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"Jetzt brechen alle Dämme"

Von Nils-Viktor Sorge
Abwrackprämie, Kinderbonus, Rettungsschirme: Die Regierung pumpt neue Milliarden in Wirtschaft und Gesellschaft. Gleichzeitig erodieren die Steuereinnahmen. Auf bis zu 160 Milliarden Euro taxiert der Kieler Ökonom Alfred Boss das Staatsdefizit für 2009. Nun droht Inflation, warnt er im Interview mit manager-magazin.de.

mm.de:
Herr Boss, die Bundesregierung hat gerade die Abwrackprämie für Autos verlängert und macht dafür neue Milliardensummen locker. Nur ein teures Wahlkampfgeschenk?
Boss: Jetzt brechen scheinbar alle Dämme. Dass die Prämie nun noch länger gezahlt wird, ist eine kleine Katastrophe. Sie verzerrt den Wettbewerb und ist nichts weiter als eine typische Subvention. Unter dem Strich ist sie für die Bürger deshalb sogar ein Nachteil.
mm.de: Immerhin verhilft die Prämie der Autoindustrie und den Beschäftigten zu ein wenig Optimismus.
Boss: Vor allem im Ausland. Die Rumänen werden sich jetzt riesig freuen und fahren wahrscheinlich Sonderschichten, um ihre Autos für den Export zu produzieren. Außerdem lohnt sich der Kauf nur bei Kleinwagen richtig. Deutsche Premiumhersteller wie Daimler und BMW profitieren kaum.
mm.de: Trotzdem - der Konsum kommt durch diese staatliche Anschubfinanzierung in Schwung.
Boss: Falsch. Viele Einzelhändler beklagen die Abwrackprämie nicht ohne Grund. Sie argumentieren zu Recht: Wenn sich die Leute ein Auto kaufen, kaufen sie sich möglicherweise keine Möbel. Das Geld wird willkürlich in die Autoindustrie gelenkt, andere Branchen sind die Leidtragenden.
Im Zusammenhang mit der Abwrackprämie werden manchmal unglaubliche Rechnungen präsentiert. Möglicherweise kaufen die Leute zwar kurzfristig mehr Autos. Doch die Autos, die jetzt gekauft werden, wären irgendwann ohnehin gekauft worden. Das heißt umgekehrt: Wenn die Prämie irgendwann nach der Wahl wegfällt, ist das Problem der Autoindustrie umso größer. Die Regierung sieht nur die kurzfristigen Effekte. Unter dem Strich mag die Prämie minimal etwas für Produktion und Beschäftigung bringen, aber die dafür nötigen Milliardenkredite müssen ja auch verzinst werden.
mm.de: Gemessen an den Summen, die der Staat derzeit in die Wirtschaft pumpt, nehmen sich die Mittel für die Abwrackprämie bescheiden aus. Die Neuverschuldung droht zu explodieren, und die Konjunkturprognosen werden immer düsterer. Wie schlimm kann es für den Haushalt kommen?
Boss: Wir rechnen mit einem Rückgang des Bruttoinladsprodukts um 3,7 Prozent. Wenn es so kommt, müsste der Gesamtstaat in diesem Jahr Kredite in Höhe von 119 Milliarden Euro netto aufnehmen. Davon sind etwa 50 Milliarden für die Beteiligung an maroden Banken. Fällig werdende Bürgschaften für die Finanzinstitute sind allerdings noch nicht eingerechnet.
mm.de: Ein Minus von 3,7 Prozent mutet geradezu optimistisch an. Was passiert mit dem Haushalt, wenn das Minus 6,5 bis 7 Prozent beträgt, wie einige Volkswirte erwarten?
Boss: Nehmen wir an, das reale BIP sinkt um einen Prozentpunkt mehr, als von uns zuletzt erwartet, dann fehlen bei den Steuern weitere sechs Milliarden Euro. Bei den Sozialabgaben fehlen weitere vier Milliarden, und der Staat müsste Mehrausgaben von drei bis fünf Milliarden Euro für Arbeitslosengeld und anderes verkraften. Je Prozentpunkt, den die Wirtschaft noch stärker schrumpft, wären das also etwa 14 Milliarden Euro.
Wenn man nun die pessimistischen Prognosen heranzieht, ergeben sich im Vergleich zu unserer Prognose Abweichungen von 42 Milliarden Euro. 42 Milliarden? Oh Gott, ja. Das wäre für 2009 eine Nettokreditaufnahme von 161 Milliarden Euro. Schrumpft die Wirtschaft um 7 Prozent hätten wir 3,3 Prozent Abweichung zu unserer Prognose. Das mag ich gar nicht mehr ausrechnen.
mm.de: Wann können wir diesen Schuldenberg jemals wieder abtragen?
Boss: Das ist eine gute Frage, über die ich immer wieder nachdenke, ohne dass ich eine klare Antwort habe. Entscheidend ist, was passieren wird, nachdem die Verschuldung jetzt so stark steigt. Werden dann die Steuern erhöht? Damit würde das nötige Wachstum gleich wieder abgewürgt. Auch die Unternehmen werden noch länger Schwierigkeiten haben, wieder Fahrt aufzunehmen. Es spricht einiges dafür, dass die Finanzierungen für Unternehmen teuer werden, weil die Banken hohe Risikoaufschläge einpreisen werden. Und das wird sicher dazu führen, dass die Wirtschaft nach Überwindung der Krise nicht besonders stark wachsen würde.
mm.de: Droht wegen der Schulden mittelfristig eine Inflation?
Boss: Das Inflationsrisiko ist ein sehr reales, vor allem in den USA. Es ist schon fantastisch, wie da mit den Milliarden umgesprungen wird. Ich mache mir große Sorgen, dass die Amerikaner ihre Schulden entwerten, indem sie eine höhere Inflation zulassen.
Wenn die Amerikaner das so machen, dann macht die EZB hoffentlich nicht mit. Andererseits haben wir dann einen aufgewerteten Euro. Die EZB-Verfassung sollte eine zu expansive Geldpolitik verhindern.
mm.de: Wie fühlt es sich an, in diesen Zeiten für solide Staatsfinanzen zu kämpfen?
Boss: (atmet tief durch) Ich mache mir Sorgen über diesen Rückfall in alte Zeiten. Ich hoffe, dass das, was jetzt passiert, eine vorübergehende Sache ist. Aber ich denke, dass die in der Föderalismuskommission geplante Schuldenbremse viel zu spät greift. Käme sie schon 2010 oder 2011, würde ich mich weitaus wohler fühlen.

Dieser Bericht wurde nicht geprüft. Für Richtigkeit der Angaben übernimmt Silbernews.at keine Haftung.
Quelle: » http://www.manager-magazin.de