Dunkle Wolken über der EZB
von Norbert Häring
Die Zuspitzung der Finanzkrise stellt die Reputation der Europäischen Zentralbank (EZB) auf eine schwere Probe: Der Notenbank droht der Gesichtsverlust. Experten sind sich einig, dass eine geldpolitische Wende nötig ist.
FRANKFURT. Die Zuspitzung der Finanzkrise stellt die Reputation der Europäischen Zentralbank (EZB) auf eine schwere Probe. Während die US-Notenbank Federal Reserve im Verlauf der Finanzkrise ihren Leitzins äußerst schnell und massiv gesenkt hat, um Rückwirkungen auf die Konjunktur abzufedern, stellte sich die EZB auf den Standpunkt, die Zinspolitik sei kein Mittel im Umgang mit der Finanzkrise. Deshalb erhöhte sie noch im Juli ihren Leitzins auf 4,25 Prozent. Auf die Probleme der Finanzmärkte reagierte sie ausschließlich mit großzügiger Bereitstellung kurzfristiger Kredite an die Banken.
Europas führende Geldpolitik-Experten drängen die EZB in seltener Einmütigkeit, nicht auf dieser Linie zu beharren. Alle 15 Mitglieder des EZB-Schattenrats gehen davon aus, dass noch in diesem Jahr eine Zinssenkung nötig ist.
Während knapp die Hälfte der leitenden Volkswirte aus Finanzinstituten, Hochschulen und Forschungsinstituten dies schon für die EZB-Sitzung nächste Woche fordert, drängen die übrigen die Notenbank, die Tür zu einem solchen Schritt weit auf zu machen.
Bisher hat die EZB noch kein Signal gegeben, dass sie eine Senkung ihres eben erst erhöhten Leitzinses in Betracht ziehen könnte. Marktteilnehmer erwarten angesichts der bisher unbeugsamen Haltung der EZB mehrheitlich erst im nächsten Jahr eine Zinssenkung.
Im Juli war die EZB noch davon ausgegangen, dass sich die Konjunkturentwicklung ab der Jahresmitte bessern werde. Anfang September hatte Notenbankpräsident Jean-Claude Trichet von einer Erholung ab dem vierten Quartal gesprochen, das in wenigen Tagen beginnt. Wenige Wochen später hat sie die erhoffte Konjunkturerholung nun nochmals deutlich nach hinten verschoben. Vizepräsident Lucas Papademos sagte in einem am Freitag veröffentlichten Interview: "Die Verschärfung der Probleme im Bankensektor und die hohe Marktvolatilität haben die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Konjunkturverlangsamung länger andauern wird als gedacht." Er erwarte aber, dass sich die Konjunktur im Verlauf des Jahres erholen werde.
Zuvor hatten Mitglieder des EZB-Rats eingeräumt, dass die erst Anfang des Monats veröffentlichte Prognose eines Wachstums für die Euro-Zone von 1,2 Prozent im nächsten Jahr wohl gesenkt werden müsse. Der EZB-Schattenrat prognostiziert ein Wachstum von knapp 0,8 Prozent.
Auch die Bundesbank war bis vor kurzem noch betont optimistisch für die deutsche Wirtschaft aufgetreten - eine Haltung, die sich auch die Bundesregierung zu eigen gemacht hatte. Nachdem Bundesbankpräsident Axel Weber am Dienstag aber den Fraktionen der großen Parteien eine deutliche Abwärtskorrektur der Bundesbankprognosen mitgeteilt hatte, ging auch Finanzminister Peer Steinbrück am Donnerstag mit einer scharf ins negative gedrehten Einschätzung der Lage an die Öffentlichkeit.
Jacques Cailloux, Europa-Chefvolkswirt der Royal Bank of Scotland, erwartet, dass die Entscheidung der EZB, im Juli den Leitzins anzuheben, die Notenbank politisch unter Druck setzen wird. "Eine Folge wird sein, dass die Regierungen mit neuer Intensität die Debatte um das Mandat der EZB aufnehmen werden", vermutet der französische Volkswirt. "Die Forderungen des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, deren Zielbestimmung zu überdenken, könnte mehr Zustimmung finden als früher."
Zu den treibenden Kräften hinter der Zinserhöhung von Juli hatte Bundesbankpräsident Axel Weber und EZB-Direktoriumsmitglied Jürgen Stark gehört, unter dessen Ägide die EZB-Prognosen erstellt werden. Kreisen zufolge droht der deutsche Einfluss auf die EZB Politik durch ihren inzwischen als Pyrrhussieg eingeschätzten Erfolg im EZB-Rat zurückgedrängt zu werden. Während Weber und Stark kein Hehl aus ihrem Drängen auf Zinserhöhung gemacht hätten, habe sich der diplomatische Trichet immer sehr vorsichtig geäußert. "Er wird gestärkt aus dieser Episode hervorgehen", so die Kreise.
"Die Falken haben eine Schlacht gewonnen und den Krieg verloren", stimmt Jacques Cailloux dieser Einschätzung zu. Sie hätten den EZB-Rat zu einer Entscheidung überredet, "die kaum als weise und vorausschauend in die Geschichtsbücher eingehen wird." Als Falken werden im Finanzjargon Befürworter einer besonders straffen Geldpolitik bezeichnet.
Dagegen geht Julian Callow, Europa-Chefvolkswirt von Barclays Capital davon aus, dass die Falken im EZB-Rat allenfalls vorübergehend an Einfluss verlieren werden, jedenfalls dann, wenn dem Euroraum eine Rezession erspart bliebe. Er weist darauf hin, dass nach außen kein Dissens im Rat über die Zinserhöhung von Juli erkennbar geworden sei. "Die Falken müssen derzeit sicher Asche auf ihr Haupt streuen", räumt Callow ein, aber andererseits hätten sie viel Glaubwürdigkeit gesammelt, weil der Inflationsanstieg, vor dem sie gewarnt hätten, eingetreten sei.
Argumente für und wider einer sofortigen Zinssenkung
Alle 15 Mitglieder des Expertengremiums EZB-Schattenrat halten aus jetziger Sicht eine Zinssenkung noch in diesem Jahr für notwendig. Uneinig sind sie sich nur, ob das sofort oder etwas später geschehen sollte. Niedrigere Leitzinsen erleichtern den Banken die Kreditvergabe, den privaten Haushalten die Finanzierung von Anschaffungen und den Unternehmen die Finanzierung von Investitionen.
Abschwung
Nach den fast durchgängig sehr schlechten Konjunkturmeldungen der letzten Zeit herrscht unter den Experten Einigkeit, dass sich die Konjunktur stark abkühlt und zumindest die Gefahr einer Rezession besteht.
Inflation
Die Inflation hat zwar nach einhelliger Meinung ihren Höhepunkt überschritten, ist aber mit 3,8 Prozent noch viel höher als das Preisstabilitätsziel der EZB von zwei Prozent. "2009 wird dieses Ziel nach vorherrschender Meinung nur zeitweise knapp erreicht. Weil die Ölpreise auch wieder steigen könnten, raten manche Schattenratsmitglieder, abzuwarten, bis der Trend klarer ist.
Finanzkrise I
Die derzeitige Zuspitzung der Lage im US-Finanzsystem wird vor allem als Argument fürs Abwarten gebraucht. Jetzt die Zinsen zu senken, könnten die Märkte als Zeichen der Panik auffassen und vermuten, dass es den Banken im Euroraum schlechter geht als gedacht, hieß es. Außerdem wurde argumentiert, in der gegenwärtigen turbulenten Phase drohe die Wirkung einer Zinssenkung zu verpuffen. Deshalb sei es besser, einen Monat zu warten.
Finanzkrise II
Die hohen Sätze am Geldmarkt, über den sich Banken kurzfristig refinanzieren, sprechen nach Einschätzung vieler Mitglieder des Gremiums für eine sofortige Zinssenkung. Für die Kreditvergabe der Banken seien vor allem diese Sätze wichtig, argumentieren sie. Eine Leitzinssenkung würde den scharfen Anstieg der Geldmarktsätze in den letzten Tagen zumindest teilweise kompensieren und so einer befürchteten Kreditklemme entgegen wirken.
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