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Ein Flächenbrand droht

von Torsten Riecke

Die gescheiterten Rettungsversuche für die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers könnten zur Katharsis der akuten Finanztragödie werden. Zwingt der neuerliche Höhepunkt doch alle Akteure dazu, jetzt nach einer umfassenderen Lösung der Misere zu suchen.
Die bisherige Strategie, mit Feuerwehreinsätzen am Wochenende den Flächenbrand unter Kontrolle zu bekommen, ist jedenfalls gescheitert. Notwendig ist ein mutiges Signal, das die Abwärtsspirale stoppt.
Was ist zu tun? Ohne den Staat geht es nicht, für eine ordnungspolitisch saubere Lösung ist es längst zu spät. Zu viel steht auf dem Spiel, zu weit haben sich Notenbanker und Politiker bereits in den Morast staatlicher Interventionen begeben. Wer gefordert hat, Lehman pleitegehen zu lassen, um ein Exempel zu statuieren und unverantwortliche Manager und Spekulanten zu bestrafen, muss nun die Frage beantworten, wie er mit den Konsequenzen zurechtkommen will. Das betrifft zunächst den Markt für sogenannte Credit Default Swaps, der alle Finanzinstitute zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammenkettet. Lehman ist einer der großen Spieler im Geschäft mit diesen Kreditversicherungen. Eine Pleite könnte ein globales Chaos auf diesem Markt auslösen - mit harten Rückwirkungen für die gesamte Bankenbranche.
US-Finanzminister Hank Paulson und der New Yorker Fed-Präsident Timothy Geithner drängten deshalb die großen Finanzhäuser an der Wall Street, in die Bresche zu springen und gemeinsam die toxischen Hypothekenprodukte von Lehman zu übernehmen. Die Blaupause für diesen Plan liefert die Rettung des Hedge-Fonds Long Term Capital Management (LTCM) 1998. Auch damals holte die Fed, die amerikanische Notenbank, die großen Finanzhäuser an einen Tisch und zwang sie, die LTCM-Risiken gemeinsam zu schultern. Die Rechnung ging auf, die Krise ebbte ab.
Auch diesmal schien eine solche Lösung naheliegend. Könnten die beteiligten Banken damit zunächst verhindern, dass Lehman seinen Giftmüll aus der Immobilienkrise zu Dumpingpreisen auf den Markt wirft und damit auch die anderen Banken zwingt, neuerliche Abschreibungen auf ihre Altlasten vorzunehmen. Wenn die Banken den Schaden unter sich aufteilen, könnte der Staat sich weitgehend raushalten und den Investoren signalisieren, dass er eben nicht mehr bereit ist, als Lückenbüßer der Märkte einzuspringen.

Es ist jedoch höchst fraglich, ob eine LTCM-Lösung diesmal den gleichen Erfolg gehabt hätte wie vor zehn Jahren. Zu groß sind die Unterschiede. So repräsentieren die Banken, die am Wochenende im New Yorker Fed-Gebäude zum Krisengipfel gerufen wurden, nur einen Teil der relevanten Akteure. Anders als 1998, als man die mit LTCM verwobenen Finanzinstitute noch um einen Tisch versammeln konnte, sind heute die Betroffenen aufgrund der weltweiten Verbriefung von Risiken über den Globus verstreut. Das erschwert eine pragmatische Lösung.
Außerdem hätte eine Branchenlösung für Lehman kaum das grundsätzliche Misstrauen in das angeschlagene Finanzsystem wiederherstellen können. Was ist, wenn am nächsten Wochenende das Brokerhaus Merrill Lynch oder der weltgrößte Versicherer AIG auf der Kippe stehen? Beide Häuser haben ebenfalls mit Milliardenverlusten in ihren Vermögensanlagen zu kämpfen.
Außerdem: Viele selbst schwer angeschlagene Banken haben schon jetzt alle Mühe, zusätzliches Kapital in die angeschlagene Bank Lehman zu pumpen. Solch ein Akt der erzwungenen Barmherzigkeit lässt sich nicht im Wochenrhythmus wiederholen.
Eine systemweite Lösung kann deshalb nur vom Staat kommen. Ähnlich wie auf dem Höhepunkt der Savings & Loan-Krise in den USA Ende der 80er-Jahre sollte die amerikanische Regierung einen Trust ins Leben rufen, der systemwichtige, vor dem Zusammenbruch stehende Banken samt ihrer Vermögensteile in die staatliche Obhut nimmt und später liquidiert. Nur so lässt sich vermutlich das Vertrauen in das Finanzsystem wiederherstellen. Für eine solche radikale Lösung hat sich gerade der frühere Fed-Chef Alan Greenspan ausgesprochen.
Der ordnungspolitische Preis für einen derart massiven Staatseingriff wäre hoch. Müsste sich die Finanzbranche doch darauf gefasst machen, dass die staatlichen Aufseher ein erhebliches Wort bei der künftigen Ausgestaltung ihrer Märkte und Produkte mitreden würden. Doch ein Ende der Finanzkrise mit Schrecken ist allemal besser als ein Schrecken ohne Ende.

Dieser Beitrag wurde nicht geprüft, silbernews.at übernimmt keine Verantwortung für Angemessenheit oder Genauigkeit dieser Mitteilung. Quelle: http://www.handelsblatt.com