Weltweit zu viel Geld
24.07.2008, 17:27 Uhr
von Frank Wiebe
Wenn Experten sich streiten, liegt es oft daran, dass sie Begriffe unterschiedlich definieren. Zurzeit wird das besonders deutlich bei der Inflation, die als Schreckgespenst für Verbraucher, Investoren und Geldpolitiker spürbar wird. Dabei sollten Geldpolitiker nicht der Versuchung erliegen, diese Gefahr einfach wegzudefinieren, sondern deutlich genug darauf reagieren.
Fasst man den Begriff Inflation sehr eng, bedeutet er eine Steigerung fast aller Verbraucherpreise auf breiter Front. Die Logik dahinter: Nur in diesem Fall ist die Geldpolitik Ursache des Problems, und deswegen kann sie auch nur in diesem Fall Einfluss nehmen. Steigen dagegen einzelne Preise, etwa die der Rohstoffe, dann hat das "reale" Ursachen, die die Notenbanken kaum beeinflussen können. Häufig spielt in diesen Fällen auch das Ausland eine große Rolle. Bei hohen Ölpreisen etwa fließt eine Menge Kaufkraft von den Industrieländern in den Nahen Osten. Mit der amerikanischen oder europäischen Geldpolitik hat das zunächst wenig zu tun.
Nach dieser Definition müssten wir uns zurzeit wenig Sorgen machen. Denn es steigen durchaus nicht alle Preise. Wir haben also so gesehen kaum Inflation, sondern spüren einfach die wachsende Nachfrage der Schwellenländer nach Rohstoffen.
Die Verbraucher werden sich mit dieser Betrachtung freilich nicht trösten lassen. Weil mit Benzin und Nahrungsmitteln gerade das teurer wird, was man häufig einkauft, ist die "gefühlte" Preissteigerung für sie noch höher als die gemessene. Der Verbraucher kauft nicht mit "Kern-Dollar" ein, schrieb eine amerikanische Zeitung zur "Kerninflation" der US-Notenbank, die sehr eng definiert ist.
Hinzu kommt: Wäre die Geldpolitik neutral, dann müssten "real" begründete Preissteigerungen in einzelnen Branchen ebenso starke Senkungen in anderen gegenüberstehen. Bleibt diese Symmetrie aus, dann finanziert die Notenbank letztlich doch die Steigerungen mit zusätzlichem Geld. Außerdem ist der Blick auf einzelne Währungsräume zu eng. Wenn Milliarden in den Nahen Osten abfließen, können sie auch wieder zurückfließen, etwa als Aufträge an europäische Unternehmen. Letztlich ist Inflation ein globales Problem: Zu viel Geld weltweit lässt weltweit zu viele Preise steigen.
Es spricht also viel gegen die zu enge Auffassung von Inflation als Steigerung praktisch aller Preise. Sinnvoller ist die Standarddefinition, die auf den Durchschnitt der Verbraucherpreise abzielt; der Durchschnitt kann auch durch einzelne Preise nach oben getrieben werden, es müssen nicht alle steigen.
Diese Standarddefinition ließe sich theoretisch aber auch erweitern. Denn immer deutlicher ist geworden, dass die Notenbanken auch die Kapitalmärkte beeinflussen. Das Wort "Vermögensinflation" macht die Runde. Nimmt man die steigenden Wertpapier- und Immobilienpreise mit in den Blick, dann waren die vergangenen Jahre bereits von Inflation geprägt. Umgekehrt müsste man dann aber heute sinkende Kurse und Immobilienpreise auf der Minusseite verbuchen. Das würde den Verbrauchern sauer aufstoßen: Alles wird teuer - und man soll sich damit trösten, dass wenigstens die eigenen Vermögenswerte billiger werden.
Fazit also: Keine der drei Definitionen ist ideal, aber alle drei verdienen Beachtung. Wenn Inflation im engsten Sinne spürbar ist, dann ist der Handlungsbedarf für die Notenbanken besonders groß. Wenn die Preise nur in einzelnen Bereichen anziehen, dann sollten sie aber auch versuchen, mit Augenmaß dagegenzuhalten. Freilich sind ihre Möglichkeiten hier eingeschränkt: Sie können nicht mit Gewalt eine moderate Durchschnittsrate erzwingen. Und für die Kapitalmärkte gilt: Die US-Notenbank hat sie bisher nur dann beachtet, wenn die Preise dort gefallen sind. Das muss sich ändern: Goldene Börsenzeiten sind ein Warnsignal. Deswegen lohnt es sich, die Geldmenge im Auge zu behalten, obwohl sie mit der Inflation nach Standarddefinition statistisch kaum noch zusammenhängt. Zu viel Geld kann auch in Form von Kapitalmarktblasen Schaden anrichten.
Insgesamt ergibt sich daher die Forderung, das Geld gerade so knapp zu halten, wie es möglich ist, ohne Kapitalmärkte oder Konjunktur fahrlässig zu beschädigen. Das entspricht etwa der Politik der Europäischen Zentralbank.
Quelle: http://www.handelsblatt.com
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