Banken gerettet, Staat pleite
von Wolfgang Münchau
Mit dem europäischen Rettungspaket haben wir ein privates Kreditproblem womöglich in ein weltweites Solvenzproblem transformiert - wenn schließlich der globale Bondmarkt einbricht.
Das mit heißer Nadel gestrickte Rettungspaket der Bundesregierung und anderer europäischer Regierungen hat zwar am Montag die Märkte begeistert, das Problem aber nicht gelöst. Eine Garantie des gesamten Finanzmarkts, wie wir sie jetzt ausgesprochen haben, kann genau so ein Problem darstellen wie die Totalverweigerung zuvor. Europas Regierungen haben hier im Digitalmodus von null auf eins umgeschaltet. Wir fahren jetzt nicht mehr mit Vollgas auf eine Wand zu, sondern auf einen Abgrund. Unser Optimierungsproblem besteht darin, den Finanzsektor zu stabilisieren, ohne dabei den öffentlichen Sektor zu destabilisieren.
Den neuesten Zahlen der Bundesbank zufolge gibt es in Deutschland 2003 Banken, mit Aktiva von knapp 8000 Mrd. Euro. Das ist etwas mehr als das Dreifache des jährlichen Bruttoinlandsprodukts des Staates. Nicht all diese Aktiva sind schlecht, aber viele sind möglicherweise zu optimistisch bewertet. Ob ein Paket im Gesamtvolumen von 500 Mrd. Euro ausreicht oder nicht, weiß auch die Bundesregierung nicht. Dazu kommt noch, dass wir jetzt vor einem sehr starken globalen Abschwung stehen und dass wir trotz der Weigerung der Kanzlerin und ihres Finanzministers um ein großes Konjunkturpaket wahrscheinlich nicht herumkommen werden, ohne in einer Depression zu versinken.
Wenn wir jetzt das gesamte Bankwesen garantieren und danach womöglich noch die Versicherungen und die so mächtig überschätzte Autoindustrie mit staatlichen Hilfen abfedern wollen, dann wird die Luft für ein Konjunkturpaket dünn. Das Problem ist nicht einmal der europäische Stabilitätspakt - hier werden diesmal alle nur denkbaren Ausnahmen zugelassen. Das Problem liegt in der langfristigen Solvenz unseres Staates.
Banken ohne Wert
Die von der Bundesregierung in Aussicht gestellten 500 Mrd. Euro entsprechen ungefähr 20 Prozent unseres Bruttoinlandprodukts. Das heißt, zumindest zeitweilig könnte die Schuldenquote von derzeit 63 Prozent auf rund 83 Prozent hochschnellen. Natürlich würde man später die teilverstaatlichten Banken wieder privatisieren, doch da wir uns jetzt einem ganz anderen Zeitalter für das globale Finanzsystem nähern, ist überhaupt nicht klar, ob wir uns da nicht etwas schönrechnen. Die meisten unserer 2003 Banken sind kaum etwas wert. Und selbst die wenigen soliden Banken werden weniger Gewinne einfahren und weniger Dividenden ausschütten als früher. Dass der Staat ein günstiges Geschäft machen wird, ist unwahrscheinlich. Ich würde hier jede sogenannten Investition als eine Ausgabe betrachten.
Eine weitere interessante Zahl: Die EU-Kommission schätzt, dass es in der Europäischen Union nur 44 systemisch wichtige Banken gibt. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass sich von diesen 44 Banken die meisten in Deutschland befinden, eher sind es vier oder fünf. Der britische Premier Gordon Brown hat schließlich auch nicht das gesamte britische Finanzsystem gerettet, sondern zunächst eine kleine Auswahl von acht Kandidaten getroffen, die der Staat zu rekapitalisieren bereit ist. So eine Auswahl hätten wir auch treffen müssen - die Zahl wäre größer als null, aber viel kleiner als 2003.
Als am Sonntagabend das Paket verabschiedet wurde, war ich zunächst verwirrt. Ich hatte erwartet, dass es eine explizite Garantie für den Geldmarkt geben würde, schließlich ist der in der vergangenen Woche vollkommen implodiert. Die Geldmarktsätze, an denen viele Hypotheken- und Unternehmenskredite hängen, sind viel zu hoch. Der Grund, warum es jetzt keine explizite Geldmarktversicherung gibt, wie viele Ökonomen sie zuvor gefordert haben liegt darin, dass man den gesamten Bankensektor total versichert. Sie ist also implizit da.
Ich hatte mir in meiner Naivität einfach nicht vorstellen können, dass die Regierungen so wahnsinnig sind, den gesamten Finanzmarkt zu garantieren. Ich hätte gedacht, die Versicherung würde sich auf Transaktionen im Geldmarkt beschränken, weil das viel billiger ist.
Eine derartige Versicherung hätte man auf europäischer Ebene ansiedeln oder ein sehr ausgeklügeltes System gegenseitiger Versicherungen wählen müssen. Aus der Tatsache, dass man mit einer Totalgarantie das gesamte Problem angeht, schließe ich, dass entweder die Solvenzsituation deutscher und anderer europäischer Banken weitaus schlimmer ist, als selbst ich mir das vorgestellt habe, oder dass die Mitgliedsstaaten der Euro-Zone auf Biegen und Brechen eine europäische Lösung vermeiden wollten. Letzteres würde bedeuten, dass Politiker aus reinem Machtinteresse die Lösung des Problems behindern.
Politische Machtinteressen zu hohem Preis
Die Belgier hatten recht auf dem Europagipfel: Die nationalen Rettungspläne werden nicht funktionieren. Anstatt alle zusammen etwas über 1800 Mrd. Euro auszugeben, wie die Financial Times akribisch nachgerechnet hat, wäre ein gesamteuropäisches Rettungspaket gleichzeitig billiger und effektiver. Selbst die USA, die schließlich noch ein größeres Problem haben als wir, geben weniger als die Hälfte aus. Das ist ein sehr hoher Preis für die Bewahrung politischer Machtinteressen.
Unsere Regierenden haben Angst, dass sie die Kontrolle über das Bankensystem verlieren, durch das sie eine Menge Macht ausüben. Für die Bewahrung dieser Interessen sind sie bereit, ein Vabanquespiel mit der staatlichen Solvenz und der Zukunft der gesamten Währungsunion zu wagen.
Die Gefahr würde akut, wenn der globale Bondmarkt crasht, womit ich fest rechne. Der Auslöser dafür wird ein von der US-Notenbank tolerierter Anstieg der US-Inflation nach Ende der Rezession sein. Selbst wenn wir Europäer da nicht mitmachen, würde der globale Bondmarkt von allein einbrechen. In diesem Fall würden wir teure Rettungsaktionen wie die von dieser Woche anders beurteilen. Dann hätten wir mit großem Erfolg ein privates Kreditproblem in ein globales Solvenzproblem transformiert. Wir wären dann an diesem Wochenende an einer Katastrophe vorbeigeschlittert, indem wir uns einer anderen Katastrophe genähert haben.
Wolfgang Münchau ist FTD- und FT-Kolumnist. Er leitet den Informationsdienst Eurointelligence.com.
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