juni ein Rekordhoch von 5,8 Prozent erreicht.
Solch einen rapiden Preisanstieg gab es im Königreich seit einem knappen Vierteljahrhundert nicht mehr. Und das kleine Land klettert damit an die Spitze der schlechten Schüler in der Euro-Zone. Der Durchschnitt der 15 Länder liegt nämlich bei vier Prozent - auch das ist ein historischer Rekord. Aber nur Slowenien steht mit sieben Prozent in der Euro-Zone noch schlechter da als Belgien.
Hinzu kommen die schlechten Aussichten. Die niederländisch-belgische Bank ING rechnet in diesem Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von lediglich 1,5 Prozent für das Land. In den nächsten zwei Jahren sieht es nicht besser aus. Die Arbeitslosigkeit ist im sonst günstigen Monat Mai sprunghaft angestiegen.
Viele Experten stehen nach wie vor etwas ratlos vor dem explosionsartigen Anstieg der Preise. Wie in anderen Ländern sind es aber auch hier vor allem Öl- und Energiekosten, die die Inflation besonders stark treiben. "Belgien leidet darunter mehr als andere Länder in der Euro-Zone. Unsere Wirtschaft ist besonders abhängig von Rohölimporten", heißt es in einer Analyse der belgischen Nationalbank. Die EU-Kommission kritisierte zudem die Versorger, die ihre Preise substantiell angehoben hätten: "Das erklärt die höhere Inflation im Vergleich zu den anderen Euro-Ländern." Doch es liegt nicht nur an Öl und Gas.
Zusätzlich zu den Energiepreisen leiden die belgischen Unternehmen unter den Lohnkosten. Sie liegen im Vergleich zu den Nachbarländern nach wie vor höher und orientieren sich gesetzlich an der Inflation. Das heißt: Ist die Teuerung hoch, müssen die Unternehmen die Gehälter anpassen. Um eine dadurch drohende Inflationsspirale zu verhindern, hat der belgische Zentralbankchef Guy Quaden für eine Änderung der Indexbindung plädiert. Die Gewerkschaften stellten sich gegen Quadens Vorschlag und konnten auch die Regierung für ihre Sache gewinnen.
Immerhin eine Branche profitiert aber von den horrenden Preisanstiegen. Die Billig-Supermärkte verzeichnen Gewinnzuwächse, während alle anderen am trägen Konsumentenverhalten knabbern. Im belgischen Geschäftsjahr (1. April 2007 bis 31. März 2008) erreichte zum Beispiel Colruyt, die belgische Ausgabe von Lidl oder Aldi, ein Wachstum von knapp zehn Prozent - und das eindeutig dank der schlechten Wirtschaftslage, lässt der Konzern wissen: "Der Verbraucher konzentriert sich infolge der Inflation wieder auf die Preise. Das kommt uns zugute."

Quelle: http://www.handelsblatt.com