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Es wäre typisch ...

So ungewöhnlich die aktuellen Rahmenbedingungen auch sind, so gewöhnlich sind die Reaktionen darauf. Der Erfolg klassischer Modelldenker krankt daran, dass kein Szenario einem Vorbild der Vergangenheit derart stark gleicht, dass man aus wirtschaftlichen Entwicklungen oder Kursverläufen früherer Jahre schließen kann, wie es im „Hier und Heute“ weitergehen wird....

Es mag durchaus sein, dass wir eine fröhliche Melange aus Japan in den frühen 90ern und den USA in den frühen 30ern sehen. Aber das heißt noch lange nicht, dass wir nun einfach die historischen Verläufe der Kurse damals an die heutigen Kurse anhängen könnten und so einen gewinnbringenden Fahrplan für die kommenden Monate und Jahre hätten.
Auf der anderen Seite basiert der weitaus größere Erfolg derer, die sich mit dem Sentiment, sprich der Marktstimmung und der Anlegerpsychologie beschäftigen, darauf, dass man über das Denken, Reden und Handeln der Investoren der 30er, 90er oder wann auch immer sehr wohl Pauspapier legen und es auf die aktuelle Lage anwenden kann. Rahmenbedingungen ändern sich ... Menschen nicht. Der Gag dabei ist, dass einzelne Akteure natürlich immer individuell denken und handeln. Aber das gilt nicht für die Masse. Während man die Aktionen eines Einzelnen keineswegs vorhersehen kann, ist das für eine Masse aus Hunderttausenden von Personen schon eher möglich. Nie absolut sicher, nie perfekt, gar keine Frage. Aber es ist ein Ansatz.
Basis des ganzen ist die schlichte Erkenntnis, dass wir alle permanent von unseren Emotionen gelenkt werden und genau dies ebenso permanent bestreiten. Das fragile Gleichgewicht zwischen Käufen und Verkäufen, dessen bereits marginale Verschiebung durchaus zu zackigen Kursveränderungen führen kann, ist dominiert von Gier, Hoffnung, Verunsicherung oder blanker Angst. Wobei bei den Akteuren dominierende Gier heutzutage nicht mehr zwingend steigende, Angst nicht notwendigerweise fallende Kurse bedeuten muss. Denn ein gieriger Baissier kann eine Aktie oder gar einen Index durch massive Leerverkäufe in Grund und Boden prügeln, ein panischer Baissier aber durch seine Eindeckungen eine Rallye lostreten. Was die aktuelle Situation ein klein wenig überschaubarer macht als noch vor drei Wochen (das ist zumindest meine Ansicht) ist, dass eben diese Baissiers momentan eher die Luft anhalten bzw. durch die jüngste Rallye bei Aktien, aber auch bei vielen Rohstoffen ein geringeres Gewicht haben.
Ich habe in den vergangenen Tagen einfach mal große Ohren gemacht und zugehört, was Analysten, Marktbeobachter, Medienkommentatoren und andere Börsendienste momentan so denken und sagen. Und ich für meinen Teil habe den Eindruck, dass wir ein einer dermaßen typischen Situation potenzieller emotionaler Fehltritte sind, dass es eigentlich sogar nahezu „einfach“ wäre, das richtige zu tun ... wenn man bereit und willens ist auseinander zu dröseln, was man einerseits an Fakten vor sich sieht und was zu sehen einem andererseits die eigenen Emotionen vorgaukeln. Da genau dies die überwiegende Zahl der Akteure aber nicht kann bzw. nicht für nötig hält, weil sie glaubt, dass ihre Handlungen immer absolut rational und emotionslos sind, meine ich, könnten nun zwei Dinge passieren, die ab-so-lut typisch für die Börse wären:

Es wäre typisch ... wenn das Schlafmittel wirken würde
Zunächst zu den Rahmenbedingungen. Es wäre typisch, wenn der gestern präsentierte „Geithner-Plan“ mit dem Ziel, Investmentschrott unters Volk zu streuen und ihn so unter zahllose Wohnzimmerteppiche zu kehren (um ihn dort dann friedlich liegen zu lassen und so aus dem Weg zu haben), tatsächlich dazu führen würde, wenn die Investoren das Thema Finanzmarktkrise für Wochen oder gar Monate einfach „vergessen“ würden. Was, mit Verlaub, scheinbar auch der Sinn der Sache sein dürfte.
Dieser Getihner-Plan ist eine einigermaßen komplexe Geschichte, aber das, was wir wissen, klingt eingängig und tadellos ... weil sich die meisten gar nicht fragen, was sie nicht wissen. Klar, wären die Kurse am Aktienmarkt gerade im Sinkflug, würde man kritischer hinterfragen. Da die Kurse aber auf die Bekanntgabe des Plans hin stiegen, scheint er ja o.k. zu sein. Das ist ebenfalls typisch: Gar nicht erst selber denken ... wozu auch ... immerhin zeigen die Kurse an, dass andere, die nachgedacht haben, das Ganze gut finden – also ist es auch gut. Dumm nur, dass das genauso abläuft wie früher das Abschreiben in der Schule. Einer, von dem man annimmt, er habe Ahnung, rechnet falsch, die anderen schreiben es ab ... und alle glauben dennoch, die Lösung zu haben.
Ich meine, es wäre zumindest angebracht darüber nachzudenken, ob nicht nur die erste Reaktion Basis der Montags-Rallye war. Denn immerhin hatten wir am Freitag zuvor großen Verfalltermin an den Terminbörsen ... die Bären hatten es zumindest geschafft, die großen Indizes und Aktien unter entscheidenden Charthürden (und damit Strikepreisen) zu halten, bleiben aber nervös ... und dann dieser Plan. Da reicht es doch, wenn im allerersten Moment (an dem noch keiner Ahnung hat, was der Plan wirklich genau beinhaltet) einige größere Adressen nervös eindecken, dadurch eben diese Chartmarken sprengen ... und der Rest sind Stop-Loss-Eindeckungen. Prompt entsteht der Eindruck, dieser Plan sein die ultima ratio ... aber ist er das?
Ich will an dieser Stelle nicht so tun, als könnte ich komplexe volkswirtschaftliche Auswirkungen dieses Planes besser erfassen und darstellen als die großen Auguren dieser Disziplin. Ich kann es nicht. Ich meine jedoch, dass die Grundidee, den Banken das Gerümpel aus der Hand zu nehmen, denen so eine permanente Fußfessel abzunehmen, den Investmentschrott dann zu konservieren und zu isolieren wie einen Computervirus, bis sich die Gesamtlage verbessert und aufklart, durchaus Sinn hat. Mir kommt nur zweierlei komisch vor:

Der Trick des „sanften Vergessens“? Gorleben lässt grüßen
Erneut werden „toxic assets“ in handliche Pakete verpackt und zum Verkauf angeboten. Das hatten wir ja schon mal. Ist die Durchdringbarkeit dieser Pakete höher, wenn statt dem Namen einer Bank der der US-Regierung draufsteht? Wird der Anleger denn jetzt wirklich wissen, woran er sich beteiligt? Und zum zweiten: Warum ist die US-Regierung so nett, auf jeden von den Investoren investierten Dollar sechs vom Staat draufzulegen, die Gewinne dann aber brüderlich hälftig zu teilen? Braucht es denn wirklich diesen siebten Dollar von privater Seite? Bei dem relativ geringen Anteil externen Kapitals hätte die Regierung das Ganze doch auch selber komplett finanzieren können. Oder war das Geld gerade alle, weil die Notenpresse klemmt? Oder aber will man so nur das Gefühl „wir sitzen alle in einem Boot“ wieder aus der Versenkung holen, um unter den Investoren Ruhe zu erzeugen und dazu beizutragen, dass sie das Thema dadurch, dass ein Teil des Ganzen unter ihrem eigenen Teppich ruht, der eigene Kapitalanteil aber relativ gering ist, nach und nach vergessen?
Kann gut sein. Und es könnte ebenso gut sein, dass dieses Vorhaben gelingt. Denn wo wir Menschen können, blenden wir negative Dinge aus. Dieser Trick hat seit Jahrtausenden hingehauen ... und möglicherweise auch diesmal. Natürlich würde dies das Risiko bergen, dass man einfach genau das bekommt, was man sich wünscht ... und in diesem Fall fatal wäre: Einfach so weitermachen wie bisher. Denn klar ist, dass „das mit den Banken und diesen Milliarden ja skandalös ist und so nicht weitergehen darf“, wenn ich mal des Volkes Stimme zitieren darf. Aber dennoch hätte gerne jeder von uns sein Leben und seinen Besitz so behalten, wie es vorher war (sofern er damit zufrieden war). Nun gibt es aber keinen grundlegenden Wandel ohne persönliche Opfer (die aber keiner bringen möchte, wenn es sich vermeiden lässt). Also greift man zum Mantel des Vergessens, breitet ihn über handliche Pakete voller Giftmüll (Gorleben läst grüßen) und transportiert so die Lösung des Problems mehrere Jahre in die Zukunft. Das dicke Ende wird dadurch nicht abgewendet ... aber auf kommende Generationen und kommende Regierungen abgewälzt. Nach uns die Sintflut. Immerhin – Rom hat das mehrere Jahrhunderte hingekriegt, bevor endgültig Sense war.

Es wäre typisch ... wenn die Rallye weitergehen würde
Nun sollte jedermann klar sein, dass der Ursprung der momentanen Gegenbewegung nach oben keineswegs eine tiefgreifende Verbesserung der Gesamtlage oder gar eine Lösung der Finanzkrise war. Es waren schlicht Eindeckungen riesiger Shortpositionen, die systematisch aufgebaut und immer höher gestapelt wurden, ohne dass man sich (auch typisch) dabei zeitgerecht Gedanken gemacht hat, wie man sie wieder abbauen könnte, ohne nach einer relativ langen Abwärtsbewegung riesige Massen an Akteuren vorzufinden, die händeringend darum betteln, den Baissiers ihre Shortpositionen auf Crashniveau abzukaufen. Wie so oft kamen diese händeringenden Bettler nicht, man wurde nervös, deckte in dünne Umsätze ein und trat damit eine Rallye los. Da der Verfalltermin, nunmehr absolviert, vor der Tür stand, wurde diese Rallye einfach eine Nummer größer. Bis dahin ist alles normal ... und man könnte nun durchaus davon ausgehen, dass die Aktienmärkte nun wieder so langsam aber sicher nach unten abdrehen. Kann durchaus sein. Aber es wäre typisch, wenn sie es nicht täten. Denn:
Wohin ich auch meine Ohren hänge, überall höre und lese ich, dass wir hier nur eine typische Bärenmarktrallye sehen, die dementsprechend nur kurz währt und nicht weit reicht. Die Kommentatoren zeigen entweder ein wissendes, arrogantes Lächeln oder eine dezent verhaltene Verärgerung, je nachdem, ob sie nicht investiert (erstere Gesichtszüge) oder immer noch massiv Short sind und gerade kräftig auf den Hut bekommen. Dann gibt es noch diejenigen, die ein wenig verunsichert einräumen, dass wir hier durchaus, so mal rein theoretisch, die Tiefs der Baisse gesehen haben könnte, man aber gut daran täte, hierzu erst eine Bestätigung abzuarten – entweder in Form eines erfolgreichen Retests der bisherigen Tiefs oder zumindest in Form eines größeren Rücksetzers. Nicht gereicht werden grinsende Gesichtszüge, die Leuten gehören, die diese Entwicklung vorhergesagt hatten und nun schon gut investiert sind. Weil es sie nicht gab. Auch ich kann und will mich zu denen nicht zählen, auch wenn das Depot des SYSTEM22 nun relativ stark bestückt ist und an steigenden Kursen verdient. Deswegen habe ich keineswegs gewusst, wann und wo die Rallye beginnen würde. Ich hatte nur viele Positionen gehalten und sukzessive zugekauft, weil kein Kurseinbruch ewig währt (was man aber nur glauben kann, wenn man die typisch menschlichen Emotionen ein wenig verdrängen kann). Aber das ist der Punkt:
Das haben wenige getan. Umso mehr halten ihre Shortpositionen einfach weiter und hoffen darauf, dass die Kurse nun schnell nach unten drehen. Damit stellen sie aber andererseits das Käuferpotenzial dar, das die Kurse im Gegenteil durch Eindeckungen weiter nach oben bringt, falls die Kurse eben nicht wieder schnell abstürzen.
Und die wissend lächelnden Fondamanager wissen sehr wohl, dass sie Probleme bekommen, falls ihre Einschätzung nun umgehend wieder fallender Kurse fehlgeht ... und sie dann in ihren Fonds einen zu hohen Barbestand haben, sodass nach der bisherigen Rallye nun auch weiter anziehende Kurse an ihnen vorbeilaufen.

Und kaum einer ist dabei ...
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass an dieser bisherigen Rallye, obgleich sie z.B. im US-Index S&P 500 von den Tiefs bei 666 Punkten bis zum Hoch gestern sagenhafte 23,5% beträgt, kaum jemand dabei ist. Und das ist von der Sache her ja gut möglich, man muss sich nur mal das Ganze etwas plastischer vorstellen:
Die Aussage „niemand hat im Moment Aktien“, die man immer mal wieder hört, ist natürlich Blödsinn. Die Zahl der Aktien nimmt nicht ab, nur, weil sie im Kurs fallen. Irgendwer muss sie also haben. Aber dass von einer Rallye dennoch nur wenige profitieren, ist dennoch möglich. Wie oben erwähnt entsprang diese (wie fast jede) Rallye vor allem Eindeckungen von leer verkauften Aktien bzw. von Shortpositionen. Wer eindeckt, sichert so seine Baissegewinne oder begrenzt seine Baisse-Verluste, aber er profitiert ja nicht von den steigenden Kursen. Und da gerade solch eine relativ lange und intensive Abwärtsbewegung in der Endphase sehr stark von solchen Baisse-Operationen dominiert wird, haben echte Aktienkäufe und –Verkäufe in der Nähe der Tiefs sukzessive abgenommen.
Klar, wer Aktien hat, profitiert in gewisser Weise von diesem Kursanstieg. Aber nur diejenigen, die Barbestände auch nahe der Tiefs zu Aktienkäufen genutzt hatten, fahren jetzt auch Gewinne ein. Die Mehrzahl der anderen reduziert nur Verluste, und das ist natürlich weit weniger befriedigend. Und diejenigen, die ihre Barbestände hoch –, aber nicht nahe der Tiefs wieder heruntergefahren haben, stehen nun da und hoffen, dass die Kurse drehen ... entweder so richtig, damit sie es nicht bereuen müssen, nicht gekauft zu haben oder doch zumindest so weit, dass die noch zu einigermaßen guten Kursen einsteigen können. Bleibt aber die Frage:

Die Ziegel in der Mauer der Angst
Wer wird denn nun dafür sorgen, dass es dazu kommt? Wer wird den Baissiers aus der Patsche und denen, die nicht ausreichend investiert sind, zu guten Einstiegskursen verhelfen, indem er jetzt verkauft? Klar, Gewinnmitnahmen kommen immer. Aber alleine heute Mittag hörte ich an drei Stellen: „Na, sehen Sie, die Kurse drehen ja schon wieder nach unten“. Das ist vielsagend, denn wenn der S&P-Future mal ein Prozent ins Minus geht, nachdem er am Tag zuvor sieben Prozent gestiegen ist, dann ist das nur normal und nicht mehr als Gewinnmitnahmen. Doch aus solchen Sprüchen hört man klar die verborgene Emotion heraus „hoffentlich geht es jetzt wieder runter“.
Würden die Auguren in den Medien nun die Trendwende verkünden und Börsenzeitungen das Ende der Baisse vermelden, ich würde diesen Artikel nicht schreiben sondern beginnen, den Wechsel auf die Baisse-Seite vorzunehmen. Aber dass in dieser Hinsicht so völlige Funkstille ist, lässt den Gedanken zu, dass es – typischerweise – völlig anders kommen könnte, als es die Mehrheit glaubt und/oder hofft. Zumal:
Das Bild ist zumindest momentan nicht ganz so wie bei einer „normalen“ Bärenmarktrallye, denn zum einen steht das Quartalsende vor der Tür – und viele Fonds sitzen nach dem scharfen Einbruch von Mitte Januar bis Mitte März auf empfindlich hohen Barbeständen. Und zum anderen haben der Dow Jones mit der Zone 7.450/7.550 und der S&P 500 mit der Zone 800/804 gestern wichtige Widerstandslinien überboten und notierten zur Stunde auch während laufender Gewinnmitnahmen darüber.
Diese beiden Aspekte erzeugen ein Nervositätspotenzial bei der scheinbar sehr hohen Zahl derer, die Short oder nicht investiert sind. Und genau das ist die Angst, aus der die vielzitierte „Mauer der Angst“ besteht, an welcher Aktienkurse, oft wider die externen Rahmenbedingungen und eben genau wider Erwartung und Hoffnung der Mehrheit der Investoren, weiter emporklettern können. Und mit jedem Prozent, das die Indizes jetzt noch aufsatteln könnten, steigt die Zahl derer, die nicht wirklich handeln wollen ... aber wegen Unterinvestition oder Verlusten in Shortpositionen handeln müssen.
Wenn dann noch der Versuch gelingt, das Thema Finanzmarktkrise ein wenig unter den Teppich des Vergessens zu kehren, könnte es wahrhaftig sein, dass diejenigen unter uns, die die Börse immer nur rein rational und in engem Gleichlauf mit der konjunkturellen Entwicklung betrachten, wieder mal verärgert mit dem Kopf schütteln und konstatieren: „Die spinnen, die Börsianer“. Daher meine ich, wäre für den der investiert ist, am besten: Stopps gestaffelt unter wichtige Chartmarken setzen und sich zu viele Gewinnmitnahmen rein aus dem Bauch heraus verkneifen. Wie gesagt: Es muss nicht so kommen, keineswegs. Aber ... es wäre typisch!

Mit den besten Grüßen
Ihr Ronald Gehrt
(» www.system22.de)

Dieser Bericht wurde nicht geprüft. Für Richtigkeit der Angaben übernimmt Silbernews.at keine Haftung.
Quelle: » Frank-Meyer.eu