Das Ende des Bären
Von Jan Dams
Vor einem Jahr kippte die US-Investmentbank Bear Stearns - Seitdem tobt die Finanzkrise auf der ganzen Welt
Berlin - Spätestens seit dem 15. März 2008 gilt Nouriel Roubini in New York als Prophet. Es ist der Tag, an dem mit Bear Stearns die fünfgrößte Investmentbank der USA zusammenbricht. Nur durch einen Notverkauf, abgesichert mit Geld der US-Notenbank Fed, entgeht das Haus der Insolvenz. Roubini hatte es vorhergesagt.
Den Lesern seines GlobalEconoMonitor wird klar, dass die Weltwirtschaft an der Schwelle zu einer Krise steht, wie sie die Staaten zuletzt ab 1929 erlebt haben. Einen seiner Aufsätze hatte der Wirtschaftsprofessor "die zwölf Schritte zum Finanz-Desaster" genannt. Darin die düstere Prognose: "Eine nahezu globale Rezession wird folgen, wenn die Verluste der Banken aus dem Kapitalmarkt- und Kreditgeschäft sowie eine Kreditklemme sich über den Globus verbreiten."
Unter Punkt neun hatte der Volkswirtschafts-Professor bereits am 5. Februar in einem provozierend lässigem Tonfall vorhergesagt: "Wegen der größer werdenden Probleme in der Wirtschaft, den Finanzmärkten und einem ärmlichen Risikomanagement werden einige Finanzunternehmen über die Wupper gehen, darunter möglicherweise auch ein oder zwei große und für die Stabilität des Finanzsystems wichtige Investmentbanken." Vier Wochen später, am 14. März, präzisierte Roubini: "Und heute ist der erste dieser großen Broker Dealer - Bear Stearns - auf der Schwelle zum Bankrott." De facto sei die Bank längst pleite.
Seinen Anfang nahm das Debakel aber schon viel früher. Die Geschichte der Finanzkrise beginnt Mitte der 90er-Jahre: In dieser Zeit bauen die US-Amerikaner pro Jahr mindestens 1,2 Mio. neue Häuser. Wer es sich leisten kann, kauft ein Haus zu niedrigen Zinsen, statt es zu mieten. Das lohnt sich, denn die Wohnungspreise steigen rasant. Wer 1995 für 200 000 Dollar ein Haus kauft, kann es fünf Jahre später mit 60 000 Dollar Gewinn wieder verkaufen. Weitere fünf Jahre später ist es noch viel mehr wert.
Es klingt wie das Perpetuum mobile der Geldvermehrung. Denn auf den steigenden Wert ihrer Immobilien nehmen viele Amerikaner weitere Kredite auf, finanzieren damit teure Autos, Reisen, Schmuck oder die Ausbildung der Kinder.
Nach der Jahrtausendwende beschleunigt das Rad auf ein absurdes Tempo. Amerikas Politik legt Programme auf, die auch ärmeren Bürgern zu den eigenen vier Wänden verhelfen sollen. Selbst Menschen ohne regelmäßiges Einkommen bekommen Hypothekenkredite. Die US-Banken treiben das riskante Spiel zusätzlich an, denn sie haben einen Weg gefunden, wie sie das eigentlich untragbare Risiko scheinbar gefahrlos eingehen können.
Im Auftrag der Banken entwickeln Finanzmathematiker Methoden, mit denen sich Tausende einzelner Kredite zu einer Art Kuchen zusammenrühren lassen. Zerschnitten in einzelne Scheiben verkaufen die Häuser die Gebilde über den Globus. Die Banker nennen das Geschäft Verbriefung. Jetzt können sie mit Krediten handeln, als wären es Autos, Fernseher oder eben Kuchenstücke. Alle finden die Idee gut, sie erscheint clever und kommt wie eine Lehre vergangener Krisen daher: Hohe Risiken werden atomisiert. Viele Schultern tragen mehr als wenige. Regionale Banken können ihr Kreditbuch diversifizieren.
Nur ändert das Geschäft schon bald seinen Charakter. Weil sie die strukturierten Anlagen, beispielsweise Asset Backed Securities (ABS), höhere Zinsen bringen als etwa Anleihen, investieren immer mehr Banken Milliardenbeträge in diese Produkte. Bear Stearns macht mit, Lehman Brothers auch. Mit dabei sind auch die Bayerische Landesbank, die IKB, die Dresdner Bank und viele andere. In den guten Zeiten, in denen die Zinsen niedrig sind und die Hauspreise steigen, lassen sich Milliarden verdienen. Und damit die Aufseher den Banken nicht zu genau auf die Finger schauen, lagern sie ihre Papiere in Gesellschaften mit so ominösen Namen wie Ormond Quai aus.
Heute bezeichnen Politiker dieses Treiben als verantwortungslos. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) schimpft auf die Banker, weil sie die Risiken nicht durchschaut hätten. Doch er sitzt im Glashaus: "Seitens des Bundesfinanzministeriums wird im Umsetzungsprozess der Basel-II-Regeln für ABS vor allem auch darauf geachtet werden, dass den Instituten keine unnötigen Prüf- und Dokumentationspflichten entstehen werden, wenn sie in 'gängige' ABS-Produkte mit guten Rating investieren", schreibt noch im September 2006 Jörg Asmussen. Der Autor, damals Ministerialdirektor im Bundesfinanzministerium, ist inzwischen Steinbrücks Finanzstaatssekretär und für die Rettung der Finanzbranche zuständig.
Neun Monate später, im Sommer 2007, kündigt sich an, welche Kehrseite das massenhafte Investment in "gängige ABS-Produkte mit gutem Rating" für die Finanzwelt haben würde. An einem Sonntag Ende Juni dreht Bear-Stearns-Chef James Cayne eine Runde auf seinem Golf-Kurs. Währenddessen braut sich im Hauptquartier in Manhattans Madison Avenue ein Unwetter über der 85 Jahre alten Investmentbank zusammen. Zwei der Bear-Stearns-Hedgefonds, die Milliarden Dollar in spekulative Papiere des US-Hypothekenmarkts investiert hatten, geht das Geld aus.
Die Schieflage ist gewaltig. Die Muttergesellschaft Bear Stearns muss schnell aushelfen. Kein Grund zur Panik, glaubt die Branche noch. "Die Fonds sind nur ein Bruchteil des Geschäfts", sagt Bill Fitzpatrick von Johnson Family Funds damals. Er gehe nicht davon aus, dass die Krise den Gewinn der Bank deutlich schmälern werde. Fitzpatrick liegt daneben.
Was an diesem Sonntag geschieht, erweist sich später als der Anfang vom Ende. Genauso wie Banker und Investoren das Geschäft mit verpackten Immobilienkrediten jahrelang für der Weisheit letzten Schluss gehalten hatten, zweifeln sie dessen Wert nun an. Sie erkennen, dass viele Hausbesitzer bei steigenden Zinsen und schwacher Konjunktur ihre Raten nicht mehr zahlen können. Viele müssen ihre Häuser verkaufen. Damit verlieren sie an Wert, genauso wie die Kredite, von denen fast jede größere Bank auf der Welt mittlerweile Milliardenpakete hält. Panik macht sich breit. Weil alle ihre strukturierten Papiere verkaufen wollen, sinken die Preise ins Bodenlose. Der Markt bricht zusammen. Aus dem Perpetuum Mobile wird eine Abwärtsspirale.
Vor einem Jahr endet diese Spirale für Bear Stearns abrupt. Es ist das Wochenende vom 15. und 16. März 2008. Cayne, mittlerweile Verwaltungsratsvorsitzender, vergnügt sich bei einem Bridge-Turnier auf dem Land. In New York macht derweil das Gerücht von der Pleite seiner Bank die Runde. Panisch ziehen die anderen Häuser Geld ab. Innerhalb weniger Stunden stürzen die Aktien ins Bodenlose. Großaktionär Cayne verliert 477 Mio. Dollar.
Bear Stearns Zeit ist abgelaufen. Gesichert mit einem Notkredit der Fed wird das Geldhaus an den Konkurrenten J.P. Morgan fast verschenkt. "Man wird nicht oft von einem Konkurrenten angerufen und gefragt, ob man nicht umgehend seine Bank kaufen könne", sagt JPMorgan-Chef Jamie Dimon kurz danach der WELT. Spätestens seit der Pleite von Lehman Brothers im September dürfte sich selbst das geändert haben.
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Quelle: » http://www.welt.de