Lassen Sie sich kein X für ein U vormachen
Beim Weltwirtschaftsforum in Davos hat ein wortreicher Schlagabtausch von der Sorte „Wünsch dir was“ stattgefunden, und bei der erfolgreichen Wiederwahlkür von Fed-Chef Bernanke in Washington ist dem Wahlgremium wie auch US-Präsident Obama schließlich ein erleichtertes „Habemus Ben“ über die Lippen gerutscht. Anlass genug, die in diesem Zusammenhang anstehenden Probleme und denkbaren Lösungen mal nicht aus der Sicht von Bankern und Bürokraten, sondern von Bürgern und hier speziell von Geldanlegern zu beleuchten.
Was Bernankes Wiederwahl betrifft: Er wird erst einmal so weitermachen wie bisher, denn die US-Konjunktur lässt keine Straffung der Geldpolitik zu. Das heißt, nach der jetzigen vorübergehenden Erholung, die am Freitag gegenüber dem Euro allzu heftig ausfiel, wird der Dollar per Saldo wieder schwächeln, was danach zumindest der Exportwirtschaft von Uncle Sam gut tun dürfte. Die kommende Schwäche kann – muss aber nicht unbedingt – gegenüber dem Euro eintreten und wird vor allem im Vergleich zu Gold und den anderen Edelmetallen sowie zum Schweizer Franken zu sehen sein. Warum nicht so sehr zum Euro, liegt auf der Hand: Weil die Anti-Euro-Spekulanten mit den maroden Staatsfinanzen Griechenlands – und bald auch anderer Länder des Euro-Blocks – zunächst ein scheinbar triftiges Argument für sich verbuchen können.
Im Übrigen fehlt nicht viel Phantasie zu der Prognose, dass Großanleger, vorrangig die führenden Investmentbanken, den Dollar dann für den sog. Carry Trade nutzen werden, wie sie es bisher überwiegend mit dem Yen getan haben. Das heißt, sie werden sich in Dollar billig verschulden, um zum einen mit der Differenz zwischen niedrigen kurzfristigen und höheren langfristigen Zinsen zu spekulieren, zum anderen mit der Differenz zwischen niedrigverzinslichen Dollarkrediten und höheren Renditen – oder besser: Wertsteigerungen - anderswo. Letztere können sich aus verschiedenen Währungen, aus Anleihen in solchen Währungen, aber auch aus Edelmetallen, Rohstoffen, Aktien oder Immobilien ergeben. Berühmt-berüchtigt und vielen Goldfans noch im Nachhinein ein Gräuel war ja der Gold-Carry Trade in den 90er Jahren, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Damals machten Investmentbanken ein Schnäppchen, indem sie billig geliehenes Gold verkauften und mit dem Erlös aus dem Verkauf höher verzinsliche Anleihen kauften.
Wenn man den Carry Trade-Faden weiter spinnt, taucht unwillkürlich die Frage auf, ob die Notenbanken es sich überhaupt leisten können, die Leitzinsen schon in diesem Jahr zu erhöhen, ohne das zerbrechliche, von Spekulationen durchsetzte Finanzsystem zusammenbrechen zu lassen. Sie können es sich nicht leisten. Jedenfalls gilt das für die US-Notenbank Fed. Ob auch für die Europäische Zentralbank (EZB), hängt im Wesentlichen vom der Konjunktur ab, allerdings nicht nur von der europäischen, sondern wegen der Globalisierung ebenso von der Konjunktur in anderen Erdteilen. Falls die EZB im Lauf dieses Jahres mit einer Leitzinserhöhung vorprescht, würde es unweigerlich zu großen Turbulenzen an den Kapital- und anderen Märkten kommen. Hält sie dagegen still und beschränkt sie sich – wie in den vergangenen Monaten schon geschehen - auf die eine oder andere restriktive Maßnahme in ihrer Geldmengenpolitik, dürften die Turbulenzen zwar geringer ausfallen, aber dennoch stattfinden. Zwischenfazit für Anleger: Warten Sie lieber die Stärke der Turbulenzen ab, bevor Sie erneut Geld anlegen oder irgendetwas aus Ihrem Depot verkaufen.
Ihre Edelmetallbestände und -aktien sollten in dieser Konstellation - trotz der Schwäche der Gold- und Silberaktien am Freitag - eine feste Bank bilden. Sie sollten sie also durchziehen, weil sie in dem beschriebenen Szenario am Ende zu den Gewinnern gehören werden. Was Ihre physischen Bestände betrifft, lohnt sich das Trading ohnehin nicht: wegen der im Verhältnis zu den Geld/Brief-Spannen (bei Silber, Platin und Palladium zusätzlich wegen der Umsatzsteuer) nicht besonders ausgeprägten Preisschwankungen und wegen der Gefahr des falschen Timings. Und in Bezug auf Edelmetallaktien oder -fonds sollten Sie sich immer vor Augen halten, dass nur Altbestände (vor 2009 gekauft) von der Abgeltungsteuer verschont bleiben. Sind die erst einmal verkauft und steigen Sie im Rahmen des Tradings erneut ein, wird diese Steuer auf die daraus erzielten Gewinne fällig.
Trotzdem taucht immer wieder die Frage auf, ob es nicht doch ratsam sei, wenigstens einen Teil der in mehreren Jahren aufgelaufenen Kursgewinne der Edelmetallaktien zu realisieren. Klare Antwort: Wenn Sie das Geld nicht dringend benötigen, auf keinen Fall, denn zu einem Kursturz wie im Herbst 2008 wird es hier nicht ein zweites Mal kommen. Was wir zurzeit bei den Edelmetallpreisen erleben, ist nichts anderes als eine weitere Bewegung in U-Form, wie es sie seit Beginn des Aufwärtstrends im Jahr 2001 bereits mehrfach gegeben hat, mal kleiner, mal größer. Das U kommt zustande, weil im Zuge des abfallenden U-Schenkels die Verkäufer immer nervöser werden, beim U-Boden, der sich gerade abzeichnet, Angebot und Nachfrage ausgeglichen sind und danach die Käufer immer nervöser werden. Die Kurse der Edelmetallaktien entwickeln sich dazu konform, allerdings unter viel stärkeren Schwankungen.
Um die Antwort auf die Frage vorwegzunehmen, was dahintersteckt, dass der Aufwärtstrend der Edelmetalle noch nicht beendet ist: die gigantischen internationalen Schuldenberge, wie ich sie zuletzt in der jüngsten Kolumne unter www.wiwo.de beschrieben habe. Auf eine vereinfachte Formel gebracht: Je höher die Schuldenberge wachsen, desto mehr Preispotenzial haben reale Werte wie Edelmetalle, Rohstoffe und Top-Immobilien – wenngleich unter der Voraussetzung, dass die Schulden auf der anderen Seite nicht schneller abgebaut werden, als sie auf der einen Seite entstehen. Abschließendes Fazit: Wenn, wie zuletzt in Davos, schon jetzt über eine mögliche Goldblase diskutiert wird, dann grenzt das geradezu an die Perversion der Schuldenblase, der irgendwann in der Zukunft – eher später als früher – eine sog. Goldblase folgen wird. Diese sollte man aber besser als Vernichtung von Papiergeld bezeichnen. Denn Gold wird dann, ebenso wie die anderen realen Werte, nur seiner eigentlichen Funktion gerecht: Erhaltung der Kaufkraft.
Manfred Gburek, 29. Januar 2010
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Quelle: » gburek.eu