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Viele haben nicht realisiert, wie schlimm die Krise ist

«Die Krise kam in Wellen. Bei jeder Welle erwartete man, dass sie das Ende der Krise bedeutete»

SNB-Direktor Thomas Jordan über die CS, Zinssenkungen und den Vergleich mit den 30er-Jahren
von Reto Thöny und Jean François Tanda
Herr Jordan, wie viel hat uns die Finanzkrise bisher gekostet?
Seit Beginn der Krise sind die meisten Aktienindizes um 40 bis 50 Prozent gefallen. Der Wertverlust auf dem US-Immobilienmarkt beträgt 20 und mehr Prozent. Weltweit gibt es eine enorme Vernichtung von Vermögenswerten.
Sie haben betont, dass diese Vermögensverluste höher sind als in der Wirtschaftskrise der 30er-Jahre. Mit dieser Analogie verbreiten Sie doch Angst?
Breite Bevölkerungskreise haben lange Zeit nicht realisiert, wie schlimm die Finanzmarktkrise ist. Die Entwicklungen an den Finanzmärkten sind so einschneidend, wie wir sie seit den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts nicht mehr erlebt haben. Allerdings hat die Wirtschaftspolitik heute entschieden anders reagiert als in der Krise der 30er-Jahre. Die Zentralbanken haben sehr schnell Liquidität zur Verfügung gestellt. Auch haben sie in vielen Ländern die Zinsen gesenkt. Gleichzeitig hat die Politik mit Konjunkturprogrammen auf die Krise reagiert. Das alles lässt hoffen, dass die realwirtschaftlichen Auswirkungen deutlich anders ausfallen werden als in den 30er-Jahren.
Die Weltbank fürchtet die schwerste Rezession seit den 30er-Jahren. Wie sehen Sie das?
Sowohl die USA wie auch Europa und weite Teile Asiens gehen ziemlich parallel in eine Rezession. Wir werden 2009 ganz sicher ein schwieriges Jahr haben. Für die Schweiz rechnen wir mit einem negativen Wachstum von -0,5 bis -1,0 Prozent. Die Arbeitslosigkeit könnte auf 3,5 bis 4 Prozent steigen. Allerdings sind Vorhersagen über den Verlauf dieser Krise sehr schwierig. Alle bisherigen Prognosen haben sich als falsch herausgestellt.
Die Unberechenbarkeit scheint überhaupt ein Charakteristikum dieser Krise zu sein.
Die Krise kam in Wellen. Bei jeder Welle erwartete man, dass sie das Ende der Krise bedeutete. Dabei war die nächste Welle bereits am Entstehen. Und die war jeweils noch viel schlimmer.
Eine dieser Wellen war der Konkurs der US-Investmentbank Lehman Brothers. Würde die Bank heute fallen gelassen?
Heute würde man sicher anders entscheiden. Zum Zeitpunkt der Entscheidung war man davon ausgegangen, dass die Bedeutung von Lehman Brothers für das Finanzsystem nicht so gross ist. Zudem konnte sich der Staat nicht erlauben, jede Bank zu retten. Die Auswirkungen des Konkurses von Lehman Brothers waren aber verheerend. Das war das entscheidende Signal dafür, nun alle systemisch bedeutenden Banken unter allen Umständen zu retten.
Würde die CS unterstützt, sollte sie um Staatshilfe bitten?
Wie die UBS ist die CS eine relevante Bank für das Schweizer Finanzsystem. Ein Untergang der CS in der heutigen Situation wäre für die Schweiz ähnlich problematisch wie ein Untergang der UBS.
Rechnen Sie damit?
Im heutigen Zeitpunkt gibt es keine Hinweise dafür.
Besteht ein Notfallszenario?
Die Behörden in der Schweiz haben sich seit Ausbruch der Krise immer wieder mit solchen Fragen beschäftigt. Im Moment bestehen aber keine konkreten Pläne.
Die SNB hat diese Woche die Zinsen weiter gesenkt. Ist das Pulver jetzt verschossen?
Wir stehen konjunkturell vor einer sehr schwierigen Phase. Wir sind der Überzeugung, dass die SNB das ihr zur Verfügung stehende Zinssenkungspotenzial ausnutzen sollte, um möglichst früh eine positive Wirkung zu erzielen. Die günstige Inflationsentwicklung gab uns die Möglichkeit, diesen Spielraum auszunutzen.
Welche Möglichkeiten haben Sie für eine weitere expansive Geldpolitik?
Wenn es nötig werden sollte, könnten wir zum Beispiel auf dem Devisenmarkt operieren. Oder auf dem längerfristigen Bondmarkt. Zudem können wir versuchen, insgesamt noch mehr Liquidität ins System hineinzubringen.
Wie steht es um die Kreditausleihungen zwischen den Banken?
Der Interbankenmarkt ist noch nicht dort, wo wir ihn haben möchten. Das Vertrauen fehlt weiterhin.
Wie wollen Sie das ändern?
In der Schweiz haben wir Banken, die Geld suchen. Und andere, die im Geld schwimmen. Wir müssen Wege finden, um das reichlich vorhandene Geld dorthin zu bringen, wo der Finanzierungsbedarf ist. Wir sind zuversichtlich, dass wir Lösungen finden werden.
Wie steht es um die viel diskutierte Kreditklemme?
In der Schweiz gibt es bis jetzt keine Anzeichen für eine Kreditklemme. Trotz der gedämpften Wirtschaftsaussichten nehmen die Kreditvolumen insgesamt immer noch zu. Zudem sinken die Hypozinsen zügig. Wir werden aber genau beobachten, wie sich das weiterentwickeln wird.
Diese Woche hat Rieter über massive Probleme bei der Kreditbeschaffung geklagt. Wie muss man das verstehen?
Es gibt immer Fälle, wo Firmen nicht die gewünschten Kredite bei ihrer Bank erhalten. Es ist deshalb entscheidend, dass wir in der Schweiz mehrere Banken haben, die Firmen Kredit gewähren können und in diesem traditionellen Kerngeschäft der Banken auch wieder Chancen sehen.
Bereits wird vor der Krise nach der Krise gewarnt. Anlass gibt die expansive Geldpolitik mit ihrem Inflationspotenzial. Sind diese Ängste berechtigt?
Die sehr tiefen Zinsen werden früher oder später zu neuen Problemen führen: Kapital wird im volkswirtschaftlichen Sinn falsch eingesetzt, und die Inflation beginnt zu steigen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die Zentralbanken frühzeitig reagieren. Sobald die Krise durchgestanden ist, müssen sie das aufgebaute Liquiditätspotenzial wieder auf ein akzeptables Niveau zurückfahren. Derzeit hat die Bewältigung der Krise aber Priorität.

Dieser Beitrag wurde nicht geprüft, www.silbernews.at übernimmt keine Verantwortung für Angemessenheit oder Genauigkeit dieser Mitteilung. Quelle: http://www.sonntagszeitung.ch