G20 - "April, April..."
Die 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer tagen in London. Sie repräsentieren zusammen gut 80 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Sie haben sich viel vorgenommen - was allerdings, darüber gehen die Meinungen stark auseinander.
Die USA möchten natürlich auch unter Obama den eigenen Führungsanspruch bekräftigen; der neue Präsident möchte vor allem über die internationale Koordination von staatlichen Anreizprogrammen zur Ankurbelung der Wirtschaft sprechen. Der Denkansatz ist, die Finanzkrise sei mit Regulierung alleine nicht zu lösen, auch nicht mit noch so viel staatlichem Rettungsgeld für Zombie-Banken. Er will, dass vor allem europäische Länder, allen voran Deutschland, mehr steuerpolitische Anreize schaffen.
Europa, typisch Bürokratien, redet hingegen einer umfassenden Regulierung der Finanzmärkte das Wort und möchte eine neue Weltfinanzordnung schaffen, in der nichts und niemand ohne Regulierung und Aufsicht ist. Und China will am liebsten gleich eine neue Weltleitwährung.
Interessant genug, die Bankenrettung steht noch nicht einmal auf der Agenda des G20-Treffens. Statt dessen beschäftigt man sich intensiv mit der Austrocknung von Steueroasen, als ob es nichts Wichtigeres gäbe.
Im übertragenen Sinne wollen die USA den Brand in der Weltwirtschaft löschen, die Europäer möchten hingegen im brennenden Haus Feuermelder installieren.
Ob das Löschmittel der Amerikaner geeignet ist, darüber streiten die Gelehrten. Strauss-Kahn vom IWF sagt dazu, die USA hätten zwar mit ihren staatlichen Anreizplänen recht, ebenso wie die EU mit ihren Regulierungsbemühungen. Aber beide täten nicht genug, um die Banken zu retten. Dem Vernehmen nach überdenkt der IWF gerade seine Schätzung der Bankverluste von bisher 2,2 Bill. Dollar, um sie nach oben zu revidieren.
Strauss-Kahn geht vor allem die Europäer an, und hier insbesondere Deutschland. Finanzminister Steinbrück hatte sich in dieser Woche erneut gegen eine staatliche Bad Bank ausgesprochen, weil er die Belastungen für den Bundeshaushalt auf 200 Mrd. Euro taxiert, wenn diese für eine weitgehende Bilanzbereinigung sorgen soll. Je länger er wartet, je teurer wird es, sagt Wolfgang Münchau in Eurointelligence. Und weist erneut darauf hin, dass Deutschland wegen des eigenen, schwachen Anreizpakets, seiner Exportabhängigkeit in Zeiten kollabierenden Welthandels auf eine Depression zusteuert, die mehrere Jahre anhalten könnte.
Die Finanzmärkte feiern derweil das G20-Treffen auf ihre Art. Nachdem die Rendite der 13-wöchigen TBills zuletzt bei 0,12 Prozent ein Tief markiert hatte, ist sie sprunghaft auf über 0,20 Prozent angestiegen und signalisiert damit starke Verkäufe dieser als Liquiditätsparkplatz geltenden Staatspapiere. Die so frei werdenden Mittel gehen aktuell zusammen mit aus Carry-Trade-Geschäften in Yen generierten in die Asset-Expansion, z.B. in Aktien.
Ihre Botschaft ist klar: Das G20-Treffen wird außer einem blumigen Kommunique nichts beschließen, was die Finanzmärkte negativ tangiert.
Deutschland, Japan und China haben zusammen einen Leistungsbilanzüberschuss von über 600 Mrd. Euro akkumuliert, der Defiziten in anderen Ländern entspricht. Defizite und Überschüsse kommen im Zuge der Krise herunter. Während die Defizitländer massive Anreizprogramme starten und damit große Budgetdefizite verursachen, tut insbesondere Deutschland wenig, sondern setzt darauf, vom Welthandel heraus gehauen zu werden. Die Defizitländer, allen voran die USA, werden so förmlich zu Protektionismus gezwungen, um sicher zu stellen, dass die Steuermittel vorrangig der inländischen Wirtschaft zugute kommen. Der japanische Regierungschef hat im Vorfeld des G20-Treffens Deutschland in ungewöhnlich scharfer Form, vorgeworfen, sich unverantwortlich zu verhalten.
Es ist abzusehen, dass man in der Frage der koordinierten Anreize nicht zu gemeinsamen Taten finden wird. Papier ist geduldig. Damit aber wird der erkennbare Zug zu Protektion Fahrt aufnehmen.
Wie sieht es mit dem anderen Thema aus? Brauchen wir eine umfassende Regulierung der Finanzmärkte bis herunter zur operativen Ebene?
Was ist die Ursache der Krise? Eine riesige Schuldenblase ist geplatzt (platzt immer noch). Zwischen 1994 und 2008 betrug die Zuwachsrate der Kredite in den USA Jahr für Jahr mehr als fünf Prozent und lag damit deutlich über der durchschnittlichen Wachstumsrate des realen BIP. Dieser Zusammenhang ist im Chart "Trouble-Modell - GDP und Schulden" dargestellt, der über diesen Artikel auf www.timepatternanalysis.de eingesehen werden kann.
Der Deflator stieg in dieser Zeitraum entsprechend um jahresdurchschnittlich 2,2 Prozent und erreichte im vierten Quartal 2006 mit 3,16 Prozent seinen Spitzenwert. Bei einem solchen Missverhältnis entsteht Inflation, entweder im Gütermarkt oder im Finanzbereich. Zuletzt war ganz klar die Inflation bei den Hauspreisen in den USA dominierend. Diese Inflation "saugte" immer mehr Kredite an, denen real immer weniger Sachwert gegenüber stand. Als dann die Hauspreise nicht mehr weiter stiegen und die ersten Hypothekenschuldner nicht mehr zahlen konnten, begann die Blase zu platzen.
Wenn die Schulden schneller steigen als das BIP, sind ökonomische Probleme vorprogrammiert, je länger das anhält, je gravierender sind sie. Wie im erwähnten Chart ersichtlich, dauern Aufbau, wie Bereinigung einer Situation wie der aktuellen je rund 15 Jahre. Demnach muss man noch einige Jahre mit den Wirkungen der Bereinigung rechnen. Ich hatte mich mit dieser Frage am 8. Dezember 2008 im Artikel "» Kondratieff und die aktuelle Krise" beschäftigt.
Die Schuldenblase wird alimentiert durch künstlich niedrige Zentralbankzinsen. Banken und andere leihen sich Geld mit kurzen Laufzeiten und investieren es in langfristige Anlagen. So profitabel das Geschäft für sich betrachtet ist, so riskant ist diese Fristendivergenz. Denn das Schicksal langfristiger Anlagen hängt jetzt ganz von kurzfristigen Ereignissen ab. Wenn kurzfristige Kredite mit niedrigen Zinsen nicht mehr ausreichend zur Refinanzierung zur Verfügung stehen, müssen die Assets (zur Unzeit) verkauft werden. Dass dies dann meist weit unter Wert geschieht, lässt ein anfänglich so profitables Geschäft schnell zum Verlustbringer werden.
Zudem hat sich in den frühen 1980er Jahren nach dem Platzen der damaligen Kreditblase ein Schattenfinanzsystem entwickelt, das zuletzt eine dominierende Rolle spielte. Spezielle Investmentvehikel außerhalb der Bank-Bilanzen wurden mit immer höheren Kredithebeln fristendivergent gefahren. Da das Schattensystem keinen direkten Zugang zu den Notenbanken als den Kreditgebern der letzten Instanz hat, war es entsprechend verletzlich. Ein vergleichsweise geringer Anlass reichte da, um eine Kettenreaktion auszulösen - sein Kollaps hat den amerikanischen Steuerzahler bis jetzt nach Rechenschafts-Büro der US-Regierung (GAO) schon 2,98 Bill. Dollar gekostet.
Für mich steht fest: Die Ursache für die aktuelle Krise ist das Platzen einer durch künstlich niedrig gehaltene Zinsen herbeigeführten Schuldenblase. Gier und Spekulation sind hinzukommende Faktoren, haben aber kein eigenes Gewicht. Viel schwerer wiegt das Versagen von Politik und Banken-Aufsicht, die allerspätestens 2004 hätten einschreiten müssen. Dieselben Versager sitzen jetzt in London zusammen und beraten über den Ausweg aus der Krise. Das lässt hoffen...
Meiner Meinung nach geht es darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Märkte funktionieren können. Neoliberales Laissez-faire ist so wenig angebracht wie engmaschige operative Eingriffe in Marktmechanismen. Nicht vergessen: Die Märkte haben auch zuletzt nicht versagt, sie haben vielleicht spät reagiert, dafür umso heftiger, als sie dafür gesorgt haben, dass faule Assets eben auch nichts mehr wert sind.
Wenn ich G20 wäre, würde ich erstens dafür sorgen, dass die Kredit-Hebel begrenzt werden, hier wären auf längere Sicht Werte unterhalb von acht anzupeilen, der Wert hat sich langfristig als Grenzwert herausgestellt. Zweitens müssen Fristendivergenzen verhindert werden, das geschieht natürlich am marktgerechtesten dadurch, dass die Politik des künstlich billigen Geldes am kurzen Ende aufgegeben wird. Drittens ist die Möglichkeit ausufernder Verbriefung von Schulden zu beschränken, z.B. dadurch, dass mindestens 10 Prozent des Risikos beim Emittenten verbleiben. Für all diese Maßnahmen braucht man keine neue Weltfinanzordnung, in vielen Fällen hilft schon die konsequente Nutzung des vorhandenen Instrumentariums weiter.
Mir ist natürlich klar, dass diese Vorschläge wenig Aussicht auf Verwirklichung haben. Ich möchte sie aber als langfristige Orientierung verstanden wissen. Ansonsten entsteht nur Blase auf Blase mit jedesmal katastrophaleren Folgen.
Zum Teufel mit allen operativen Eingriffen von der Beschränkung von Leerverkäufen bis zur Regulierung von Managergehältern und Boni. Und wenn schon Short-selling unter bestimmten Umständen verboten wird, dann aber bitte auch das Eingehen von Long-Positionen - immer schön symmetrisch bleiben! Ich halte auch von ausufernden Haftungsvorschriften für Banken nichts, wobei natürlich direkter Betrug geahndet werden muss. Es ist wie im Supermarkt - wenn jemand ein Pfund Butter will, sich aber ein Fahrrad aufschwatzen lässt, ist das sein Problem. Und wenn derjenige noch nicht einmal Fahrrad fahren kann – was kann der Verkäufer dafür? Und soll man Hedge-Fonds verbieten oder besonders intensiv beaufsichtigen? Nein, warum?
Mit Blick auf Japan schreibt Adam Posen vom Peterson Institute for International Economics in "The Daily Beast", üblicherweise versuchten die Regierungen, gleich welcher Couleur, Bank-Krisen zunächst billig und einfach zu lösen, mit lediglich begrenzter staatlichen Einflussnahme. Faule Assets würden zu teuer bezahlt, das Verhalten der Bank-Industrie werde nicht geändert. Solche Versäumnisse müsse man dann ein paar Jahre später teuer korrigieren. Die Bank of Japan hatte nach dem Platzen der Immobilienblase Anfang der 1990er Jahre zunächst die Geldmenge schnell gesteigert, dann injizierte sie Kapital im Umfang von fast 10 Prozent des japanischen BIP in das Bankensystem. Als die Banken weiter mit der Kreditvergabe zögerten, weitete die BoJ die Geldmenge nochmals drastisch aus. Und dennoch ging die Kreditschrumpfung mit einer Jahresrate von rund 5 Prozent weiter, bis schließlich 2002, der Not gehorchend, die faulen Assets abgeschrieben und die Bankenlandschaft restrukturiert wurde.
Japans "zehn verlorene Jahre" zeigen auch, dass Anreizpakete natürlich für zeitweilig nachlassende Schmerzen sorgen können. Aber die Wirtschaft fällt so lange immer wieder zurück in die Krise, so lange die faulen Assets in den Bilanzen Banken nicht abgeschrieben und Zombie-Banken verschwunden sind.
"Nachlassende Schmerzen" - das lässt sich mit "steil steigenden Aktienkursen" übersetzen. Alles schon mal da gewesen - im Nikkei 225 der vergangenen zwanzig Jahre. Und auch künftig in den USA und Europa nicht ausgeschlossen, wenn die Akteure der schlechten Nachrichten überdrüssig sind und die Lage durch die rosarote Brille betrachten. Aber auch tausend Schwalben machen keinen Sommer. Wenn es kalt bleibt, ziehen die eben wieder weg. Will sagen, Bärmarkt-Rallyes sind kein Beleg dafür, dass das güter- und finanzwirtschaftlich Schlimmste vorbei ist.
Erwähnte Charts können in diesem Artikel auf www.timepatternanalysis.de eingesehen werden.
© Klaus G. Singer
Dieser Bericht wurde nicht geprüft. Für Richtigkeit der Angaben übernimmt Silbernews.at keine Haftung.
Quelle: » Goldseiten.de / » www.timepatternanalysis.de