„Nicht die Fehler von 1929 wiederholen“
von Ruth Berschens
EU-Handelskommissarin Catherine Ashton fürchtet dramatische Einbußen im Welthandel. Im Handelsblatt-Interview erläutert sie, warum in der Krise die Versuchung groß ist, die Einfuhrzölle zu erhöhen. Sie spricht zudem über die Erwartungen an US-Präsident Barack Obama und äußert Verständnis für Merkels Befürchtungen bezüglich der US-Autohilfen.
Handelsblatt: Frau Kommissarin, im Kampf gegen die Krise greifen immer mehr EU-Staaten zu protektionistischen Mitteln. Was bedeutet das für den europäischen Handel?
Catherine Ashton: Den Regierungen muss klar sein, dass Protektionismus den Abschwung nur verlängern würde. Ich kann zwar nachvollziehen, dass alle Staaten ihre Industrie retten wollen. Doch der berechtigte Schutz der Unternehmen darf nicht in Protektionismus ausarten.
Und wo verläuft die Trennungslinie zwischen beidem?
Protektionismus beginnt da, wo Staatshilfen für die Industrie kein strategisches Ziel mehr haben wie etwa die Entwicklung grüner Produkte. Das berechtigte Bedürfnis, die eigene Industrie zu schützen, muss zudem einhergehen mit dem Bekenntnis zu einem offenen Binnenmarkt
Das wollen die EU-Regierungschefs beim Gipfel am Sonntag abgeben. Doch reicht ein so vages Bekenntnis überhaupt aus?
Ich halte es sogar für sehr wichtig: Die EU muss starke Zeichen setzen gegen den Protektionismus, um den Märkten verlorengegangenes Vertrauen zurückzugeben. Natürlich muss auf solche symbolische Erklärungen dann auch konkretes Handeln folgen. Doch das ist Aufgabe der nationalen Regierungen und der EU-Kommission.
EU-Kommissionschef Barroso strebt eine zweite Amtszeit an und meidet deshalb Konflikte. Ist die Kommission unter diesen Umständen stark genug, um protektionistische Staatsbeihilfen in manchen Mitgliedstaaten zu verhindern?
Ob Barroso wiedergewählt wird oder nicht, ist nicht meine Sache. Die Kommission muss jetzt sehr stark sein. Sie muss die nationalen Konjunkturprogramme koordinieren und dafür sorgen, dass sich alle an die Regeln des EU-Binnenmarktes halten.
Unterminieren die protektionistischen Tendenzen in der EU Ihre Bemühungen um einen freien Welthandel?
Ich fühle mich überhaupt nicht unterminiert. Aber es stimmt schon: Wir müssen bei uns selbst genauso wachsam sein wie bei den anderen. Und das bedeutet, dass wir unsere Märkte so weit öffnen müssen wie möglich.
Von den Landwirten über die Industrie bis zur Finanzwirtschaft rufen in der Krise alle nach Staatshilfen. Sehen Sie da überhaupt eine Chance für ein neues Welthandelsabkommen?
Ja. Allen Handelsministern, mit denen ich gesprochen habe, ist klar, dass ein erfolgreicher Abschluss der Doha-Runde absolut entscheidend ist. Die Chancen dafür stehen jetzt besser als im vergangenen Sommer. Das wirtschaftspolitische Klima hat sich seitdem total verändert.
Inwiefern?
Jetzt in der Krise ist die Versuchung groß, die Einfuhrzölle zu erhöhen. Im Rahmen der geltenden Handelsabkommen besteht für die Regierungen da noch viel Spielraum. Wir schätzen, dass eine Anhebung der Zölle bis zur erlaubten Obergrenze das Welthandel-Volumen um 300 Mrd. Pfund vermindern würde, ein gewaltiger Betrag. Wir brauchen einen Abschluss der Doha-Runde, um diesen Rückfall zu verhindern.
Auf wen kommt es jetzt besonders an?
Wir warten auf zwei Staaten: die USA und Indien. Der neue US-Präsident wird bald seine handelspolitische Strategie vorlegen, und in Indien stehen Wahlen an. Insgesamt bin ich optimistisch für die Doha-Runde.
Was erwarten Sie von Obama?
Ich habe den Eindruck, dass der US-Präsident sein Land global neu positionieren will. Dabei spielt der Welthandel eine wichtige Rolle. Wir brauchen das Doha-Abkommen, damit sich die Rezession nicht verschlimmert. Ich wäre überrascht, wenn die 20 größten Industrie- und Schwellenländer bei ihrem Gipfel im April in London kein entsprechendes Signal senden würden.
Sie treffen den neuen US-Handelsminister Ron Kirk Mitte März. Worüber wollen sie mit ihm sprechen?
Ich will eine starke Beziehung zum wichtigsten Handelspartner Europas aufbauen. Dafür sollten wir die Möglichkeiten des Transatlantic Economic Council besser nutzen. Drei unserer Spitzenbeamten führen darüber bereits Gespräche in Washington.
Kanzlerin Merkel ist besorgt über die US-Subventionen für die Autoindustrie. Teilen Sie diese Sorge?
Es ist absolut legitim, dass die US-Regierung ihre Industrie erhalten will. Man muss sehen, dass Industriepolitik in den USA auch soziale Elemente hat, zum Beispiel geht mit dem Arbeitsplatz die Krankenversicherung verloren. Merkel hat dennoch recht, wenn sie bei Staatsbeihilfen für die US-Autoindustrie zur Vorsicht mahnt. Schließlich haben ausländische Hersteller sehr viele Jobs in den USA geschaffen. Von Toyota bis BMW produzieren viele in den USA. Wir dürfen nicht die protektionistischen Fehler wiederholen, die die Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre mitverursacht haben.
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Quelle: » Handelsblatt.com