Finanzkrise lotet Grenzen der Geldpolitik aus
Während vor einem Jahr die Verluste im internationalen Bankensystem wegen der Hypothekenkrise noch auf 400 Mrd. Dollar geschätzt wurden und sich die Schätzung zur Jahreswende auf 800 Mrd. Dollar verdoppelt hatte, geht Bridgewater Associates jetzt von 1,6 Bill. Dollar aus. Der IWF hatte im März bereits die Zahl von 2 Bill. Dollar ausgegeben worden und war für diese "haltlosen Behauptungen" scharf kritisiert worden.
Gerüchte bevorstehender Pleiten von Fannie Mae und Freddie Mac machen die Runde, auch GM soll vor dem Aus stehen. Freddie Mac hat 5,2 Mrd. Dollar mehr Schulden als die Assets wert sind, die das Unternehmen im ersten Quartal hatte. Damit wäre es bereits jetzt insolvent, wenn man "normale" Bilanzierungsrichtlinien zugrunde legt.
Der kürzlich erfolgte Zusammenbruch von IndyMac ist die drittgrößte Bank-Pleite in den US-Geschichte, die größte seit 1984 und die fünfte in diesem Jahr. Sie hat Chancen, sich zur teuersten zu mausern, der amerikanische Einlagensicherungsfonds rechnet mit Kosten zwischen 4 und 8 Mrd. Dollar. Bis jetzt sind hierfür schon 10 Prozent der Mittel des Fonds eingesetzt worden.
Kurz, die Finanzkrise, die einmal eine Hypothekenkrise war, ist mit Wucht zurück.
Etwa die Hälfte der Verluste, so schätzt Bridgewater, geht auf das Geschäft mit Unternehmenskrediten zurück. Von diesen rund 800 Mrd. Dollar tauchen erst rund 150 Mrd. Dollar in den Büchern auf - 550 Mrd. Dollar müssen noch abgeschrieben werden. Dagegen sind die Verluste aus dem Subprime-Geschäft bereits zu gut 90 Prozent abgeschrieben. Wie die Schieflage bei Fannie Mae und Freddie Mac zeigt, ist der Funke aus dem Subprime-Bereich auf andere, "bessere" Bereiche der Hypothekenfinanzierung übergesprungen. Deren Volumen ist gut sechs mal so groß wie das der Subprimes.
Bridgewater kommt zusammen genommen auf 1,1 Bill. Dollar, die noch abgeschrieben werden müssen. Bei den US-Banken soll erst ein Sechstel der erwarteten Verluste abgeschrieben sein.
Frisches Kapital wird benötigt - Schätzungen kommen auf 400 Mrd. Dollar. Ob das so schnell wird zu bekommen sein, darf bezweifelt werden. Die ersten Finanzspritzen, etwa von ausländischen Staatsfonds vor einigen Monaten verpufften mit den seitdem weiter fallenden Unternehmenswerten der Finanzinstitutionen. Da hält sich die Bereitschaft, nachzuschießen, erst einmal in Grenzen.
Und hier ist dann der Punkt, wo die Realwirtschaft massiv tangiert wird. Nicht nur, dass die Finanzinstitutionen ihr Tafelsilber verscherbeln müssen, um solvent zu bleiben, was die Marktpreise der entsprechenden "Assets" belastet. Kann kein frisches Kapital generiert werden, könnten Banken auch gezwungen sein, ihre Kreditvergabe einzuschränken, um ihr Kapitalverhältnis zu halten. Geht man von keineswegs aus der Luft gegriffenen zehn zu eins aus, droht eine weitere Kreditverknappung um 10 Bill. Dollar und mehr weltweit.
Zu diesem "worst case" wird es kaum kommen, aber der Aufwärtstrend in der Kreditvergabe in den USA ist mittlerweile gebrochen. Schätzungen belaufen sich auf einen Rückgang von acht Prozent bis Jahresende, in absoluten Zahlen rund 700 Mrd. Dollar. Seit der im ersten Quartal diesen Jahres erreichten Spitze hat die Kreditvergabe bereits um rund 150 Mrd. Dollar abgenommen.
Fehlt der Treibstoff neuer Kredite, beschleunigt das den Weg der US-Wirtschaft in eine Rezession. Das ist das eigentlich Bedrohliche, denn dann springt die Kreditkrise in einen Bereich, der mit den Mitteln der Geldpolitik nicht so einfach und effizient zu erreichen ist. Nicht umsonst heißt es, dass ein Zinsschritt mindestens sechs Monate braucht, um sich in der Realwirtschaft niederzuschlagen. Für Fed-Chef Bernanke liegt in der möglichen Kreditverknappung denn auch eines der Haupt-Risiken, wie er jetzt sagte.
Die Fed wird alles tun, um das zu verhindern. Und so wird sie weiteren Ramsch in ihre Bücher nehmen und dafür frische Mittel bereitstellen, sie wird die Regularien lockern, damit die Finanz-Institutionen Zeit haben, ihre Verluste erst nach und nach in den Büchern erscheinen zulassen. Damit wird sie zugleich ein weiteres Mal (und dieses Mal in noch viel größerem Ausmaß als 2001) einer dringend nötigen Bereinigung und Konsolidierung entgegenwirken. Ob es aber erneut gelingt, mit billigem Geld die Risse im Finanzsystem zuzukleistern, steht auf einem anderen Blatt.
Wenn der Zug in Richtung Rezession erst einmal abgefahren ist, gibt es keine rasche Umkehr mehr. Und dann wird es richtig teuer und gefährlich, da dann Teufelskreise zu wirken beginnen und die Entwicklung eine Eigendynamik bekommt, die es u.a. den gebeutelten Banken noch schwerer macht, ihre Bilanzen zu sanieren. Und genau an diesem Punkt stehen wir, auch wenn all die offiziellen Statistiken bisher einen verharmlosenden Schleier darüber legen. Und dies beklagen nicht etwa "paranoide" Börsenbeobachter, sondern kein geringerer als Harvard-Professor Martin Feldstein.
Apropos "teuer": Die Ratingagentur S&P schätzt die Kosten des Plans zur Rettung von Fannie Mae und Freddie Mac auf 420 Mrd. bis 1,1 Bill. Dollar. Die beiden "halb-staatlichen" Hypotheken-Giganten besitzen oder garantieren 5,3 Bill. Dollar an meist erstklassischen Hypotheken. Die "Savings and Loan"-Krise der 1980er Jahre hatte den Steuerzahler lediglich 250 Mrd. (heutige) Dollar gekostet.
Nouriel Roubini wiederholt aktuell seine schon im März formulierten Warnungen: Dies sei mit Verlusten zwischen einer bis eher zwei Bill. Dollar die schlimmste Finanzkrise seit der Großen Depression. Hunderte von Banken werden bankrott machen. Auch einige Großbanken seien "semi-insolvent". Sie seien zwar zu groß, um pleite zu gehen, aber ihre Rettung mit dem Geld des Einlagensicherungsfonds werde extrem teuer. Der wiederum werde letztlich nicht genug Mittel haben und müsse vom Staat rekapitalisiert werden. Den kürzlich durchgepeitschten Rettungsplan für Fannie und Freddie bezeichnet er als "moral hazard" in Reinkultur - Sozialismus für die Reichen auf Kosten der Steuerzahler.
Die aus der Finanzkrise folgende, schwere Rezession werde 12 bis 18 Monate dauern, schreibt er. Während im Rahmen einer normalen Rezession die Aktienkurse um durchschnittlich 28 Prozent zurückgehen, seien nun Verluste von rund 40 Prozent zu erwarten.
In diesem Szenario sei Inflation eines der geringsten Probleme, schreibt Roubini. Entlastung bringe schon ein von ihm erwarteter Fall der Rohstoffpreise um 20 bis 30 Prozent. Die entstehenden Überangebote auf den Gütermärkten drückten auf die Verbraucherpreise, steigende Arbeitslosigkeit drückt Löhne und Massenkaufkraft, was den Unternehmen weitere Preismacht nimmt - Lohn-Preis-Spirale in die andere Richtung eben.
Martin Feldstein weist auf einen weiteren Punkt hin, der ökonomische, vor allem aber politische Dimensionen hat: "Die wichtigere Frage ist im Moment, ob die Zwangshochzeit von Bear Stearns, die Fannie-Freddie-Rettung und der IndyMac-Kollaps nicht Vorboten einer viel weiter gehenden Nationalisierung eines insolventen US-Finanz-Systems sind. Wenn das passiert, muss man sich ein wenig sorgen über die Kreditwürdigkeit der US-Regierung - und wenn ausländische Investoren wirklich anfangen, sich darüber Gedanken zu machen, dann könnten sich Dollar-Verfall und Finanzkrisen-Angst, die wir bis jetzt sahen, als kleines Vorspiel erweisen. Das ist noch nicht vom Tisch, Leute!“
Die geschilderten Faktoren im Finanzbereich treten Teufelskreise in der Realwirtschaft los, die sich dem einfachen Zugriff mit den Mitteln der Geldpolitik auch einer sehr großen Notenbank, entziehen. Gleiches gilt für die Gefahr eines Dollar-Kollapses und seine politische Dimension. Und wie immer in Situationen, wo der Einflussbereich der Geldpolitik verlassen wird, wird es aus Sicht der Finanzakteure unsicher und brisant. Erst recht dann, wenn, wie in der aktuellen Krise, die Geldpolitik selbst auf dem Prüfstand steht.
Die Finanzmärkte spiegeln diese Unsicherheit und Brisanz eindrucksvoll wider. Euro/Dollar attackiert die zuletzt markierten Hochs bei 1,60; die Yen-"Carry-Trade-Indikatoren" geben zusammen mit den Aktienkursen nach, vielfach werden in den Indices die Jahrestiefs erreicht, bzw. unterschritten.
Angemerkt: Die Anleihen von Freddie Mac und Fannie Mae sind zu einem hohen Prozentsatz im Besitz ausländischer Groß- und Zentralbanken. Mit den beschlossenen Maßnahmen zur Rettung sind diese erst einmal weitgehend abgesichert. Was sich auch in der Stabilisierung des ECW bei ziemlich genau 1,60 gestern zeigte...
Zahlreiche Marktindikatoren "schreien" gemessen an ihren erreichten statischen Werten nach einer Gegenbewegung bei den Aktienkursen, doch ihre Verläufe zeigen noch keine belastbaren Drehpunkte. Aber mehr als eine Rallye im Bärenmarkt wird das nicht, erst recht kein neuer Aufschwung. Die geschilderte Gemengelage bleibt bestehen und dürfte für den Fortbestand des Gemütszustands "höchste Verunsicherung" sorgen.
Wir durchleben keine "einfache" Bankenkrise, sondern bewegen uns am Rande einer Systemkrise, wenn nicht schon mitten drin. Da kann es sehr lange dauern (und tief runter gehen), bis alles eingepreist ist.
© Klaus G. Singer
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