Wer zahlt die Zeche?
Samstag, 3. Januar 2009
Bei all der Freude über diverse Rettungs- und Konjunkturpakete tritt eine Frage völlig in den Hintergrund: Wer zahlt eigentlich? Vor den entscheidenden Treffen der Koalition zum Konjunkturpaket II fordert der Unionsnachwuchs in einem gemeinsamen Vorstoß verbindliche Beschlüsse gegen maßloses Schuldenmachen. Dies berichtet das Nachrichtenmagazin FOCUS.
„Neue Kredite gehen zu Lasten der jüngeren Generation“, warnt der Chef der Jungen Union, Philipp Missfelder. „Deshalb gehört zum Konjunkturpaket zwingend ein Schuldenabbauplan, um die Probleme zu begrenzen.“
Er beharrt auf einer Schuldenbremse parallel zum Konjunkturpaket. Auch der Vorsitzende der Jungen Unionsabgeordneten im Bundestag, Marco Wanderwitz (CDU), hält ein Investitionsprogramm ohne Schulden-Reißleine für unverantwortlich. „Wenn wir noch einmal Milliarden in die Hand nehmen, muss zugleich verbindlich eine wirksame Schuldenbremse festgeschrieben werden.“ Parallel müsse die Koalition einen Tilgungsplan vorlegen, der in die mittelfristige Haushaltsplanung einfließen solle.
Die Spitzen von Union und SPD beraten an diesem und am kommenden Montag, wie sie das zweite Konjunkturpaket gestalten wollen.
Angesichts neuer Milliarden-Pakete Neu-Jahr-Optimismus an der Wallstreet: Wegen der niedrigen Verzinsung von Staatsanleihen gingen die Anleger angeblich in Aktien.
Seit Mitte November, als der Dow Jones auf den tiefsten Stand seit elf Jahren fiel, hat der Leitindex bereits wieder 20 Prozent zugelegt.
Zu den größten Gewinnern zählten General Motors, die noch kurz vor Jahresende eine erste lebenswichtige Kredittranche aus dem milliardenschweren Rettungspaket der Regierung erhalten. Chrysler erhielt ebenfalls die ersten Milliarden an staatlicher Kredithilfe.
Ford gab bekannt, dass der Autoabsatz in den USA 2009 im Vergleich zum Krisenjahr 2008 weiter fallen werde.
Nach der Finanz- und der Autobranche bittet nun auch die in eine Absatzkrise geratene Stahlindustrie die US-Regierung um Unterstützung. Wie die "New York Times" berichtete, fordern die Stahlkonzerne vom künftigen Präsidenten Barack Obama ein Infrastrukturpaket in Höhe von bis zu einer Billion Dollar, um die Stahlnachfrage anzukurbeln.
Mit großer Spannung wartet die Wall Street auf die Einzelheiten des Konjunkturprogramms, das Obama am kommenden Montag mit Kongressmitgliedern besprechen will. Medienberichten zufolge ist eine Summe von 675 Milliarden bis 775 Milliarden Dollar im Gespräch. Das Paket werde vermutlich Investitionen in die Infrastruktur und Steuersenkungen beinhalten.
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„Alle zahlen jetzt die Zeche“
von Michael Brackmann und Jens Münchrath
Der Vorsitzende des Deutschen Historikerverbands, Werner Plumpe, warnt trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise vor Schwarzmalerei. Im Handelsblatt-Interview spricht der Chefhistoriker über den Vergleich zwischen aktueller Krise und Großer Depression aus dem Jahre 1929 sowie die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels.
Handelsblatt: Herr Plumpe, funktionierten die Jahrmärkte des Mittelalters besser als die heutigen Finanzmärkte?
Plumpe: Sie scherzen. Vergleichen lässt sich das wohl kaum. Dennoch: Im Mittelalter stellten die städtischen Wochenmärkte die Alltagsversorgung der Bevölkerung sicher. Zweimal im Jahr gab es dann noch Jahrmärkte, zu denen auswärtige Händler anreisten, die auf den Wochenmärkten nicht zugelassen waren. Auf den Jahrmärkten konnte die Bevölkerung Luxuswaren kaufen. Die Märkte waren stark reguliert, aber der Marktmechanismus funktionierte.
Und heute? Ist bei den erratischen Kursausschlägen an den Börsen noch Adam Smith’ „unsichtbare Hand“ im Spiel?
Natürlich geht es an den Börsen nach wie vor um Angebot und Nachfrage. Doch die „unsichtbare Hand“ war ja immer nur eine Metapher – die theoretische Vorstellung vom Markt als dem Ort, wo Angebot und Nachfrage über den Preis zum Ausgleich gebracht werden. In der Wirklichkeit gibt es unterschiedliche Märkte, die alle mehr oder weniger stark reguliert sind. Schon im Mittelalter schrieb der Staat beispielsweise vor, wann die Märkte geöffnet sind und welche Waren dort verkauft werden durften.
Und wie sieht es mit der viel zitierten Selbstreinigungskraft des Marktes aus?
Auch die ist zunächst nur eine theoretische Vorstellung, wenn auch eine faszinierende. Klar ist jedenfalls, dass Märkte in der Praxis keineswegs zum Gleichgewicht neigen. Schon Schumpeter ...
... Österreichs berühmter Ökonom, der Wirtschaftsentwicklung als Prozess schöpferischer Zerstörung beschrieb ...
... hat ja mit dieser Illusion aufgeräumt. Güter- und Dienstleistungsmärkte können zwar mehr oder weniger effizient sein, ein Gleichgewicht aber stellen sie nicht her. Sonst wären sie ja statisch. Für den Kapitalismus sind zyklische Krisen typisch. Wenn wir die hohe Produktivität des Kapitalismus haben wollen, müssen wir die Krisen in Kauf nehmen. Im Übrigen: Auch Blasen sind keine dem Markt fremde Erscheinungen.
Wollen Sie uns das Desaster auf den Märkten als bloßen Schicksalsschlag verkaufen?
Nein. Die gegenwärtige Krise hat drei konkrete Voraussetzungen: Computerisierung, Globalisierung und Derivatisierung. Vor allem die Derivatisierung der Finanzmärkte hat die Komplexität des Systems extrem erhöht.
Sie meinen die Tatsache, dass das Volumen der weltweit gehandelten Derivate mindestens zehnmal so hoch ist wie das globale Bruttosozialprodukt.
Genau, an den Finanzmärkten wird heute mit Hebeln gearbeitet, die bis vor einigen Jahren noch unvorstellbar waren. Die Derivatemärkte haben längst jeden Bezug zur realen Wirtschaft verloren. Wenn dann die Märkte auch noch, wie von der US-Notenbank, jahrelang mit billigem Geld geflutet werden, kommen Prozesse in Gang, die eine erhebliche Dramatik entfalten können.
Neben der Fed werden auch Banker kritisiert, die ständig neue Verbriefungen erfanden, um Rendite und Boni zu steigern. Sind sie nicht die eigentlich Schuldigen?
Die Frage nach den Schuldigen ist nicht entscheidend ...
... die öffentliche Aufregung über „gierige Manager“ also verfehlt?
Ich kann nicht beurteilen, was die Banker zu den Verbriefungen bewogen hat und ob kriminelle Energie im Spiel war. Dass jedoch insgesamt ein bestimmtes moralisches Verhaltensmuster für die verrückte Entwicklung an den Märkten verantwortlich wäre, halte ich für abwegig. Das beschreibt das System nicht wirklich. Ich verstehe, dass man aus politischer Sicht Schuldige benötigt. Politik muss ja Handlungsfähigkeit zumindest simulieren können – da sind Schuldige immer willkommen. Aus Sicht der Wirtschaftsgeschichte aber haben wir es mit komplexen Systemen zu tun, die sich nicht ohne weiteres steuern lassen. Man kann nicht einfach sagen, der oder jener hat einen Fehler gemacht, der dann die Krise ausgelöst oder verstärkt hat.
Sind die Billionenbeträge, mit denen die Staaten das Finanzsystem stützen, auch bloße Simulation?
Nein, bei den Summen handelt es sich natürlich vor allem um reale Kapitalspritzen und Bürgschaften. Die Politik hat erkannt, dass es ein Fehler war, Lehman Brothers untergehen zu lassen. Nebenbei bemerkt: Es ist schon erstaunlich, in welchem Tempo plötzlich in Deutschland dreistellige Milliardenbeträge bewegt werden können – ohne nennenswerte parlamentarische Debatte.
Halten Sie die staatlichen Rettungsmaßnahmen für überzogen?
Das ist schwer zu beurteilen. Wir sind heute nach wie vor in einer Situation, in der niemand wirklich weiß, wie die Krise sich noch entwickeln wird. Im Bergbau sagte man früher: „Vor der Hacke ist duster.“ Deshalb finde ich es richtig, dass die Bundesregierung jetzt erst einmal eine Politik der „ruhigen Hand“ betreibt. Es wird ja viel dramatisiert. Auch das lässt sich übrigens historisch belegen: In den großen Wirtschaftskrisen dachten die Menschen immer, dass die Probleme gigantisch und ohne Beispiel in der Geschichte seien. Der deutsche Historiker Hans Rosenberg diagnostizierte 1931 gar eine regelrechte „Krisenneurose“.
Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist also, anders als viele Experten meinen, nicht historisch einzigartig?
Historisch ohne Beispiel ist diese Krise mit Sicherheit nicht. Viele Krisen des 19. Jahrhunderts sind ähnlich verlaufen. Es ging fast immer damit los, dass in Amerika irgendeiner nicht mehr zahlen konnte. Das ist schon 1857 bei der ersten Weltwirtschaftskrise so gewesen. Damals waren europäische Banken in den amerikanischen Eisenbahnbau verwickelt. Nach dem Konkurs einer US-Eisenbahngesellschaft brach die Kreditkaskade in den USA und in Europa zusammen.
Ist die gegenwärtige Krise ähnlich gefährlich wie die 1929 einsetzende Große Depression?
Das wird oft behauptet, ist aber, zumindest soweit man das heute sagen kann, überdramatisiert. In der Weltwirtschaftskrise ging das deutsche Bruttosozialprodukt um 35 Prozent zurück. Jeder zweite Deutsche war direkt oder indirekt von Arbeitslosigkeit betroffen. Da gab es richtiges Massenelend. Das kann man sich heute kaum noch vorstellen – und sollte es auch nicht an die Wand malen.
Spitzenpolitiker stimmen die Bevölkerung aber auf die tiefste Rezession in der deutschen Nachkriegsgeschichte ein – auch nur Dramatisierung?
Warten wir es ab. Gemessen an der Großen Depression, müsste es schon sehr schlimm kommen. Man sollte auf die fundamentalen Daten blicken: Pessimisten sagen für 2009 einen Rückgang des Bruttosozialprodukts bis zu vier Prozent voraus. Aber Arbeitslosigkeit und Inflation sinken immer noch. Der deutsche Außenhandel geht zwar zurück, ist aber nach wie vor auf einem zuvor noch nie da gewesenen hohen Niveau. Man sollte die Kirche im Dorf lassen.
Täuscht der Eindruck, dass Wirtschaftskrisen in immer kürzeren Abständen ausbrechen? Die Dotcom-Blase platzte schließlich erst vor sieben Jahren.
Eben. Im Großen und Ganzen erleben wir nach wie vor im Zyklus von sieben, acht Jahren eine Krise. Manche sind gravierend, andere wie die Krise des Neuen Marktes weniger einschneidend. Ich erinnere mich noch: Damals saßen Studenten in meinem Seminar und kauften mal eben per Handy Intershop- oder Kinowelt-Aktien, deren Kurse gerade durch die Decke schossen. Nach dem Kursrausch kam dann der Kater.
Dann nennen Sie doch mal ein historisches Beispiel, wo zwei ähnlich gravierende Krisen in so kurzem Zeitraum aufeinanderfolgten.
Nehmen Sie die deutsche Hyperinflation von 1922/23, auf die ab 1929 die Weltwirtschaftskrise folgte. Dagegen war die Krise des Neuen Marktes realwirtschaftlich nicht wirklich tragisch. Da handelt es sich bei der jetzigen Krise schon um ein anderes Kaliber.
Unter welchen Bedingungen fallen Krisen denn besonders heftig aus?
Wenn es vorher große Blasen gab oder wenn, wie nach 1929, die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge zerbrechen. Mit derartig tiefgreifenden Krisen sind dann auch immer Paradigmenwechsel im ökonomischen Denken verbunden, die selbst zeitweilig krisenverschärfend wirken können. Insofern ähnelt die gegenwärtige Krise auch der Gründerzeitkrise von 1873. Sie führte zum Ende des liberalen Paradigmas und der Vorstellung, dass der Staat den Markt möglichst frei walten lassen sollte. Heute erleben wir erneut einen Wandel der ökonomischen Wertvorstellungen – und das Ende des sogenannten neoliberalen Paradigmas. Das Ideal des eigeninteressierten, möglichst deregulierten Wirtschaftsakteurs hat ausgedient. Was wir nun bekommen werden, ist die Vorstellung, dass der Staat in erheblichem Maße vor den Risiken des Kapitalismus schützen soll, nicht zuletzt durch Einhegung der Finanzmarktakteure. Nur weiß niemand so genau, wie das praktisch geschehen kann.
Schlägt jetzt wieder die Stunde des Big Governments?
Die Finanzmarktkrise hat das in den letzten zehn Jahren vorherrschende Modell des ausschließlich renditegetriebenen Kapitalismus delegitimiert. Wir müssen uns fragen, welche staatlichen Interventionen und Regulierungen jetzt notwendig sind.
Haben Sie eine Antwort?
Die Weltwirtschaftskrise hat gezeigt: Wenn Staaten nicht gut miteinander kooperieren, gibt es einen Wettlauf in den Protektionismus, wie das vor allem im Sommer 1931 der Fall war, als Großbritannien den Goldstandard aufgab und zum Protektionismus umschwenkte. Danach setzte ein Wettlauf in die Abschottung ein – mit fatalen Folgen. Das lehrt die Weltwirtschaftskrise: Es muss internationale Kooperation geben, und zwar vor allem der jeweiligen Nationalstaaten. Die Europäische Union oder der Internationale Währungsfonds sind hierzu derzeit kaum in der Lage und im Grunde auch gar nicht demokratisch legitimiert.
Was müssen die Nationalstaaten tun?
Jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist, liegen die notwendigen Maßnahmen ja auf der Hand: Verbriefungen müssen zurückgefahren, Finanzgeschäfte mit mehr Eigenkapital unterlegt werden.
Sie sprechen von einem Paradigmenwechsel. Im Jahr 2005 prognostizierten Sie noch das „Ende des rheinischen Kapitalismus“. Würden Sie das heute auch noch so schreiben?
Der rheinische und der angelsächsische Kapitalismus sind Phänomene des 20. Jahrhunderts. Die Entwicklung wird nicht zurückgehen Richtung Deutschland AG. Es war ja schon das erklärte Ziel der rot-grünen Bundesregierung, die gegenseitige Verflechtung der Konzerne aufzuheben. Deshalb stellte die Regierung Schröder den Verkauf von Firmenbeteiligungen steuerfrei – und schuf mit der „Initiative Finanzplatz Deutschland“ die Voraussetzungen für eine stärkere Rolle der Kapitalmärkte. Die Geister, die Rot-Grün gerufen hat, werden wir jetzt so schnell nicht mehr los. Außerdem sind die Dax-Konzerne ja bereits überwiegend im Besitz ausländischer Aktionäre. Die jetzige Krise wird nicht dazu führen, dass etwa die Bayer AG oder die Deutsche Bank künftig wieder zu 90 Prozent in der Hand deutscher Unternehmen und Privatanleger liegen wird.
Die USA spielten nach Ihrer Einschätzung bei vielen Krisen eine Geburtshelferrolle. Kann der neue Präsident Barack Obama daran etwas ändern?
Es hat in der amerikanischen Geschichte immer wieder starke Präsidenten gegeben, die einiges bewirken konnten. Aber selbst dem legendären Franklin D. Roosevelt ist es erst mit Hilfe der Kriegswirtschaft gelungen, die Folgen der Großen Depression zu überwinden. Mit Obama erhöhen sich die Chancen, dass sich etwas ändert. Vielleicht hat er die Kraft, eine kulturelle Wende einzuleiten – weg von der überzogenen Konsumkultur hin zu mehr Solidität und Nachhaltigkeit. Aber er findet eine desaströse Lage vor.
Das klingt im Vergleich zu Ihren vorherigen Aussagen ziemlich pessimistisch.
Das fundamentale Problem ist, dass die USA mehr verbrauchen als produzieren. Die Amerikaner haben ihren Lebensstandard hochgehalten, obwohl die Fundamentaldaten der Wirtschaft das nicht mehr hergaben. Entscheidend ist, ob die USA in der Lage sein werden, vom Leben auf Pump auf nachhaltiges Wirtschaften umzusteuern.
Aber fürchten sich nicht viele gerade vor den globalen Folgen eines Käuferstreiks in den USA?
Das ist richtig. Man kann die USA aber nicht isoliert betrachten, das Spiel haben alle mitgespielt. Nicht nur die Asiaten, sondern auch die Europäer. Europäische Banken haben die US-Schrottpapiere gekauft, so dass Amerikaner mit dem Geld weiter Porsche fahren konnten. Alle haben eine Zeit lang davon profitiert, jetzt müssen alle die Zeche dafür zahlen.
Glauben Sie an den vielbeschworenen Niedergang der USA?
Nein, die Amerikaner werden auf lange Zeit die dominierende Wirtschaftsmacht bleiben – auch wenn sich China annähert. Aber das westliche System hat nichts an Attraktivität verloren. Denn eine wirklich positive ökonomische Entwicklung gibt es nur, wenn man die Produktivkräfte freisetzt. Das heißt, wenn man der Bevölkerung Freiheit gibt und Zugang zu Bildung ermöglicht. Deshalb wird es für die USA langfristig entscheidend sein, ob sie es schaffen, das – von wenigen Spitzenuniversitäten abgesehen – brachliegende Bildungssystem wieder zu revitalisieren. Das ist die Voraussetzung dafür, dass die Amerikaner auf breiter industrieller Basis wieder mehr Qualität produzieren können. Derzeit ist das Land in der Tat in vielen Brot-und-Butter-Industrien nicht mehr konkurrenzfähig.
Chefhistoriker
Der Forscher
Werner Plumpe blickt aus dem dritten Stock des ehemaligen Hauptgebäudes der IG Farben auf die Frankfurter Bankenskyline. „Einen besseren Standort kann man sich als Wirtschaftshistoriker kaum wünschen“, sagt der 54-jährige Professor. Seit 1999 lehrt er Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität. Beeinflusst von Niklas Luhmanns Systemtheorie untersucht Plumpe vor allem die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, wobei Unternehmensgeschichte einen Schwerpunkt bildet. Im Sinne Luhmanns formuliert er: „Komplexe Systeme lassen sich nicht wirklich steuern.“ Deshalb ist für ihn die Frage nach der individuellen Schuld in der jetzigen Finanzkrise zweitrangig – nicht auf die Einzelperson kommt es an, die Systeme sind entscheidend. Die heutigen Spitzenmanager der Dax-Konzerne sind aus Plumpes Sicht von „Treibern der Globalisierung zu Getriebenen der Kapitalmärkte“ mutiert.
Publikationen
Der Frankfurter Forscher ist Mitherausgeber des Standardwerks „Moderne Wirtschaftsgeschichte. Eine Einführung für Historiker und Ökonomen“. Seine Habilitationsschrift von 1994 behandelt die Mitbestimmung in der Chemie- und der Metallindustrie der Weimarer Republik. Zurzeit arbeitet er an einer Studie über Carl Duisberg, von 1912 bis 1925 Generaldirektor des Bayer-Konzerns.
Der Verband
Plumpe wurde im Oktober 2008 auf dem Historikertag in Dresden zum Vorsitzenden des Verbands der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD) gewählt. Für vier Jahre ist er somit Deutschlands „Chefhistoriker“. Im VHD tobt derzeit ein Kampf um die Frage, ob die Historischen Fakultäten, wie vom Wissenschaftsrat geplant, einem zentralen Ranking unterworfen werden sollen. Plumpe stemmt sich dagegen – und argumentiert nicht zuletzt mit Erfahrungen, die sich aus der derzeitigen Finanzkrise ergeben: „Hätten die Banker sich nicht auf die Ratingagenturen verlassen und stattdessen ihren eigenen Verstand gebraucht, wäre uns einiges erspart geblieben.“
Dieser Beitrag wurde nicht geprüft, www.silbernews.at übernimmt keine Verantwortung für Angemessenheit oder Genauigkeit dieser Mitteilung. Quelle: http://www.handelsblatt.com