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„Der Tiefpunkt kommt erst 2009“

von Marietta Kurm-Engels, Robert Landgraf und Oliver Stock
Bundesbankpräsident Axel Weber sieht vorerst kein Ende der Finanzkrise. Im Exklusivinterview mit dem Handelsblatt prognostiziert er den Tiefpunkt der konjunkturellen Entwicklung gar erst für das nächste Jahr. Weber sieht dabei noch Spielraum für weitere Zinssenkungen – und betont die gute Ausgangslage Deutschlands.
Handelsblatt: Herr Weber, Sie sind als Professor in die Praxis gewechselt. Läuft die Finanzkrise eigentlich nach Lehrbuch ab?

Axel Weber: Nein, die Risikomodelle, die wir zur Verfügung hatten, bilden das, was seit der Lehman-Pleite passiert ist, nicht ab. Dieser Fall hat deutlich mehr Verwerfungen hervorgebracht, als es zu erwarten gewesen wäre. Die Konsequenz war, dass es zu einer vollkommenen Neubewertung der Kreditrisiken kam, nicht nur im Interbankengeschäft wegen der hohen Vernetzung von Lehman Brothers mit anderen Banken, sondern auch bei Unternehmen und Schwellenländern.
Wenn die Krise nicht nach Lehrbuch läuft, können Sie uns auch nicht sagen, wann sie zu Ende ist?
Die bisherige Erfahrung lehrt, nicht vorschnell von einem absehbaren Ende zu reden. Weitere Belastungen sind möglich: Die Finanzkrise greift zurzeit auf Schwellenländer über, ein globaler Konjunkturabschwung hat eingesetzt, Hedge-Fonds lösen Positionen auf, und ein Stopp des Preisverfalls für US-Immobilien - Ausgangspunkt der Krise - wird erst für Ende 2009 erwartet.
Also keine Erholung der Konjunktur in Sicht?
Ich glaube, dass wir den Tiefpunkt der konjunkturellen Entwicklung erst im nächsten Jahr hinter uns lassen.
Geht es etwas genauer?
Die erste Jahreshälfte 2009 dürfte noch mit einer Reihe von Herausforderungen verbunden sein.
Wird die Europäische Zentralbank mit Zinssenkungen gegensteuern?
Es gibt Spielraum für weitere Zinssenkungen. Die Energiepreise fallen, die Nahrungsmittel werden wieder günstiger, die Kapazitätsauslastung in der Industrie geht zurück. Das alles wird die Inflation drücken ...
... und in eine Deflation münden, meint die Basler Bank der Zentralbanken.
Das ist nicht unser Basisszenario. Wir erwarten 2009 in Deutschland eine Halbierung der Inflationsrate. Auch im Euro-Raum dürfte kurz- bis mittelfristig die Preisstabilität gewährleistet sein. Daher haben wir die Möglichkeit, andere Ziele der Wirtschaftspolitik zu unterstützen, wie das Abfedern einer stärkeren konjunkturellen Abkühlung.
Das Risiko sehen Sie?
Es bestehen in der Tat Risiken für die Wirtschaftsentwicklung, und diese gehen mit sinkenden Inflationsraten einher.
Also stehen bei uns weitere Zinssenkungen an wie in den USA. Verpuffen die nicht?
Änderungen in der Geldpolitik brauchen einige Zeit, bis sie ihre volle Wirkung entfalten. Deswegen wird es in den USA noch positive Auswirkungen der Zinssenkungen geben, die jetzt noch nicht in den aktuellen realwirtschaftlichen Daten zu sehen sind.
Die Märkte erwarten, dass der Euro-Leitzins bis Mitte 2009 auf 2,5 Prozent sinkt. Passt die Einschätzung?
Die Richtung, die wir eingeschlagen haben, ist an den Märkten richtig erfasst worden. Ich sehe keinen Grund, die Erwartungen der Märkte im Detail zu kommentieren.
Wenn die Zentralbank ihre Hausaufgaben macht, was muss die Regierung tun?
Wenn die automatischen Stabilisatoren nicht ausreichen, muss sie gegebenenfalls aktiv gegensteuern. Die günstigere ausgeglichene Haushaltslage erlaubt dies in Deutschland.
In anderen Länder nicht?
Ich will nicht mit dem Finger auf andere Länder zeigen.
Sprechen Sie von Italien, Frankreich, Griechenland?
Einige unserer großen Nachbarländer haben in den vergangenen Jahren nicht die gleichen Konsolidierungsbemühungen unternommen wie die Bundesregierung und deswegen jetzt auch nicht die gleichen Spielräume. Bei uns ist die Ausgangslage dagegen günstiger. Die Unternehmensbilanzen sind solide, die meisten privaten Haushalte nicht überschuldet.
Also ist die Zeit reif für ein Konjunkturpaket. Wie muss es ausgestaltet sein. Sind Konsumgutscheine geeignet?
Wichtig ist die richtige Wahl der Maßnahmen der Finanzpolitik. Diese müssen zeitnah, zielgenau und zeitlich begrenzt sein. Man kann wie die Amerikaner Steuergutschriften als Pro-Kopf-Transfers verteilen. Davon profitieren Personen mit geringem Einkommen und hoher Konsumquote überproportional, Sickerverluste werden somit begrenzt.
Wir haben 2009 Wahlen in Deutschland. Da überbieten sich die Parteien mit Wahlgeschenken. Sollte es auch Steuererleichterungen geben?
Es kann gerade im Wahljahr schnell dazu kommen, dass zwei Maßnahmen vermischt werden: zielgerichtete konjunkturelle Entscheidungen und langfristig erwünschte strukturelle Maßnahmen wie Änderungen in der Progression im Steuersystem oder etwa die Anpassung der Eingangs- und Spitzensteuersätze. Ich halte es für besser, eins nach dem anderen anzugehen. Erst sind zielgerichtete Sofortmaßnahmen nötig, dann kann die Bundesregierung grundlegendere Änderungen des Steuersystems ins Auge fassen. Dabei muss sie aber jetzt schon klarmachen, wie sie die sinkenden Einnahmen dann durch Ausgabensenkungen kompensiert, wenn die Konjunktur wieder besser läuft.
Soll der Staat einzelnen Unternehmen helfen?
Sektorale Hilfen wirken immer wettbewerbsverzerrend. Das schadet langfristig der Wachstumsdynamik.
Aber die Banken brauchen doch Hilfe.
Wenn systemische Risiken bei Banken drohen, müssen wir stabilisierend eingreifen. Die Banken sind ein wichtiger Eckpfeiler des Wirtschaftssystems. Sie sind nicht zuletzt Treuhänder, die das Geld der Sparer verwalten. Deshalb muss der Staat die Sicherheit der Einlagen gewährleisten. Aber es muss dabei keinen dauerhaften Bestandsschutz für Banken geben, deren Geschäftsmodelle sich nicht als nachhaltig erweisen.
Womit Landesbanken ein Problem haben könnten.
Hier sind insbesondere die Eigner der Landesbanken selbst gefordert, geeignete Perspektiven aufzuzeigen.
Welche Anforderungen müssen Banken, denen geholfen werden soll, aus Ihrer Sicht noch erfüllen.
Sie brauchen einen ausreichenden Kapital- und Risikopuffer.
Also acht Prozent Eigenkapitalquote?
Das ist ein auskömmlicher Kapitalpuffer. Die regulatorische Anforderung liegt bei vier Prozent. Dass der Puffer doppelt so hoch sein sollte, halte ich für sehr sinnvoll. Wir sollten jedoch nicht alle Banken über einen Kamm scheren. Die Eigenkapitalanforderungen müssen auch nach den Geschäftsmodellen und-feldern der Institute ausgerichtet sein. Eine Investmentbank braucht einen deutlich höheren Risikopuffer als eine auf Privatkunden ausgerichtete Retailbank mit einem bedeutenden Einlagengeschäft.
Wie lange soll sich der Bund eigentlich bei den Banken engagieren?
Die Mittel des Sonderfonds können bis Ende nächsten Jahres in Anspruch genommen werden. Dann sollen Garantien für Bankschuldverschreibungen bis zu maximal drei Jahren laufen. Das sind von heute an gerechnet schon einmal mehr als vier Jahre. Auch wird es Nachlaufeffekte geben, etwa wenn die Rückzahlung der Kapitalbeteiligung des Bundes an einer Bank eine längere Zeit erfordert.
Das dauert ja möglicherweise ewig.
Ich halte es deswegen für richtig, wenn der Bund eine klare Strategie formuliert, wie er wieder aussteigen will.
Bisher haben nicht mehr als 15 Banken Anträge beim Fonds gestellt. Ist es ein Konstruktionsfehler, dass die Annahme von Hilfen freiwillig ist?
Es gibt viele intensive Gespräche des Fonds mit einer Reihe von potenziellen Interessenten. Ob das Programm obligatorisch oder freiwillig sein soll, darüber kann man trefflich streiten. Ich glaube, die Freiwilligkeit reicht. Das Rettungspaket ist ein Sicherheitsnetz. Es soll weder dazu animieren, sich hineinfallen zu lassen, noch waghalsig zu agieren. Weite Teile des deutschen Kreditsektors sind robust, deshalb kann man nicht alle in das Programm zwingen.
Die Banken misstrauen einander immer noch. Sie leihen einander kaum Geld. Verpuffen auch hier die Maßnahmen?
Der unbesicherte Interbankenmarkt ist nach wie vor dysfunktional. Und ich glaube, er ist kurzfristig auch weiter mit Problemen konfrontiert. Deswegen müssen wir Notenbanken die Institute weiter mit Geld versorgen, für das sie im Gegenzug Wertpapiere als Sicherheiten bei uns verpfänden. Ohne Wiederbelebung des unbesicherten Interbankenmarktes droht eine deutliche Einschränkung und Verteuerung der Kreditvergabe. Daher ist die Stärkung des Vertrauens unter den Banken wichtig. Notenbanken und Regierungen haben ihren Beitrag geleistet. Jetzt muss der Beitrag der Banken zur Belebung der Märkte kommen.

Dieser Beitrag wurde nicht geprüft, www.silbernews.at übernimmt keine Verantwortung für Angemessenheit oder Genauigkeit dieser Mitteilung. Quelle: http://www.handelsblatt.com