Analysten sehen „gefährliche Situation“
Jetzt ist es offiziell: Trotz immer neuer Ölpreis-Höchststände und dem starken Euro ist die deutsche Wirtschaft im ersten Quartal so kräftig gewachsen wie seit zwölf Jahren nicht mehr. Doch Analysten sehen keinen Grund zum Jubeln. Im Gegenteil: Von einer „gefährlichen Situation“ ist gar die Rede.
HB WIESBADEN. Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, stieg das Bundesinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal um 1,5 Prozent. Eine ähnlich gute Entwicklung gab es zuletzt im zweiten Quartal 1996, als die Wirtschaftsleistung um 1,6 Prozent zulegte.
Getragen wurde das Wirtschaftswachstum in erster Linie von einer nach wie vor ausgeprägten Investitionstätigkeit, wie die Statistiker berichteten. So stiegen die Bauinvestitionen begünstigt durch den vergleichsweise milden Winter um 4,5 Prozent.
Positive Impulse kamen laut Statistischem Bundesamt aber auch von den Konsumausgaben, die um 0,5 Prozent zulegten. Deutlich gestiegen sind demnach die Konsumausgaben des Staates (+ 1,3 Prozent), während sich die privaten Konsumausgaben mit einem Plus von 0,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal nur leicht verbessern konnten. Der Außenhandel bremste erstmals seit einem Jahr den Aufschwung.
Bereits am 15. Mai hatte das Bundesamt in einer Schnellmeldung über das Wirtschaftswachstum berichtet.
„Der Industrie geht es gut, das passt ins Gesamtbild und ist erfreulich“, bewertete Analyst Jens-Oliver Niklasch von der LBBW die Zahlen. „Bei den Investitionen kann man zwar nicht sagen, ob es sich um Erweiterungen handelt. Es ist aber davon auszugehen.“ Beim Außenbeitrag greifen drei Belastungsfaktoren, so Niklasch weiter: der starke Euro, der sich bereits im ersten Quartal niedergeschlagen hat. „Dann zeigt sich eine konjunkturelle Schwäche in einigen Euro-Ländern, die in Spanien und Italien gravierend ist. Dazu kommen die hohen Rohstoffpreise. Der Anteil der Exporte am BIP hat die 50 Prozent überschritten und sich seit 1992 verdoppelt. Dieser Film könnte nun natürlich rückwärts ablaufen, und die Gefahr ist recht groß.“
„Schrumpfen der Wirtschaftsleistung möglich“
Auch Sebastian Wanke von der Postbank ist kritisch. „Das starke Wachstum muss relativiert werden“, sagt er. „Das erste Vierteljahr war ein Sandwich-Quartal, eingezwängt zwischen zwei schwachen Phasen. Wir hatten ein relativ schlechtes viertes Quartal, unter anderem wegen der vielen Streiks. Das erste Quartal profitierte hingegen vom frühen Ostergeschäft, das den privaten Konsum gestützt hat. Zudem hatten wir den Effekt des milden Winters, der die Bauinvestitionen beflügelt hat. Das zweite Quartal dürfte nun allerdings schwach ausfallen. Wir gehen sogar davon aus, dass es zu einem Schrumpfen der Wirtschaftsleistung kommen wird.“
Auch Matthias Rubisch von der Commerzbank betonte, dass der private Konsum trotz der positiven Entwicklung im ersten Quartal nicht recht in Gang kommt. „Die Musik spielt bei den Investitionen.“ Und Alexander Koch von Unicredit ergänzte: Der private Konsum bleibt fragil. Dass es weiter deutlich nach oben geht in den kommenden Quartalen, ist zu bezweifeln. Die starken Ölpreissteigerungen lassen erwarten, dass auch 2008 die Reallöhne kaum steigen werden.“
Zurückhaltung beim Konsum signalisiert auch der aktuelle GfK-Index der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung. Das von der GfK ermittelte Konsumklima hat sich unerwartet stark eingetrübt. Das Barometer für das Konsumklima im Juni ging überraschend stark auf 4,9 Punkte von revidierten 5,6 Zählern im Mai zurück. Vor allem Rekordpreise an den Tankstellen und die Furcht vor weiteren Teuerungsschüben trübten die Kauflaune der Verbraucher. Der Ölpreis war in der vergangenen Woche auf ein Rekord von über 135 Dollar je Fass gestiegen und hielt sich am Dienstagmorgen um 133 Dollar.
Die unerwartet schwache Konjunkturdaten aus Deutschland belasteten auch den Euro. Die Gemeinschaftswährung fiel auf 1,5737 Dollar, nachdem sie im frühen Geschäft noch bis auf 1,5818 Dollar und damit den höchsten Stand seit einem Monat geklettert war.
„Es kam ein bisschen was zusammen“, sagte ein Händler. „Das GfK-Konsumklima hat enttäuscht, eine wichtige technische Marke konnte nicht genommen werden, und dann kam das Geschäftsklima in Frankreich unerwartet schwach rein.“ Daneben habe es Verkaufsdruck des britischen Pfund Sterling zum Dollar gegeben, was in der Folge ebenfalls den Euro gedrückt habe.
Auch das Geschäftsklima in Frankreich fiel im Mai auf 102 (April:106) Zähler und damit auf den tiefsten Stand seit zweieinhalb Jahren. Erwartet worden waren 105 Punkte.
In Deutschland zeigten sich die Manger der Unternehmen laut Ifo-Index dagegen zuletzt überraschend optimistisch und stehen damit im Gegensatz zu den Verbrauchern. Analysten bleiben überwiegend skeptisch: „Solange das Ölpreisproblem über uns schwebt, sind die realen Kaufkraftverluste so groß, dass wenige Impulse für den Konsum bleiben“, konstatierte Analystin Ulrike Kastens von Sal. Oppenheim.
Quelle: http://www.handelsblatt.com