Lehre aus der Krise: Der Westen wird sparen lernen
MATTHIAS AUER (Die Presse)
Hans-Paul Bürkner steht seit 2003 an der Spitze des Unternehmensberaters The Boston Consulting Group (BCG). Im Interview spricht er über Protektionismus, Sparsamkeit und die Gefahr einer staatlich gefüllten Blase.
Die Presse: In Österreich gibt es zwar keine „Buy Austrian“-Klausel, eine führende Handelskette empfiehlt aber, heimische Produkte zu kaufen. Der Wirtschaft zuliebe. Hilft Protektionismus?
Hans-Paul Bürkner: Nein, es ist wichtig, dass wir jetzt nicht in Protektionismus verfallen. Zwischen 1929 und 1933 gab es einen Rückgang des Welthandels um zwei Drittel, was die Krise stark vertieft hat.
Die Krise geht auch mit einer hohen Arbeitslosigkeit einher. Liegt es da nicht nahe, dass die Politik auf dieses simple Rezept zurückgreift?
Bürkner: Es ist heute gar nicht mehr möglich, nur einheimische Waren zu kaufen. Seit vor zwei Jahren das Nokia-Werk in Bochum geschlossen wurde, gibt es kein in Deutschland produziertes Handy mehr. Länder, die starke Handelsbarrieren errichtet haben, büßen auf lange Sicht nur Wettbewerbsfähigkeit ein. Die Globalisierung ist daher in ihrer Tendenz nicht aufzuhalten.
Was ist jetzt tatsächlich zu tun, um aus dem Schlamassel herauszukommen?
Bürkner: Zunächst müssen die Bilanzen der Banken bereinigt werden. Das ist ein Prozess der nächsten zehn Jahre. Man braucht sicher auch eine stärkere Regulierung und Aufsicht. Ein zweiter Punkt ist der Verschuldungsgrad vieler Privathaushalte in Großbritannien, Spanien und den USA, der reduziert werden muss. Wir werden weniger konsumieren und den Gürtel enger schnallen müssen.
Eine der Lehren aus der Krise heißt also weniger Konsum?
Bürkner: Absolut. Wir haben alle vom Wachstum profitiert, von der Reduzierung der Arbeitslosigkeit, vom Aufschwung in Osteuropa und China. Fast alle Industrien haben enorm expandiert. Da sind Kapazitäten entstanden, die jetzt einmal gefüllt werden müssen. Uns erwarten weniger Konsum und weniger Produktion.
Das Bemühen der Gewerkschaft, mit hohen Lohnabschlüssen die Konsumkraft der Leute aufrechtzuerhalten, läuft also ins Leere?
Bürkner: Die eigentliche Frage lautet: Können die Firmen höhere Kosten verkraften, oder führt das nur zu weiterem Mitarbeiterabbau? Unternehmen, die weniger Nachfrage haben und weniger Mitarbeiter brauchen, werden à la longue abbauen. Wenn sie die Löhne jetzt um fünf Prozent erhöhen müssen, werden sie eben mehr Personal abbauen.
Nicht alle Firmen werden das überstehen. Welche Unternehmen werden wir nach dem Ende der Krise nicht mehr sehen?
Bürkner: In vielen Branchen gibt es hohe Überkapazitäten. In den USA und Europa können etwa 18 Millionen Autos gebaut werden, ein Drittel davon wird nicht gebraucht. Es ist zu erwarten, dass Anbieter übernommen und Fabriken geschlossen werden, um die Kapazitäten aus dem Markt zu nehmen. So kann man Industrie für Industrie durchgehen. Überall gibt es zu viel an Kapazitäten.
Bedeutet die neue Sparsamkeit nicht für viele Unternehmen den Todesstoß?
Bürkner: Die Firmen, die in Boomzeiten gerade überlebt haben, werden jetzt wohl Konkurs anmelden. Es ist nicht nur die konjunkturelle Krise, die es zu überwinden gilt, in vielen Industrien ist es eine strukturelle Krise. Die Medienbranche ist im Umbruch, die Billigairlines stellen das Modell normaler Fluglinien infrage. Die Pharmaindustrie kämpft mit dem Auslaufen vieler Patente bis 2013. Da gehen enorme Umsätze verloren, neue Präparate kommen nicht nach.
Wenn Konsolidierungen wie in der Autobranche Schule machen, steigt die Gefahr, Firmen zu kreieren, die im Krisenfall „too big to fail“ sind und vom Staat gerettet werden wollen.
Bürkner: Auch in der Autobranche schwindet die Zahl der Firmen nicht völlig, es kommen Japaner, Koreaner, Chinesen und Inder. Im Westen schrumpft die Anzahl der Unternehmen natürlich. Es stimmt aber, dass jetzt viele – unabhängig davon, ob die Krise sie getroffen hat oder sie seit zehn Jahren schlecht wirtschaften – kommen und sagen: Es stehen zigtausend Arbeitsplätze auf dem Spiel. Ihr müsst mich retten. Das ist nicht akzeptabel. Wer schlecht wirtschaftet, muss ausscheiden, sonst stecken wir Geld in die Erhaltung des Status quo.
Die Emerging Markets sind mit ihrem exportorientierten Modell ziemlich auf die Nase gefallen. Muss ihr Modell erneuert werden?
Bürkner: 90 Prozent des weltweiten Wachstums kommen heuer aus den Emerging Markets. Vielleicht sogar 150 Prozent, wenn die Wirtschaft in Westeuropa, USA und Japan schrumpft. Das Modell ist also sicher nicht tot. Allerdings gibt es deutliche Ungleichgewichte. Die chinesische Regierung dämpft ihren Exportüberschuss etwa durch die Belebung des Inlandskonsums über die Subventionierung von Elektrogeräten am Land. Das Gewicht der Emerging Markets wird weiter steigen, das von Westeuropa, Amerika und Japan wird geringer. Hier stagniert die Bevölkerung, und unser Konsumniveau schafft natürliche Wachstumsgrenzen. Der Westen kann das Gleichgewicht nur stützen, indem er sparen lernt.
Auf staatlicher Ebene passiert im Moment das Gegenteil. Die meisten Länder stürzen sich für die Konjunkturpakete in neue Schulden.
Bürkner: Es besteht tatsächlich die Gefahr, dass wir durch die staatlichen Konjunkturprogramme gerade die nächste Blase der Übertreibung kreieren. In den nächsten zehn bis 15 Jahren werden wir die Verschuldung vermutlich durch eine große Inflation wieder abbauen. Das ist nicht gut, auf der anderen Seite kann man dem Staat jetzt schwer sagen: Mach kein Konjunkturprogramm.
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