Dumme Börsen und das Kopf-Problem
von Ronald Gehrt
Was ist das eigentlich, was uns dazu bringt, uns so oft über die Börsen ärgern zu müssen? Warum gibt es so selten saubere, klare Trends ... und warum laufen die dann so oft in eine irrationale Richtung?
Im Moment haben wir eine Phase, in der seit Monaten außer Schwankungen nichts vorangeht. In manchen Bereichen geht es einigermaßen, aber gerade am Aktienmarkt ist es momentan schwierig. Und auch, wenn man gerne denkt, dass man dennoch locker massive Gewinne einfahren würde, wenn man die Vorgehensweise ändert, ist es doch so, dass langfristige Anleger glauben, dass Daytrader momentan zackig kassieren, während diese sich wünschen, einfach nur in Ruhe langfristige Positionen eingegangen zu sein. Denn in Phasen wie diesen kann man letzten Endes nur moderate Gewinne einfahren und damit wie ein Eichhörnchen ein Nüsschen nach dem anderen sammeln, um dann eine ordentliche Kapitalbasis zu haben, wenn wieder eine starke Trendphase beginnt (was ja nie ausbleibt, aber meist erst dann, wenn keiner mehr darauf hoffen mag).
Und auch diese kleineren Gewinne erfordern eiserne Disziplin. Reich werden nur zwei Gruppen: Diejenigen, die die Kapitalkraft haben, um die Börsen zu dominieren und daher vorher wissen, wo die Richtung drehen wird, weil sie es selbst beeinflussen. Und diejenigen, die immer im Nachhinein mit dem Finger auf den Chart zeigen und erklären: Sehen Sie, da hätte man Long gehen müssen. Letztere werden ihren Reichtum allerdings immer nur im Kopf erleben.
Sieht man sich die Kursbewegungen der vergangenen Monate an und setzt sie zu den Rahmenbedingungen ins Verhältnis, könnte man leicht zu dem Schluss kommen, dass die Mehrheit der Akteure zu dieser letzten Gruppe der völlig unbedarften gehört. Doch das ist nicht wahr. Dass wirre Hin und Her der momentanen Börsenphase und die völlige Unmöglichkeit vorherzusehen, was nächste Woche oder gar nur morgen geschehen wird, hat Gründe, die im Endeffekt den Kern der Börse ausmachen: Die Börsen an sich sind strohdumm. Und selbst wenn alle Marktteilnehmer erfahren, klug und diszipliniert wären, bleibe die Börse dennoch dumm.
Warum? Weil die Börse nun mal ein gigantischer Marktplatz ist, an dem weltweit Millionen Akteure gleichzeitig aktiv sind. Und wie bei jedem von uns basieren viele dieser Aktivitäten nicht unmittelbar auf einer Veränderung der Rahmenbedingungen, die eigentlich laut Lehrbuch die entscheidende Größe für die Börsen sein sollten. Nur ein paar Beispiele: Sie können bearish sein und mit fallenden Kursen rechnen ... aber wenn sie im Future Short sind und ihre Gewinne mitnehmen wollen, treiben Sie die Kurse nach oben. Sie können bullish sein, aber Sie erzeugen Druck auf die Kurse, wenn Sie einen Teil der Aktien abgeben, weil Sie sich etwas anderes dafür kaufen möchten. Sie können als Fondsmanager zwar bearish sein – aber wenn ihnen die Sparer Schubkarrenweise Geld vor die Tür fahren, müssen Sie investieren, ob sie wollen oder nicht. Das ließe sich lange fortsetzen. Und das stellen Sie sich mal übertragen auf Millionen von Markteilnehmern vor!
Hinzu kommt, dass die Akteure natürlich nur in relativ wenigen Phasen nahezu einhellig einer Meinung sind. Klar, eine boomende Konjunktur mit wenig Inflation ist für Rohstoffe und Aktien ein absolut bullishes Umfeld. Und eine Rezession ein entsprechend bearishes. Aber wenn diese Vorgaben nicht überaus markant sind, so wie momentan, dann stehen diejenigen, die einen soliden Aufschwung sehen oder sehen wollen, denen gegenüber, die die Weltwirtschaft erneut nach unten kippen sehen. Momentan sind die Signale nicht negativ genug, um diejenigen, die an die vollzogene Wende glauben, vom Gegenteil zu überzeugen. Und die Analysten nebst den Medien spielen zusätzlich eine große Rolle. Alleine die Art und Weise, wie die Analysten-Prognosen für heutigen US-Arbeitsmarktdaten in den Tagen und Stunden zuvor immer bearisher wurden, ermöglichte es, in jedem Fall ein „tolles“ Ergebnis zu präsentieren. Dass das objektiv gesehen nicht toll war, haben dadurch relativ wenige überhaupt bemerkt.
Darüber hinaus wechseln immer wieder Anleger das Meinungs-Lager und damit ihre Positionierung am Markt. Und das sorgt für ein Auf und Ab, das erst dann in einen starken neuen Trend übergehen wird, wenn sich ein Lager entsprechend deutlich füllt und nicht nur nach Köpfen, sondern auch nach Kapitalkraft ein starkes Übergewicht bekommt. Was wiederum bedeutet, dass auch der nächste große Trendimpuls nicht zwingend den Rahmenbedingungen und damit einer objektiven Logik folgen muss.
Beispiel Juli 2009: Die Börsen waren gerade dabei, erneut nach unten abzudrehen, weil die Mehrheit der Anleger nicht an den propagierten Aufschwung glauben konnte. Doch in dem Moment schlugen einige Großbanken zu, die das ihnen quasi gratis zur Verfügung gestellte Geld der Notenbanken dafür missbrauchten, die Börsen nach oben zu prügeln, statt die Wirtschaft mit ausreichend Kredit zu versorgen. Nach Köpfen war das Lager der Bären größer ... aber die Bullen hatten das meiste Kapital. Noch krasser wird dieses Bild dadurch, dass sich die Konjunkturwende seitdem nicht manifestierte und nun ein hohes Risiko besteht, bereits in den ersten Monaten der neuen alten Rezession zu stecken, während die Mehrheit der Anleger bullish ist.
Es sind eben nicht nur die Fakten, sondern auch die Kurse und die Art, wie die Lage in der Öffentlichkeit dargestellt wird, was die Emotionen beeinflusst. Und diese Emotionen eines jeden Einzelnen ebenso wie das, was er gerade im Depot hat, tragen meist mehr zur Meinungsfindung des Individuums bei als die Entwicklung der Rahmenbedingungen. Was dabei herauskommt, ist nun einmal ein dauerndes Hin und Her, das nur in ca. 30% der Zeit klaren Trends weicht.
Die Börsen erscheinen daher meist als „verrückt“, Bewegungen wirken hirnrissig. Aber das ist nicht erst seit Vorgestern so. Es ist unstrittig, dass die Zunahme an Derivaten und die immer bessere Technik dazu beitragen, dass die Bewegungen stärker und schneller werden. Aber dass die Börse nicht das tut, was sie „soll“, ist seit jeher der Fall. Doch es fällt halt oft erst dann auf, wenn man sich von einem schlichten Ärgern über „diesen Mist“ in das Lager derer begibt, die hinter den Vorhang zu schauen bereit sind.
Man ist außerhalb der starken Trends weder als kurz- noch als langfristiger Anleger gegen Verluste gefeit. Egal, ob man Chart-, Markttechnik- oder Sentiment-Analyse oder alles auf einmal betreibt. Hellsehen wäre hilfreich, klappt aber nicht. Man kann nur Disziplin wahren, vorsichtig agieren und den Kopf nicht ausschalten, ihm aber nicht alleine die Entscheidungen überlassen ... denn wie beschrieben, ist die Börse dadurch, dass sie ist, wie sie ist, nicht rational, sondern letztlich „dumm“. Das Handelssystem trägt durch die Streuung der Positionen, die Regeln des Kapitaleinsatzes, die rigide Struktur der Stoppmarken und die Verweigerung vorzeitiger Gewinnmitnahmen außerhalb der Signalzonen diesen Dingen Rechnung. Das führt natürlich in solchen Wendephasen öfter mal zu mehrfachen Positionswechseln in einer Aktie oder einem Index. Aber nur so lassen sich Verluste begrenzen und sicherstellen, dass man dann auch dabei ist und bleibt, wenn eine neue Trendphase beginnt.
Manch einer kommt damit nicht klar, weil er sich nicht vom strikten „Traden nach eigener Meinung“ lösen kann oder will und diese strikte System-Disziplin irgendwie „uncool“ ist. Aber nach nun 21 Jahren Börse und eigener Unfähigkeit, die Emotionen ebenso wie die Ratio ausreichend im Zaum zu halten, habe ich festgestellt: Viel Feind, viel Ehr’ klingt zwar gut. Aber an der Börse macht das nun mal arm. Und das ist noch „uncooler“.
Mit den besten Grüßen
Ihr
Ronald Gehrt
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Quelle: » Frank-Meyer.eu