13. Mai 2008, Neue Zürcher Zeitung
Hinter den Kulissen des Geldmarktes
Hinter den Kulissen des Geldmarktes
Banken misstrauen sich – Notenbanken befürchten Abwärtsspirale
Banken leihen sich untereinander ohne Sicherheiten kaum noch Geld aus. Damit ist die Verteilung von Liquidität über den Interbankenmarkt gestört. Notenbanken greifen deshalb in den Markt ein, um zu verhindern, dass aus einer Liquiditäts- eine Bankenkrise wird.
Von unserem Wirtschaftskorrespondenten in Deutschland, Christoph Eisenring
Frankfurt, im Mai
Die Frankfurter Privatbank Metzler hat rasch auf den Ausbruch der Finanzmarktkrise reagiert. Nachdem die Schieflage bei der IKB Deutsche Industriebank ruchbar geworden war, habe man im Sommer 2007 unverzüglich die Kriterien geändert, zu denen man anderen Banken überschüssige Liquidität zur Verfügung stelle, sagt Michael Klaus, der bei Metzler zuständige Partner für die Finanzmärkte. Wenn Geldhändler ihre Kollegen bei Metzler anrufen, wissen sie, dass dieser Vermögensverwalter stets auf der Geberseite ist. Wie sieht die Praxis nun seit Ausbruch der Krise aus? Laut Klaus werden Ausleihungen an andere Banken überwiegend gegen Sicherheiten gemacht (Repo-Markt). Bei Interbanken-Krediten ohne Sicherheiten bevorzugt Metzler Adressen, die staatsähnlichen Charakter haben. Zu denken ist etwa an die deutsche Finanzagentur, die für die Kreditaufnahme und das Schuldenmanagement des Bundes zuständig ist.
Interbankenmarkt als Versicherung
Weshalb ist ein funktionierender Interbankenmarkt so wichtig? Über ihn wird Liquidität zwischen den Banken umverteilt, und zwar von Banken, die, wie Metzler, einen Überschuss haben, zu solchen mit einem vorübergehenden Defizit. Ein solches kann etwa entstehen, wenn viele Leute Geld abheben wollen oder wenn der Bedarf an Krediten überraschend steigt. Nun könnte eine Bank stets so viel Liquidität halten, dass sie unvorhersehbare Ereignisse selbst meistern kann. Oder sie könnte Kreditgesuche ablehnen, wenn sie gerade nicht liquid genug ist. Hier kommt nun der Interbankenmarkt ins Spiel. Laut Isabel Schnabel, Professorin für Volkwirtschaftslehre an der Universität Mainz, funktioniert dieser wie eine Versicherung: Wenn eine Bank vorübergehend Liquidität braucht, kann sie sich dort damit eindecken. Dadurch verringert sich die insgesamt nötige Liquidität im Bankensystem. Es stehen dann mehr Mittel für Kredite an Private und Firmen zur Verfügung.
Der Interbankenmarkt für Kredite, die nicht mit Sicherheiten unterlegt werden («ungesicherter» Interbankenmarkt), funktioniert dabei nur, solange sich die Banken gegenseitig vertrauen. Dieses Vertrauen ist aber seit dem Juli 2007 gestört, wie auch die angepasste Praxis von Metzler zeigt. Nach Ansicht von Isabel Schnabel war es in früheren Zeiten einfacher herauszufinden, welche Bank von einer Krise betroffen war, da sich ein Finanzinstitut zum Beispiel auf bestimmte Regionen oder Branchen konzentriert hatte. Heutzutage jedoch hielten die Banken Kredite oft nicht lange auf ihren Büchern, sondern verkauften sie weiter. Wo die Risiken, etwa aus dem amerikanischen Immobilienmarkt, letztlich landeten, sei deshalb schwer einzuschätzen. Wegen dieser Unsicherheit wird derzeit auf dem ungesicherten Interbankenmarkt vor allem für längere Laufzeiten ein sehr hoher Zins verlangt. Dies schreckt Banken mit geringen Risiken ab, sich dort mit Liquidität einzudecken. Der Zins erhöht sich dann noch weiter, so dass es im Extremfall zu einem Marktzusammenbruch kommen kann. Michael Klaus sagt denn auch, dass die Zinsen für ungesicherte Kredite mit längerer Laufzeit, etwa im Drei-Monate-Bereich, zwar auf dem Bildschirm aufschienen, ein Handel aber kaum stattfinde. Es handelt sich beim massgeblichen Euribor (Euro Interbank Offered Rate) nämlich um einen Benchmark, der aus der Enquête unter 43 grossen Banken hervorgeht. Diese werden gefragt, zu welchem Zinssatz sie theoretisch bereit wären, Geld auszuleihen. Das heisst aber nicht, dass zu diesem Satz auch gehandelt wird.
Liquiditätshilfe mit Nebenwirkungen
Die Banken regeln die Verteilung von Liquidität im Normalfall selbst. Die Gesamtmenge an Liquidität kann dabei nur von aussen, also durch die Notenbank, verändert werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat nach Ausbruch der Krise an einzelnen Tagen deshalb mehr Notenbankgeld als üblich angeboten, damit der Satz für Tagesgeld (Eonia) in der Nähe des Leitzinses von 4% blieb. Mit zunehmender Dauer der Krise griff sie auch bei den längeren Fristen ein und stellte zusätzliches Geld im Monate- oder Drei-Monate-Bereich bereit (und gleichzeitig weniger über die wöchentlichen Tender). Trotzdem blieb im ungesicherten Interbankenmarkt der Abstand zwischen längerfristigen Sätzen (drei oder sechs Monate) und dem Tagesgeldsatz bei 80 bis 90 Basispunkten, während er vor der Krise laut Klaus bei 5 bis 6 Basispunkten gelegen hatte. Das von der EZB an die Banken geleitete Notenbankgeld ist somit kaum dem ungesicherten Interbankenmarkt zugutegekommen.
Die Liquiditätshilfen der Notenbanken sind nicht ohne Nebenwirkungen. Beim Interbankenmarkt besteht auch zu normalen Zeiten die Gefahr, dass einige Banken sich als Trittbrettfahrer verhalten. Wenn eine Bank Liquidität hält, dann nützt das nicht nur ihr selbst, sondern über den Interbankenmarkt auch dem gesamten Bankensystem. Die Geldhäuser werden aber diesen positiven Effekt nicht genügend berücksichtigen und halten deshalb tendenziell zu wenig Liquidität. Die Währungsbehörde verschlimmert dieses Problem noch, da eine Bank weiss, dass sie im Notfall auf die Notenbank zurückgreifen kann. Es wird allerdings dadurch gemildert, dass die EZB Notenbankgeld nur gegen erstklassige Sicherheiten vergibt. Eine Bank, die nicht die geforderten Sicherheiten stellen kann, muss somit auf den ungesicherten Interbankenmarkt ausweichen. Wenn sie auch dort keine Mittel auftreiben kann, wird sie Wertpapiere aus ihrem Bestand verkaufen müssen. Das setzt aber die Preise dieser Wertschriften unter Druck. Dadurch können nun auch Banken «angesteckt» werden, die ihre Wertpapiere gar nicht verkaufen wollten, denn die international tätigen Banken müssen ihre Bestände zu Marktpreisen bewerten. Was als Liquiditätsengpass bei einigen Instituten begonnen habe, könne sich so im schlimmsten Fall zu einer Existenzkrise für viele Banken auswachsen, erklärt Schnabel.
Es ist ein solches Szenario, das die Notenbanken im Kopf haben, wenn sie zusätzliche Liquidität bereitstellen. Die Bank of England und das Fed bieten den Banken zudem den Tausch von wenig liquiden Titeln in Staatsanleihen an. Damit wollen die Notenbanken verhindern, dass noch mehr Wertpapiere auf den Markt geworfen werden, dass die Preise weiter fallen und dass dadurch die Krise verschärft wird.
Beispiellose Vertrauenskrise
Nun könnte man den Banken vorschreiben, stets ein bestimmtes Mass an liquiden Mitteln zu halten. Das wird in einigen Ländern wie in Deutschland auch gemacht. Doch je strenger solche Vorschriften sind, desto weniger kann eine Bank ihre eigentliche Funktion wahrnehmen: dass sie kurzfristig verfügbare Spareinlagen sammelt und dafür langfristige Kredite ausreicht. Die Liquidität einer Bank hängt zudem davon ab, wie reibungslos die Wertpapiermärkte funktionieren. Die Liquidität der Märkte lasse sich jedoch nicht so einfach regulieren, gibt Schnabel zu bedenken. Sie steht scharfen Vorschriften für die Liquiditätshaltung deshalb skeptisch gegenüber.
Der «Engroshandel» für Geld hat bis im vergangenen Juli bestens funktioniert. Während des Debakels um den Hedge-Fund LTCM etwa stiegen die Zinsen auf den ungesicherten Interbankenmärkten im Juli/August 1998 nur um 5 bis 6 Basispunkte gegenüber der Situation vor der Krise. Nach den Terrorattentaten auf die USA am 11. September 2001 kletterte der Eine-Woche-Euribor zwar am folgenden Tag um 9 Basispunkte, doch beruhigte sich die Lage danach rasch wieder. Michael Klaus vom Bankhaus Metzler bringt es auf den Punkt: An eine solche Vertrauenskrise könne sich kein Banker in seiner Karriere erinnern. Dass die Krise bisher trotz allen Verwerfungen relativ glimpflich abgelaufen ist, führen die beiden Experten ausser auf das Eingreifen der Währungsbehörden auf zwei weitere Gründe zurück. Schnabel weist darauf hin, dass die Krise die Geldinstitute zu einem Zeitpunkt getroffen habe, zu dem ihre Bilanzen relativ stark gewesen seien. Und Klaus macht darauf aufmerksam, dass sich über die vergangenen Jahre im Euro-Raum der Repo-Markt stark entwickelt habe. Dieser habe auch während der jüngsten Krise tadellos funktioniert und so einen Teil aus dem ungesicherten Interbankenmarkt auffangen können.
Quelle: http://www.nzz.ch
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