Schluss mit den Märchen, von Obama bis Gold
Jetzt ist es höchste Zeit, mit einigen politischen und ökonomischen Märchen aufzuräumen. Beginnen wir mit Ersteren, weil sie schneller abgehandelt werden können. - Obama-Fieber: Der Präsidentschaftskandidat hat in Berlin eine Welle echter, aber auch falscher Euphorie ausgelöst. Er will ja nicht in erster Linie, dass alle sein Charisma bewundern. Sondern vor allem, wie die Kollegen vom ZDF ein wenig verschämt in dem einen oder anderen Nebensatz festgestellt haben, dass Deutschland später mehr Truppen nach Afghanistan schickt. - Berliner Politikshow vor den Parlamentsferien: Seicht-freundliche Merkel-Pressekonferenz und große Party der Ministerien, um von den viel größeren Problemen abzulenken: Sozialversicherung auf dem Weg in die Pleite, ausufernde Energiekosten, Umverteilung, Linksruck, anhaltende Auswanderungswelle usw.
Das Märchen vom wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland fand in der zweiten Wochenhälfte ein jähes Ende, als die Schein-Erholung an den Weltbörsen gestoppt wurde - ein weiterer Beleg für die drohende Rezession, nachdem die Wirtschaftsforschungsinstitute sie schon vorher aus ihren Umfragen herausgelesen hatten. Was also werden Politiker tun, um trotzdem wiedergewählt zu werden, auch wenn die Bundestagswahl noch in weiter Ferne liegt? Sie werden fortgesetzt Wahlgeschenke verteilen, wie schon im Rahmen der jüngsten Rentenerhöhung und so, wie es sich jetzt im bayerischen Landtagswahlkampf abzeichnet: ein bisschen für Pendler und Hartz IV-Empfänger, ein bisschen für die Bauwirtschaft und für den unvermeidlichen Klimaschutz, ein bisschen für die Altenpflege. Diese droht übrigens zu einem Drama zu werden, weil die Pflegeversicherung finanziell de facto am Ende ist und immer mehr privates Geld draufgeht. Das kommt im besten Fall aus liquiden Ersparnissen; im schlimmsten Fall müssen Immobilien verkauft werden.
Immobilien - egal, ob zum Wohnen oder gewerblich - verlieren in abgelegenen Gegenden und in städtischen Gebieten mit Bevölkerungsschwund immer weiter an Wert, während ihre Preise in den westlichen Metropolen, aber z.B. auch in Potsdam, Rostock, Dresden, Erfurt, Jena und bald Berlin, eher zulegen. Das Märchen von der allgemeinen Wertbeständigkeit hält der Realität längst nicht mehr stand. Die überwiegend amerikanischen und britischen Investoren, die in den vergangenen Jahren massenweise deutsche Wohnblöcke gekauft und sie mit extrem hohem Fremdkapital finanziert haben, wissen nach dem Zinsanstieg, der ihre ganze Kalkulation über den Haufen wirft, weder ein noch aus. Der kommende Preisverfall hat sich bereits in den abgestürzten Kursen von Immobilienaktien bemerkbar gemacht, wie Gagfah, Deutsche Wohnen, Patrizia u.a. Tipp: Verfolgen Sie diese Kurse - am besten im Internet - weiter, denn noch besseren Anschauungsunterricht als Spiegelbild zur Entwicklung der Preise von Massen-Wohnimmobilien kann man sich kaum vorstellen. Und die eine oder andere Aktie wird irgendwann in nächster Zeit sogar kaufenswert sein.
Der wegen der Rezession in den USA sowie wegen der Rezessionsgefahr in Deutschland und anderswo sinkende Ölpreis dürfte noch eine Weile schwächeln. Das Ausmaß des Preisrückgangs hängt jetzt im Wesentlichen von der Stärke der Rezession und den entsprechenden Befürchtungen ab, aber auch davon, in welchem Umfang auf Seiten der Nachfrage Schwellenländer für die westlichen Industrieländer in die Bresche springen. Das Thema ist damit viel komplexer, als es üblicherweise dargestellt wird. Hinzu kommen Einflüsse der Geopolitik, die sich überhaupt nicht in Dollar je Barrel messen lassen, und Verschiebungen der Währungsblöcke, vor allem das Verhältnis des Dollars zum Euro. Konkrete Prognosen wären also Kaffeesatzlesen.
Als sich neulich die Mitglieder des Institute of International Finance (IIF) trafen, erzählten die Banker lauter Märchen. Da war auf einmal vom Verantwortungsbewusstsein die Rede, von einem Verhaltenskodex und sogar von einem Frühwarnsystem. Noch entlarvender ging es nicht, war das doch ein Beleg dafür, dass es vorher so etwas nicht gegeben hatte. Das IIF ist die letzte Institution, die in der Lage wäre, die internationale Finanzkrise zu bewältigen. Es wurde ja vor rund einem Vierteljahrhundert aus der Not heraus geboren, weil einige lateinamerikanische Länder wieder einmal in eine Schuldenkrise geraten waren und dadurch westliche Banken zum Umbuchen von Forderungen gezwungen hatten. Das Ausmaß der jetzigen Krise ist viel größer, sodass jedes noch so gut gemeinte Frühwarnsystem zu spät kommt. Die Krisenfolgen, insbesondere Turbulenzen an den Finanzmärkten, werden uns noch jahrelang begleiten.
Was bedeutet das alles für Gold (und Silber)? Es wird seine Funktion als sicherer Hafen behalten, zwischenzeitlich aber auch selbst in Turbulenzen geraten, wie am Mittwoch der abgelaufenen Woche. So etwas sollten Sie nicht auf die sprichwörtliche Goldwaage legen. Und die Preise der beiden Edelmetalle? Im Trend weiter aufwärts. Doch auch hier ist der Zusammenhang, wie beim Öl, wieder besonders komplex. Das heißt, der Goldpreis, den der Silberpreis unter größeren Schwankungen begleitet, ist von so unterschiedlichen Faktoren abhängig, wie von seiner Sicherer-Hafen-Funktion, von saisonalen Einflüssen (wie der indischen Hochzeitssaison), von den Produktionskosten der Minen und zunehmend auch von den Dispositionen börsegehandelter Edelmetallfonds (ETF, Exchange Traded Funds).
Besonders wichtig in Bezug auf ETF ist das Anlageverhalten der Dachfons und sonstigen Vermögensverwalter, die ETF kaufen, um ein Gegengewicht zu ihren übrigen Anlagen zu schaffen, um also ihre Performance zu glätten. Denn sobald sie mit Aktien und Anleihen nicht mehr glücklich werden, bevorzugen sie Edelmetalle in ETF-Form. Trifft ihr nächster Kaufschub auf die indische Hochzeitssaison oder auf ein sonstiges für Gold positives Ereignis, setzt das Edelmetall erneut zum Preissprung an. Fazit: Befreien Sie sich einerseits vom Gedanken, Gold und Silber hätten ihre besten Zeiten im laufenden Zyklus schon hinter sich, andererseits aber auch davon, die Preise beider Edelmetalle müssten, wovon viele Märchenerzähler träumen, schon von heute auf morgen in die Höhe schießen - dazu wird es irgendwann in den nächsten Jahren kommen, vorher werden sie einfach nur unter Schwankungen ihren Aufwärtstrend fortsetzen. Insgesamt also eine komfortable Situation für alle, die Gold und Silber haben oder es bei kurzfristigen Rückschlägen kaufen.
Manfred Gburek, 25. Juli 2008
Quelle: http://www.gburek.eu