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Finanzkrise – Was die Politik tun kann

von Joachim Scheide
Die Finanzkrise hat die Realwirtschaft mit voller Wucht getroffen. Deutschland steht vermutlich vor der schwersten Rezession in der Nachkriegszeit, fürchtet Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Als Gegenmaßnahme schlägt er wachstumsfördernde Maßnahmen vor, da diese die mittelfristigen Einkommenserwartungen positiv beeinflussen.

Die Folgen der Finanzkrise sind in den Industrieländern nun deutlich spürbar, und auch in den Schwellenländern mehren sich die Zeichen für eine kräftige Abschwächung der Konjunktur. Das zusammengefasste reale Bruttoinlandsprodukt der Welt wird im kommenden Jahr voraussichtlich so langsam zunehmen wie seit Jahrzehnten nicht mehr, und in den Industrieländern wird die gesamtwirtschaftliche Produktion sogar erstmals seit Langem deutlich schrumpfen.
Schwierige Konjunkturprognose
Das Ausmaß und die Länge der Rezession sind ungewöhnlich schwierig abzuschätzen, denn die Erfahrungen mit Finanzkrisen in der Vergangenheit liefern keine klare Orientierung. Vielmehr bieten sie ein großes Spektrum von möglichen Entwicklungen: In einigen Fällen schwächte sich die Konjunktur nur moderat ab, in anderen brach sie regelrecht ein und es folgte eine lange schwere Rezession. Ein Vergleich ist auch deshalb nur schwer möglich, weil frühere Krisen zumeist auf einzelne Länder oder Regionen beschränkt waren. Alles in allem bestehen erhebliche Abwärtsrisiken für die Konjunktur.
Derzeit befinden sich wichtige Indikatoren im freien Fall, Nachfrage und Produktion sind in den meisten Industrieländern deutlich abwärts gerichtet. Dies gilt ebenfalls für Deutschland. Auch wenn sich in den vergangenen Jahren die fundamentalen Bedingungen vor allem in Folge der Arbeitsmarktreformen verbessert haben, kann sich die deutsche Wirtschaft dem Abwärtssog nicht entziehen, denn die Auslandsnachfrage beginnt wegzubrechen; auch die Inlandsnachfrage sinkt spürbar. Außerdem sind die Banken in Deutschland kaum weniger von der Krise betroffen als in den meisten anderen Ländern. Hier zu Lande stehen wir wahrscheinlich vor der schwersten Rezession in der Nachkriegszeit.
Die Finanzkrise trifft die Realwirtschaft nun mit voller Wucht, nachdem es zunächst so ausgesehen hatte, als seien die Folgen nicht dramatisch. So war die amerikanische Wirtschaft bis in das Jahr 2008 hinein scheinbar robust, gegenüber der Entwicklung in früheren Immobilienkrisen hob sich die Konjunktur in den USA zumindest eine Zeitlang positiv ab. Auch in Deutschland setzte sich die Expansion fort. Als Folge des überraschend hohen Anstiegs des realen Bruttoinlandsprodukts im ersten Quartal dieses Jahres wurden die meisten Konjunkturprognosen sogar noch nach oben korrigiert. Gleichwohl waren die Anzeichen für einen Abschwung nicht zu übersehen. Im Euroraum setzte er bereits gegen Ende 2007 ein, was zu einer Abnahme der Auftragseingänge bei der deutschen Industrie führte. Im Verlauf dieses Jahres hat sich auch das Geschäftsklima eingetrübt. Regelrecht eingebrochen ist die Konjunktur nach der Jahresmitte, als sich die Krise bei den Banken zuspitzte und unklar war, ob es nach der Pleite der Investment Bank Lehman Brothers zu weiteren Bankzusammenbrüchen kommen würde. Insofern ist die eigentliche „Überraschung“, dass die Finanzkrise erst relativ spät einen markanten Einfluss auf die Konjunkturdaten zeigte.
Die Rezession ist zwar nicht nur, aber auch als eine Korrektur der zuvor beobachteten Übertreibungen anzusehen. Das Wachstum der Weltwirtschaft in der langen Boomphase war nicht nachhaltig, denn es wurde getrieben durch eine Reihe von Fehlentwicklungen bzw. Ungleichgewichten, vor allem auf den Immobilienmärkten und damit auch im Finanzsektor. Die Realzinsen waren ungewöhnlich niedrig, weil Risiken nicht hinreichend berücksichtigt wurden; auch dies trug zu der Übersteigerung bei. Im Nachhinein erweisen sich Schätzungen für das Potentialwachstum, die sich auf die tatsächliche Expansion des realen Bruttoinlandsprodukts in den vergangenen Jahren stützten, als zu hoch. Mittelfristig müssen wir uns auf einige Korrekturen einstellen. So werden die Risikoprämien wohl höher sein als noch vor wenigen Jahren. Auch deshalb dürfte das Wirtschaftswachstum geringer ausfallen als noch vor einiger Zeit erwartet.
Angemessene Maßnahmen der Wirtschaftspolitik
Wie kann und sollte die Wirtschaftspolitik reagieren? Es wäre illusorisch zu erwarten, dass man mit umfangreichen Maßnahmen die Konjunktur vollkommen glätten könnte. Die Politik kann jedoch einiges tun, um die Anpassung an das neue „Gleichgewicht“ abzufedern. In der öffentlichen Debatte in Deutschland scheint es fast ausschließlich darum zu gehen, wie stark die Finanzpolitik gegensteuern sollte, um den Konjunktureinbruch zu mildern. Dabei ist dieser Fokus aus mehreren Gründen nicht angemessen:
* Erstens ist der gegenwärtige Abschwung durch die weltweite Finanzkrise verschärft worden. Dies ist der wesentliche Unterschied zu früheren Rezessionen. Es sollte deshalb Priorität haben, die Probleme im Bankensektor zu beheben.
* Zweitens ist bei einem konjunkturellen Abschwung auch die Geldpolitik gefordert. Viele Makroökonomen gehen sogar so weit, dass sie die Aufgabe der Stabilisierung hauptsächlich bei der Geldpolitik sehen.
* Drittens ist zu beachten, dass die Finanzpolitik die Konjunktur durch die automatischen Stabilisatoren stützt. Sie sind in Deutschland stärker ausgeprägt als beispielweise in den USA; im kommenden Jahr dürften sie immerhin eine Größenordnung von rund 1½% in Relation zum Bruttoinlandsprodukt erreichen.
Alles in allem sind also durchaus Faktoren angelegt bzw. noch zu erwarten, die sich stabilisierend auswirken werden; dazu gehören auch der Rückgang der Rohstoffpreise und die Abwertung des Euro.
Grenzen einer diskretionären Finanzpolitik
Sollte die Finanzpolitik mehr tun? Die Bundesregierung hat ein Paket verabschiedet, dessen Wirksamkeit allerdings gering zu veranschlagen ist. Subventionen oder Hilfen für einzelne Branchen wirken verzerrend und belasten die öffentlichen Haushalte unnötig.
Ganz generell werden in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur die Erfolgschancen einer diskretionären Finanzpolitik kritisch beurteilt. Hier gelten im Prinzip dieselben Einwände wie bezüglich der diskretionären Geldpolitik: Sie kann eher schaden als nützen, denn die mittelfristigen Ziele werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erreicht, und bei der kurzfristigen Stabilisierung der Konjunktur ist eine solche Politik möglicherweise unwirksam. Derzeit liegt aber eine besondere Situation vor: Durch die Finanzkrise können die üblichen stabilisierenden Wirkungsmechanismen gestört werden, und die Gefahr, dass sich die Banken bei der Kreditvergabe anhaltend restriktiv verhalten, ist groß.
Vorgeschlagen werden häufig Maßnahmen, die schnell umgesetzt werden können, zeitlich begrenzt sind und auf einen großen Impuls für den privaten Konsum setzen; so wird auch für Deutschland vorgeschlagen, Steuergutscheine zu verteilen. Dieses Argument, das sehr stark auf eine Feinsteuerung der Konjunktur abzielt, hilft in der gegenwärtigen Lage jedoch wenig, zumal die Rezession wohl nicht auf ein oder zwei Quartale beschränkt sein wird, sondern wohl ungewöhnlich lange anhalten wird. Der wesentliche Nachteil von Steuergutscheinen ist, dass sie das Produktionsniveau allenfalls vorübergehend anheben, nicht aber den Potentialpfad.
Vorrang für Wachstumspolitik
Entscheidend in der gegenwärtigen Phase der Verunsicherung ist, dass die mittelfristigen Einkommenserwartungen positiv beeinflusst werden. Daher sollte das Wirtschaftswachstum gefördert werden. Dies kann man zum einen durch öffentliche Investitionen in Sachkapital und in Humankapital erreichen, zum anderen durch Steuersenkungen, die dauerhaft sind. Beide Maßnahmen haben den großen Vorteil gegenüber kurzfristig orientierten Maßnahmen, dass sie im Hinblick auf das mittelfristige Wachstum ohnehin angebracht sind.
Auch in der gegenwärtigen Situation ist eine umfassende Reform der Einkommensteuer mit einer deutlichen Entlastung der Bürger sinnvoll. Zentral wären dabei eine Senkung der Grenzsteuersätze sowie eine Erhöhung des Grundfreibetrags. Der Vorteil wäre, dass man einerseits die Anreize erhöhen, andererseits auch Bezieher niedriger Einkommen begünstigen könnte. Eine solche Reform wird jedoch von der Bundesregierung nicht gewünscht. Eine sinnvolle Alternative ist, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen. Diese Maßnahme lässt sich schnell umsetzen, zumal es keine Auseinandersetzungen zwischen den Gebietskörperschaften gäbe, denn die Finanzierung erfolgte allein durch den Bund. Ferner sollten auch in der Rezession die heimlichen Steuererhöhungen durch eine Verringerung der Steuersätze verhindert werden.
Die vorgeschlagenen Maßnahmen – die Abschaffung des Solidaritätszuschlags, die Vermeidung der heimlichen Steuererhöhungen sowie kurzfristig umsetzbare staatliche Investitionen – addieren sich zu einem Betrag, der im kommenden Jahr rund 1% des Bruttoinlandsprodukts ausmachen könnte. Dies wäre ein kräftiger Impuls.
Bei alldem muss jedoch klar sein, dass nach einer Normalisierung der konjunkturellen Lage wieder das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts angegangen wird, wie es den Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts entspricht. So wie die Geldpolitik dann die Leitzinsen rasch anheben sollte, um die Inflationserwartungen zu kontrollieren, muss der Staat das strukturelle Budgetdefizit zurückführen. Hier sollte man auf der Ausgabenseite ansetzen. Das Potential für Kürzungen ist vorhanden, insbesondere im Bereich der Subventionen.
Wiederholung der Großen Depression?
Die Konjunkturaussichten werden vorerst düster bleiben. Eine naheliegende Frage lautet: Droht ein ähnlich dramatischer Einbruch wie in der Großen Depression? Hier sollte man sich einige Fakten in Erinnerung rufen: In den Jahren 1929 bis 1932 sank das reale Sozialprodukt in Deutschland um insgesamt 16%, und der Index der Verbraucherpreise verringerte sich gleichzeitig um 22%. Niemand erwartet heute auch nur annähernd eine solche Entwicklung. Ein wesentlicher Grund ist, dass die Ursachen der Depression besser verstanden werden und dass die Politik daraus gelernt hat. Dies betrifft vor allem die Geldpolitik.
Der Autor
Prof. Dr. Joachim Scheide, 59, ist Leiter des Prognose-Zentrums am Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel.

Dieser Beitrag wurde nicht geprüft, www.silbernews.at übernimmt keine Verantwortung für Angemessenheit oder Genauigkeit dieser Mitteilung. Quelle: http://www.handelsblatt.com