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Finanzielle Sprengsätze

Wöchentlicher Kommentar von Frank Meyer

Je schlechter die Daten, desto höher die Aktienkurse. Man konnte auch diesmal vor der FED-Sitzung den Wecker stellen, dass Gold fallen und der Dollar steigen wird. Die Nachrichten sind gespickt mit Problemen. Besorgnis erregend ist die Geschwindigkeit, mit der die Kredittürme einstürzen und jetzt die Realwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen wird. Gewinnwarnungen, betrübliche Ausblicke und Massenentlassungen sind weitere Zeichen dafür, dass es nicht nur an den Finanzmärkten holprig wird, sondern auch im alltäglichen Leben. Die letzten Wirtschaftsdaten zeigen weltweit eine Verschlechterung der konjunkturellen Situation. Hier und dort wird von Ungereimtheiten berichtet und von Betrug.

Auch wenn kein Experte sich traut, das ungeliebte „R-Wort“ aussprechen, wird es eine Rezession nicht daran hindern auch aufzutauchen. Notfalls bricht sie die Türen ein, ohne vorher anzuklopfen. Neben den USA und Europa stolpert jetzt auch China. Der Einkaufsmanagerindex ist unter die 50-er Marke gefallen, was nach Kontraktion riecht. Rezession? Ach was! Vier Wochen später steht es in der Zeitung.

Es sind komische Börsen, getrieben durch komische Zahlen. Viele Daueroptimisten wechseln die Seite und zweifeln an der Aussagekraft der Wirtschaftsdaten. Während in den USA die Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe durch die Decke gehen und von riesigen Entlassungen berichtet wird, fragt man sich, ob im Juli wirklich nur 51.000 Stellen abgebaut worden sind. Wie passt es zusammen, dass bei einer Arbeitslosenquote von 5,7 Prozent weit mehr Amerikaner am oder unter dem Existenzminimum leben?

Es ist ganz einfach. In den USA werden sechs unterschiedliche Arbeitslosenquoten berechnet, wir erfahren vielleicht aber nur die Schönste von allen. In den „U-3-Zahlen“ sind diejenigen Personen herausgerechnet, die marginal und geringfügig beschäftigt sind, die Teilzeitkräfte, die eine volle Stelle suchen und die sogenannten entmutigten Arbeitnehmer. In der vom amtlichen Bureau of Labor Statistics errechnete Arbeitslosenquote U-6 hingegen liegt die Quote schon bei 9,9 Prozent, was 15,3 Mio. US-Bürgern entspricht. Nebenbei bemerkt, in den USA gibt es keine offiziellen Meldefristen, so dass man die Arbeitslosenzahlen anhand eines Modells der Neugeborenen und der Gestorbenen ermittelt. (Net Birth/Death Model)

Wie sieht es in der Bundesrepublik aus? Haben wir in Deutschland wirklich nur 3,2 Mio. Arbeitslose? Wieviele sind nicht „arbeitslos“, sondern werden als „Aufstocker“ und „1-Euro-Jobber“ definiert, sind in Weiterbildungsmaßnahmen beschäftigt oder wurden frühzeitig in Rente geschickt? In der Summe leben 18 Prozent der Bundesbürger am oder unter dem Existenzminimum. Kaufregung sieht anders aus, meint man beim Betrachten der letzten Einzelhandelsumsätze. Auch wenn Öl billiger geworden ist, reicht das Geld für das Füllen der Öltanks und für die höheren Strom – und Gasabrechnungen? Glaubt Berlins Senator Sarrazin wirklich, dass man steigenden Heizkosten mit Pullovern begegnen kann, während andere Stellen warnen, dass bei 15 Grad der Schimmel den Rest der Wohnung dahinrafft? Erinnert es nicht etwas auch an die Geschichte von dieser Frau, die dem französischen Volk empfahl Kuchen zu essen, wenn es schon kein Brot hat?

Das Wall Street Journal berichtete über die Ratingagentur Standard & Poor`s. Das sind die, die bestimmte Anleihen für gut gefunden haben, es aber letztlich Sondermüll war. Mitarbeiter des Instituts haben vor einem solchen Desaster gewarnt. Sie haben dabei gehofft, dass es erst viel später knallt, wenn sie dann gut versorgt den Ruhestand genießen, zitiert das Blatt weiter. Vorgesetzte sollen aber gemeint haben, dass alles geratet wird auch wenn es von Kühen strukturiert worden ist. Die SEC ermittelt.

Sehr interessant auch die Nachricht, dass die FED ihr sogenanntes Discount-Fenster noch weiter geöffnet hat. Dort können sich Banken Geld in unbegrenzter Höhe borgen. Früher hatten sie einen Monat Zeit zum Rückzahlen, jetzt sind es schon 81 Tage. Vielleicht müssen ja die Banken künftig die Kredite gar nicht mehr zurückzahlen, denn man kann das Zeitfenster bestimmt locker auf 810 Tage oder noch länger ausweiten? Natürlich reagiert dann die Börse und der Anleihemarkt, auch wenn man dann den Kopf schüttelt und nach Schmerztabletten greift. Aber es ist die Realität, über deren Folgen man sich Gedanken machen muss und die auch eine Veränderung der Positionierung erforderlich macht.

Hätte man sich auf die Prognosen der Experten verlassen, wäre es ein perfektes Desaster geworden. Höchstwahrscheinlich erweisen sich ihre heutigen Ratschläge auch als Schläge. Der DAX war bei 8000 Punkten auch nicht „billig“ wie man immer wieder lesen durfte. Ein Ende der Kreditkrise ist nicht in Sicht, stellen wir täglich fest, im Gegenteil. Im Nachhinein waren nur die Prognosen billig, die von Wachstum, sinkenden Abeitslosenzahlen und steigender Kaufkraft erzählten. Doch es gibt einige Experten der ganz schlimmen Sorte. Sie haben nicht nur komplett falsch gelegen, man könnte zudem den Eindruck gewinnen, sie kleben nicht nur auf dem eigenen Leim fest, sondern täuschen ganz bewusst. Mich verwundert dabei nicht ihre Prognose(un)fähigkeit, sondern vor allem ihre Dreistigkeit.

Psychologen meinen, dass man nach einem halben Jahr der Schmerz nur noch halb so groß ist, den man erlitten hat. Nach sechs Monaten ist man im Schnitt bereit, wieder den vermeintlichen Gurus nachzurennen und aus der Kurve zu fliegen. Das bessere Rezept wäre, der eigene Experte zu werden. Letztlich bekommt man am Markt kein kostenloses Mittagessen, auch nicht das, was man sich wünscht, sondern meist das, was man verdient, heißt es. Zudem erhöhen eigene Fehler die Lernkurve.

Letztlich geht es aber um Vertrauen, um Anstand und auch Bescheidenheit, um Verlässlichkeit gegenüber statistischen Daten und der er unternehmerischer Bilanzen. Aussagen, die mehr Wahrheit als Lüge enthalten, sind immer noch ehrlicher, als das, was viele Manager und Experten täglich von sich geben. Es zeigt, dass viele wahrscheinlich nicht nur überbezahlt, sondern auch blind gegenüber der Realität sind, ausgestattet mit einem leichten Hang zu Gier und Abgehobenheit. Unternehmer sollten etwas unternehmen, Lenker etwas lenken, Aufsichtsbehörden etwas beaufsichtigen und nicht wegschauen.

Vielleicht sollte man in Deckung gehen und die Fenster vernageln, wenn die Permabullen wieder anklopfen und um Einlass bitten. Vielleicht sollte man öfters auch das Gegenteil eines Ratschlages tun und vorher nur ein einziges mal intensiver über das Thema Geld nachdenken, sofern man Anlagenotstand hat. Fehler zu machen ist menschlich, doch andere für eigene Entscheidungen verantwortlich zu machen ist dumm. Und wenn die Täuschung mit 180 Sachen um die Ecke fährt, ist es obendrein auch noch gefährlich

© Frank Meyer