G20: Der Bluff der Europäer
von Thomas Hanke
Wer hoch pokert, muss irgendwann seine Karten aufdecken. Wenn er Pech hat, kommt dann raus, dass er geblufft hat. So ähnlich könnte es diese Woche den Europäern und ihrem angeblich vorbildlich umfassenden Ansatz in Sachen reformierter Regulierung und Aufsicht der Finanzmärkte gehen.
Lange haben vor allem die Deutschen ihren britischen und amerikanischen Partnern vorgeworfen, sie stünden schon wieder auf der Bremse, wollten nicht alle wichtigen Akteure und Produkte auf dem Finanzmarkt kontrollieren und beim Gipfel der 20 wichtigsten Wirtschaftsmächte Donnerstag in London vor allem sinnlose Konjunkturballons aufblasen.
Doch je näher das Treffen rückt, desto mehr ändert sich das Bild. Die Briten haben bereits vor zwei Wochen detaillierte Pläne für eine verschärfte Aufsicht vorgelegt, die Amerikaner haben Ende letzter Woche nachgezogen. Die EU dagegen hat bisher nicht viel mehr produziert als den Vorschlag einer Arbeitsgruppe unter dem früheren französischen Spitzenbeamten Jacques de Larosière. Der wurde zwar vom Ministerrat als Diskussionsgrundlage akzeptiert, da es aber keinen anderen Vorschlag gibt, bedeutet das noch längst nicht, dass die Regierungen sich die Details des Papiers zu eigen machen.
Schlimmer ist, dass die Empfehlungen des Berichts an wichtigen Stellen etwas Schillerndes haben. Unser wackerer Peer Steinbrück hätte eigentlich wettern müssen, da seien die Weichspüler am Werke.
In Bezug auf die Hedge-Fonds etwa wird nur gefordert, ihre Manager sollten sich registrieren lassen und Informationen über ihre Strategie geben. Die US-Regierung will nach den Worten von Finanzminister Tim Geithner viel weiter: Sie hat die Absicht, den Fonds strenge Vorschriften für die Unterlegung mit Eigenkapital zu machen. Mit diesem Schritt nähme Washington den Fonds ihren großen Kredithebel aus der Hand. Nur ihm sind die hohen Gewinne in guten Zeiten zu verdanken, aber er macht sie auch zum systemischen Risiko, wenn etwas schiefgeht.
So weit trauen die Europäer sich nicht vor. In ihrem Entwurf - wenn man den de-Larosière-Bericht denn als solchen ansehen kann - wird auch nicht klar ausformuliert, wie die Alarm- und Aktionskette aus Warnung vor Risiken und staatlichem Handeln aussehen soll. Verblüffend offen schreiben die Autoren, dass Europa "ein konsistentes Krisenmanagement und geeignete Werkzeuge, die auf dem gesamten Binnenmarkt greifen, fehlen". Das stelle für die Europäische Union einen gravierenden Nachteil gegenüber den USA dar und solle dringend "durch geeignete Maßnahmen auf EU-Ebene" gelöst werden.
Selber anrühren wollen die Experten dieses heikle Thema aber leider nicht. Dabei geht es hier um den Kern der Krise, um Europas mangelnde Handlungsfähigkeit und den vor wenigen Wochen schmerzlich erlebten Rückfall in hektischen Aktionismus der einzelnen Mitgliedstaaten.
In der EU bestehen schon bei einer Schieflage, die nur ein Institut berührt, völlig unterschiedliche Rechtsauffassungen darüber, wer geschützt werden soll: Die Bank, sagt der eine Staat, die Gläubiger, der andere, die Steuerzahler, der dritte. Es gibt zwar EU-weit tätige Banken, aber keinen gemeinsamen regulatorischen und aufsichtsrechtlichen Standard. Von "gewissen Inkonsistenzen" spricht de Larosière höflich, man könnte es auch einfach sträfliches Staatsversagen nennen. Dieser Wirrwarr potenziert sich, wenn es um ein Problem geht, das den gesamten Markt betrifft: Europa verhält sich wie ein Flugzeug, das keinen Piloten hat, aber 27 Stewardessen. Einer Lösung ist die EU noch keinen Schritt näher gekommen. Dabei geht es hier nicht um technische Details, sondern um den Kern des politischen Skandals: Die Wut darüber, dass Einzelne aus persönlichem Gewinnstreben eine Krise auslösen können, die alle ausbaden müssen, macht sich mittlerweile auf den Straßen der europäischen Hauptstädte breit. Sie wird noch zunehmen, wenn die EU nicht einmal dafür sorgt, dass ein solches Desaster künftig ausgeschlossen ist.
Sicher, auch in den USA wird es noch Monate dauern, bis die groben Richtlinien des Finanzministers in echte operative Vorschriften und funktionierende Aufsichtsgremien gegossen sind. Geithner hat die Marschrichtung vorgegeben, nun kämpfen die einzelnen Institutionen wie Fed, SEC und FDIC darum, wer den größten Machtzuwachs erreicht.
Der Unterschied zwischen den USA und Europa besteht aber darin, dass Washington ein einzelner Akteur ist und den magnetischen Nordpol bildet, nach dem sich die meisten Marktteilnehmer ausrichten: weil Nordamerika der größte Finanzmarkt ist und weil es regulatorisch und aufsichtsrechtlich nicht unter der oben erwähnten Zersplitterung leidet, die das Handicap der EU bildet.
Diesen für Europa schwersten und gefährlichsten Nachteil kann der Londoner Gipfel nicht beheben. Die EU muss es schon selber machen. Insofern ist die Fixierung auf London überzogen. Über Erfolg oder Misserfolg mit Blick auf die Vermeidung künftiger Krisen entscheidet weniger der G20-Gipfel als die anschließende Beharrlichkeit der Staats- und Regierungschefs, die so schnell in die Welt gesetzten Schlagworte von "lückenloser Überwachung" in monatelanger, harter Arbeit mit detaillierten und praxistauglichen Vorschriften auszufüllen.
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Quelle: » Handelsblatt.com