Die Amis machen mit uns, was sie wollen - fast
Der Goldpreis legt auf dem Weg nach oben eine Pause ein. Mehr nicht, denn die Monatsgrafik zeigt trotz des Preiseinbruchs vom vergangenen Donnerstag weiterhin eine Seitwärtsbewegung, die Jahresgrafik nach wie vor einen intakten Aufwärtstrend. Chartisten mögen hier und da ein Haar in der Suppe finden, aber fundamental hat sich nichts geändert. Ich nehme die Pause zum Anlass, eine mir schon vor langer Zeit aufgefallene Entwicklung zu beleuchten, die jetzt durch eine oberste Gerichtsentscheidung in den USA zusätzlich an Brisanz gewonnen hat: Die Versuche der Amerikaner, uns juristisch und psychologisch auszuhebeln – mit gravierenden wirtschaftlichen Konsequenzen.
Nachdem das Handelsblatt am 21. Juni ein denkwürdiges Interview mit dem US-Ökonom und Nobelpreisträger Paul Krugman veröffentlicht hatte, ging ein Aufschrei durch den Finanzplatz Deutschland und weit darüber hinaus. Er entzündete sich an einem einzigen Satz: „Weber ist ein Risiko für das Schicksal des Euros.“ Die Attacke gegen den Bundesbank-Präsidenten und Kandidaten für den Chefsessel der Europäischen Zentralbank (EZB) kam nicht von ungefähr, was die Leser der folgenden Bewertung Krugmans durch das Blatt entnehmen konnten: „Heute verfolgt er die Obama-Regierung mit kritischer Sympathie.“ Man könnte auch sagen: Obama lenkt, wie Krugman denkt.
Drei Tage später entschied der Supreme Court, oberster Gerichtshof der USA, in einem komplizierten Verfahren zugunsten der Anwendung amerikanischen Rechts auch im Ausland. Daraus schloss die international tätige US-Anwaltskanzlei Mayer Brown LLP unter Hinweis auf eine Regelung zur Reform des amerikanischen Finanzaufsichtsrechts: „Falls diese Regelung verabschiedet wird, würde dies zu einer Ausweitung der exterritorialen Anwendung von US-Recht führen.“ Im zugrunde liegenden Fall ging es um eine Sammelklage von Aktionären der National Australia Bank auf Schadenersatz wegen bewusster Falschbewertung von Hypotheken einer US-Tochter.
Was dieser Fall mit Krugmans Attacke zu tun hat? Eine ganze Menge, denn es geht beide Male um nicht weniger als darum, amerikanische Wertvorstellungen und amerikanisches Recht anderen Ländern aufzuzwingen. Oder um Werner J. Hein von der Kanzlei Mayer Brown zu zitieren: „US-Gerichte mutieren zu Weltgerichten.“ Ergänzen wir diese Aussage zur Abwechslung posthum durch die des amerikanischen Schriftstellers Norman Mailer („Die Nackten und die Toten“) aus einem Interview, das in dem 2003 veröffentlichten Sammelwerk mit dem bezeichnenden Titel „Heiliger Krieg: Amerikas Kreuzzug“ erschienen ist: „Oft sind wir nicht viel besser als Barbaren. Wir achten nicht immer darauf, was wir gerade niedertrampeln.“ Dagegen mutet das zwei Jahre später erschienene Buch „Amerikas Kreuzzüge“ von ZDF-Nachrichtensprecher Claus Kleber wie eine Liebeserklärung in Richtung USA an.
Am 29. Juni, fünf Tage nach der Supreme Court-Entscheidung, trafen sich in Frankfurt Spezialisten für internationales und amerikanisches Recht, unter ihnen Christian Bleiweiss, Kapitalmarkt-Chef von Siemens, und Eckart Sünner, oberster Compliance Officer bei BASF. Beide nahmen kein Blatt vor den Mund. Während Bleiweiss den „weichen Befolgungsdruck“ beklagte, der von den USA ausgeht, formulierte Sünner süffisant: „Wir sind der Schutzmacht USA verbunden.“ Und Heribert Hirte, Vizepräsident der deutsch-amerikanischen Anwaltsvereinigung, betonte, „dass es um Machtfragen geht“. Er kam zum ernüchternden Fazit: „Die Amerikaner können Druck auf uns ausüben, wie sie wollen.“
Welche Konsequenz daraus zu ziehen ist, regte Rüdiger von Rosen an, geschäftsführender Vorstand des Deutschen Aktieninstituts: „Wir alle sind gefordert, die Politik einzubinden.“ Aber wie? Wenn die deutsche Bundesregierung populistisch motivierte Angriffe gegen die ach so bösen Spekulanten fährt, können Amerikaner – und nicht allein sie - darüber nur den Kopf schütteln. Im Übrigen zeugen solche Angriffe vom mangelnden ökonomischen Sachverstand derjenigen aus dem Kreis der Bundesregierung, die sich diesen Unfug ausgedacht haben.
Womöglich sah Nobelpreisträger Paul Krugman auch in dem stümperhaften Versuch der Bundesregierung, die Kapitalmärkte zu beeinflussen, einen Anreiz, den Mund gegen den möglichen EZB-Chef Axel Weber so voll zu nehmen. Zumal gerade mal gut einen Monat vorher der noch amtierende EZB-Präsident Jean-Claude Trichet eingeknickt war, indem er den Kauf von Staatsanleihen gebilligt hatte – nicht nur ein Verstoß gegen die bis dahin geltenden Regeln der Stabilitätspolitik in Euroland, sondern auch eine Kopie der von der US-Notenbank Fed praktizierten laxen Geldpolitik.
Es ließen sich noch unzählige andere Beispiele anführen, die belegen, in welchem Umfang Europa – sei es politisch, sei es juristisch, sei es ökonomisch - von den USA drangsaliert wird. Lassen Sie mich stattdessen eines anführen, das ich im bereits 1999 erschienenen Buch „Marktplatz der Diebe“ von Udo Ulfkotte gefunden habe. Darin beschreibt der Autor die Folgen, die ein Beitrag in der Zeitschrift der Stuttgarter Industrie- und Handelskammer über amerikanische Spionage in deutschen Unternehmen hatte: „Der Generalkonsul persönlich wurde beim Stuttgarter IHK-Geschäftsführer Andreas Richter vorstellig. Er protestierte gegen den Zeitschriften-Artikel und forderte Richtigstellung. Der US-Repräsentant behauptete wutentbrannt, diese Art der Spionage sei den Amerikanern 'aufgrund der amerikanischen Verfassung verboten.' Richter war so verdutzt, daß ihm auf Anhieb nicht jene Zitate einfielen, mit denen er amerikanische Präsident Clinton seine Geheimdienste auch zur Wirtschaftsspionage aufgefordert hatte.“
Zwei spannende Fragen: Wie lange wird die deutsche Bundesregierung in Anbetracht der hier beschriebenen Vorgänge noch schlafen? Und wie lange kann sie es sich leisten, speziell die amerikanische Supreme Court-Entscheidung einfach zu ignorieren, ohne der deutschen Wirtschaft einen großen Schaden zuzufügen? Es wird jedenfalls höchste Zeit, dass sie sich endlich um die damit einher gehenden Probleme kümmert, statt die ohne Aussicht auf Erfolg inszenierte Spekulantenjagd zu betreiben oder an den Mehrwertsteuersätzen herumzufummeln. Tut sie das nicht, droht der deutschen Wirtschaft ein Schaden, für den wir alle aufkommen werden.
Manfred Gburek, 2. Juli 2010
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Quelle: » gburek.eu