Retten kann uns nur noch die Steuerpolitik
Das Geld wird gehortet, die Industrie produziert für die Halde: Amerikas Wirtschaft steckt in der Falle, die Geldpolitik ist am Ende ihrer Möglichkeiten. Damit Deutschland diesem Schicksal entgeht, fordert Thomas Straubhaar, muss die Fiskalpolitik handeln - schnell, stark, sozialverträglich.
Hamburg - Generationen von Studierenden mussten sie auswendig lernen, mussten wissen, welche Situation damit gemeint ist - obwohl sie jahrelang ein abstraktes Gedankenmodell blieb. Gemeint ist die "Liquiditätsfalle" - jene Situation, in der sich eine Volkswirtschaft in einer Rezession befindet, der Leitzins der Zentralbank nahe null liegt und die Geldpolitik ihre Wirkung verloren hat. Immer wurde sie mit dem Namen von John Maynard Keynes und der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre in Verbindung gebracht.
Nun aber ist aus der Theorie Praxis geworden: Die amerikanische Wirtschaft ist in einer schweren Rezession, die Notenbank hat am Dienstag den Zinssatz für kurzfristiges Geld auf eine Spanne von null bis 0,25 Prozent gesenkt - und dennoch wird in der realen Wirtschaft wenig passieren. Damit sind alle theoretischen Bedingungen einer Liquiditätsfalle erfüllt.
Wird sich die Geschichte der Großen Depression nach der Weltwirtschaftskrise also wiederholen? Oder zumindest die Erfahrung Japans - das Mitte der neunziger Jahre in die Liquiditätsfalle tappte und in seinem "verlorenen Jahrzehnt" einen hohen Preis in Form einer lang anhaltenden Rezession und hoher Beschäftigungslosigkeit zahlte?
Tatsächlich ist die Liquiditätsfalle dadurch gekennzeichnet, dass die Geldpolitik als Instrument zur Konjunkturbelebung ausfällt: Obwohl die Notenbank mit ihrem niedrigen Zinssatz Kredite nahezu kostenlos macht, will sich niemand zusätzlich verschulden. Konsum und Investitionen verfallen nicht mehr der süßen Verlockung des billigen Geldes - denn Verbraucher und Unternehmer wollen nicht heute kaufen oder investieren, was morgen vielleicht noch billiger werden könnte. Das lässt die Umsätze zurückgehen, es wird auf Halde produziert.
Als Folge wird die Produktion verstärkt gedrosselt, es entstehen neue Überkapazitäten. Die Arbeitslosigkeit beginnt zu steigen, was wiederum den privaten Konsum weiter dämpft. Damit fällt der wichtigste Pfeiler der Konjunktur als Stütze der Binnennachfrage aus - und es kommt zu einer Depressionsspirale nach unten.
Symptomatisch ist, dass in der Liquiditätsfalle Geld gehortet statt ausgegeben wird. Es fließt in die Spekulationskassen statt in Transaktionen. Anleger wollen nicht heute einsteigen, weil sie angesichts der Nullzinsenpolitik auf höhere Zinsen warten. Wer also heute sein Geld in Zinspapiere anlegt, vergibt sich die Chance, später einzusteigen, wenn die Zinsen wieder steigen werden. Also wandert das Geld unters Kopfkissen statt in den Wirtschaftskreislauf.
"Saufen müssen die Pferde selber"
Es trifft deshalb zu, was John Maynard Keynes zu Zeiten der Großen Depression so treffend formulierte: Eine Notenbank kann durch Zinserhöhungen einen Konjunkturaufschwung bremsen - sie kann ihn aber nicht durch Zinssenkungen auslösen. Da braucht es mehr: Nämlich zumindest die Erwartung, dass Preise und damit auch die Zinsen steigen.
Die überraschend starke Zinssenkung in den USA wirkt mit Blick auf die Liquiditätsfalle deshalb eher wie eine Verzweiflungstat. Die Fed hat ihr letztes Pulver verschossen - aber es ist fraglich, ob sie damit dem Kampf gegen die Rezession eine entscheidende Wende gegeben hat. Denn das Problem der US-Wirtschaft ist nicht die mangelnde Liquidität. Das Gegenteil ist der Fall: Die heutigen Probleme der US-Wirtschaft sind die Folge einer überreichlichen Liquidität und eines mangelnden Vertrauens in die Kreditwürdigkeit und die Zukunftsfähigkeit.
Sicher ist, dass die amerikanische Geldpolitik am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt ist. Ihre wichtigste Waffe ist stumpf geworden. Der Leitzins kann 2009 lediglich noch in homöopathischer Dosis von fast null auf null weiter gesenkt werden. Jetzt bleiben der Fed lediglich noch unübliche geldpolitische Maßnahmen: Die Notenbank kann Wertschriften oder Staatsanleihen aufkaufen.
Keynes: Arbeitslose Löcher schaufeln lassen
Das zeigt: In einem durch Rezession, Deflation und einem pessimistischen Umfeld gekennzeichneten Umfeld stößt die Geldpolitik an ihre Grenzen. Alles was sie noch tun kann ist, Inflationserwartungen zu erzeugen.
Keynes selber hatte einen anderen Vorschlag. Er setzte statt der Geldpolitik auf die Fiskalpolitik - und formulierte das in seinem berühmt gewordenen Beispiel: Es wäre sinnvoll, der Staat würde Arbeitslose Löcher ausschaufeln lassen, die dann von anderen Arbeitslosen wieder zugeschüttet würden. Hauptsache sei, dass neue Einkommen entstünden, die dann für den Konsum ausgegeben und den makroökonomischen Kreislauf antreiben würden.
So weit muss es ja nicht kommen. Sicher gibt es klügere Möglichkeiten, den privaten Konsum anzuregen. Aber es zeigt deutlich, wie wichtig ein rasch wirkendes Konjunkturprogramm zur Stimulierung des privaten Konsums jetzt wäre. Das gilt auch für Deutschland.
Natürlich gibt viele gute Argumente, auf hektische Schnellschüsse zu verzichten. Tatsächlich findet die Konjunktur in normalen Zeiten ohne große staatliche Hilfe wieder auf die Bahn nach oben zurück. Aber eine Liquiditätsfalle folgt keinem gewöhnlichen Muster. Es gilt, Erwartungen rasch und nachhaltig zu verändern. Es muss gelingen, bei Verbrauchern und Investoren den Eindruck zu erwecken, dass Preise und Zinsen bald steigen werden und deshalb nun die letzte Möglichkeit bestehe, Schnäppchen zu jagen, günstig einzukaufen und sich billig verschulden zu können.
Fiskalpolitik mit dem Triple-S
Für diesen Sinneswandel aber fällt die Geldpolitik aus, das kann nur noch die Fiskalpolitik schaffen: Sie muss den privaten Konsum rasch und stark stimulieren. Ob das nun über Konsumschecks mit Verfalldatum, Steuerrückerstattungen, Abschreibungserleichterungen oder Investitionshilfen geschieht, ist letztlich nachrangig. Ein gut geschnürtes Paket mit verschiedenen sozial- und verteilungspolitischen Maßnahmen könnte dem Rechnung tragen.
Vorrangig bleibt aber vor allem, dass die Lösung dem Triple-S folgt: schnell, stark, sozialverträglich. Dann bestehen gute Chancen, dass sich Geschichte nicht wiederholt und Deutschland der Liquiditätsfalle entfliehen kann - und anders als in der Weltwirtschaftskrise des vergangenen Jahrhunderts und anders als Japan in den 1990er Jahren von einer langen und tiefen Depression verschont bleibt.
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