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USA: Letzter Waggon im Konjunkturzug

von Frank Meyer
Fragen über Fragen: Ist Deflation wirklich das Thema? Und Gold eine Blase? Bleibt Amerika die Rolle der von China gejagten Maus und gibt es einen Angriff auf den Iran? Wohin entwickelt sich Europa? Und was ist von Aktien zu halten? Fragen, die ich Folker Hellmeyer von der Bremer Landesbank in einem Interview stellte...

„Die Deflation ist die größte Gefahr“, hört man von den Experten landauf, landab. Handelt es sich bei ihren Thesen wie so oft von Erwartungen, die dann wie so oft nicht eintreffen?
Ich sehe das deflationäre Thema als ein Thema der Vergangenheit an. Das Thema steht in Richtung Inflation auf der Agenda. Wir haben eine Situation, wo sich die Weltwirtschaft dynamisch erholt. Nach dem IWF, einer Nacherzählungs-Organisation, haben wir eine Wachstumsprognose von mittlerweile 4,6 Prozent weltweitem Wachstum. Das Thema Deflation und 4,6% Wachstum passen nicht ansatzweise zusammen. Darüber hinaus ist aus Gesprächen erkennbar, die ich mit großen Global Playern führe, dass der Lagerzyklus nach wie vor läuft, dass die Lager aber imer noch zu gering bestückt sind und dass der Investitionsgüterzyklus global homogen wieder anspringt . Vor dem Hintergrund zu gering bestückter Lager ergeben sich Preisüberwälzungsspielräume, die den Begriff Deflation gar nicht erst zulassen, sondern wenn, wir in den Überlegungen den Begriff Inflation forcieren müssen.
Es gibt in der Tat einen Aspekt, den man hier nicht von der Hand weisen kann: Die USA haben so viele strukturelle Probleme und auch ökonomische Schwäche, dass hier aus der amerikanischen Wirtschaft selbst heraus der inflationäre Druck zurückgehen sollte. Gleichwohl laufen 75 Prozent der Weltwirtschaft mit einem sehr hohen Tempo. Und das ist der überwiegende Teil, der eine nachhaltige Deflationsdebatte nicht zulässt.
Heißt das, dass man die Amerikaner aus den Überlegungen nach und nach ausklammern kann und wir auf einer „Insel der Glückseligkeit“ leben?
Lassen Sie mich das so darstellen: 50 Prozent der Weltwirtschaft sind die Schwellenländer. Sie wachsen mit sechs bis acht Prozent pro Jahr. Wir haben 25 Prozent der Weltwirtschaft dargestellt durch starke Industrienationen (Australien, Kanada, Bundesrepublik, Skandinavien, einige unter ihnen mit einem Wachstum von 1-3 Prozent. Und wir haben acht Prozent der Weltwirtschaft (Osteuropa und GB), die gerade neu konfiguriert werden in Sachen Nachhaltigkeit und erhöhtem Potentialwachstum. Sie bringen tatsächlich im Moment in der Summe auch noch einen positiven Wachstumsbeitrag. Dann kommen die USA mit 17-18% der Weltwirtschaft, mit großen Problemen, mit einer einer Kaufkraft-Burnrate, einem negativen Zins von zwei Prozent und Budgetdefiziten von 10%. Die USA sind das Problem per se . Aber die ziehen wir mit durch, mit den anderen 75% plus acht...
Man hört auf dem Parkett von Gerüchten, dass ein Teil des Geldes aus dem Bereich der Anleihen fließt – hin zu Sachwerten. Wie sehen Sie diesen Trend?
Das westliche Finanzsystem hat vom Zentrum aus immer noch riesige Probleme. Insofern ist die Frage, ob die Amerikaner ihr AAA bei den Staatsanleihen überhaupt noch verdienen. Die chinesische Ratingagentur sieht das ja auch etwas realistischer (schmunzelt). In dieser Unsicherheit macht es sicherlich grundsätzlich Sinn sich in Richtung von Realwerten zu orientieren als in Papier. Aber ich sage nicht, dass Anleihen durchgehend schlecht sind. Sehen Sie die Anleihen von Schwellenländern. Oder sehen Sie China mit 21% Staatsverschuldung. Oder nehmen Sie andere Schwellenländer. Sie können auch die Bundesrepublik Deutschland hinzu nehmen – die werden nicht kurzfristig pleite gehen. Ich halte es für angemessen, Amerika eindeutig unter zu gewichten – um das mal diplomatisch auszudrücken.
Gold scheint ebenfalls darauf hinzudeuten, dass es Umschichtungen gibt. Viele Experten reden von einer Goldblase, die in Kürze Platzen wird, wenn sie es nicht schon tut...
Ich sehe überhaupt keine Blase am Goldmarkt. Wenn man sich die Marktkapitalisierung des gesamten Goldmarktes anschaut, ist das mit Blick auf die anderen Anlageklassen nahezu zu vernachlässigen Ich sehe hier gar keine Blase. Wir haben hier überhaupt noch nicht die parabolische Endentwicklung, die bei einer Blase stattfindet. Wir haben bestenfalls smart money, das sukzessive in den letzten zehn Jahren in diesen Sektor hinein gegangen ist und das nicht in euphorischer Manier. Ich bleibe dabei, dass der Goldmarkt, bedingt dadurch, dass viel zu wenig in Exploration gesteckt wird, weiterhin von einem Überhang in der physischen Nachfrage gekennzeichnet sein wird. Die Produktion ist rückläufig. Die Schwellenländer, die meist sehr edelmetallaffin sind, China und Indien gehören dazu, werden verstärkt nachfragen. Vor diesem Hintergrund sind nachhaltige Preisrückgänge überhaupt nicht denkbar, sondern im Gegenteil: Es ist eine der sichersten Wetten auf die Zukunft, auf die nächsten 5-7 Jahre, dass es hier weiter zu nachhaltigen Anstiegen des Edelmetalls kommt. Und das gilt nicht nur für Gold, das gilt vor allem auch für Silber.

Gold - DAX - Vergleich (10 Jahre)

In der öffentlichen Diskussion werden Aktien als Sachwerte gehandelt. Man kann sich darüber streiten, wenn beispielsweise ein Unternehmen wie die Telekom Dutzende Milliarden Schulden vor sich her schiebt. Was taugt der Aktienmarkt im Moment?
Wenn Sie sich im Moment das Eigenkapital im S&P 500 anschauen, das mit 210 Prozent bewertet wird und das beim DAX mit 140 Prozent, dann wissen Sie, wo Sie einkaufen sollen. Also der DAX, der Eurostoxx und auch der japanische Aktienmarkt sind derzeit günstig. Das sind übrigens alles Global Player, die von der Weltwirtschaft profitieren. Die USA sind derzeit nicht günstig. Aktien sind Realwerte. Man muss darüber hinaus aber auch schauen, dass man sich Werte aussucht, die von der Bilanzstruktur her gesund sind und Geschäftsmodelle haben, die zukunftsfähig sein. Aber die Aktien sind für mich in dieser Bewegung ganz klar ein Kauf.

Vergleich DAX (rot) - Stoxx50 (gelb) - 3 Jahre

Wir haben eine sehr sehr solide Aufwärtsbewegung der Konjunktur, die länger tragen wird, als die meisten meiner Kollegen erwarten. Der Lagerzyklus ist nicht abgearbeitet. Der Investitionsgüterzyklus kommt als ein großer Zyklus darüber hinaus jetzt verstärkt in den Markt hinein. Und die Skepsis, die von vielen meiner Kollegen in den Vordergrund gestellt wird, teile ich nicht ansatzweise. Die ökonomische Entwicklung für exportstarke Länder wird sehr sehr gut sein. Für die Schwellenländer wird es weiter gut sein. Amerika wird dem Ganzen hinterher laufen. Amerika ist nicht die Konjunkturlokomotive – Amerika ist der letzte Waggon des Konjunkturzuges.
Schaut Amerika dabei einfach zu oder sollte man in seine Überlegungen einfließen lassen, dass die USA ihre Macht und den Anspruch darauf anderweitig durchzusetzen versucht?
Lassen Sie mich das Geschäftsmodell USA anschauen, bevor ich auf die Frage antworte: Um in Amerika überhaupt etwas an ökonomischer Stabilität zu generieren, benötigt man zehn Prozent Budgetdefizit und zwei Prozent real negative Zinsen, also 12 Prozent . Und die USA sind in der Finanzierung vom Rest der Welt wesentlich mit abhängig. Heute ist Amerika aufgrund dessen, dass man sich militärisch sowohl in Afghanistan als auch im Irak schon überproportional engagiert und damit an sich den Zenit seiner Macht überschritten hat, für mich nicht in der Lage, eine neue Eskalationsstufe mit hoher Präsenz beispielsweise im Iran herunter zu brechen. Das heißt nicht, dass sie vielleicht Atomanlagen angreifen, aber das Risiko-Chance-Verhältnis aus so einer Aktion heraus wäre für die USA in meinen Augen eindeutig negativ belegt. Das war übrigens das auch, was die alte Bush-Administration am Ende davon abgehalten hat.
Seit wenigen Jahren schaut die Finanzwelt mehr und mehr nach China. Wer hat vor kurzer Zeit noch auf den chinesischen Markt geschaut oder gar auf Wirtschaftsdaten. Heute spricht man größtenteils von einem Boom und einer Blase, vor allem im Immobilienmarkt. Teilen Sie die Auffassungen der Mehrheit?
Lassen Sie mich mit der Blasenbildung anfangen. Für mich gibt es keine Blasenbildung. In China ist das Minimum, wenn Sie eine Immobilie erwerben, ein Eigenkapital von 30 Prozent mitbringen muss. Etwas Vergleichbares, wie man es in Spanien, Irland, Frankreich oder den USA gesehen haben – mit kreativer heißer Nadel genäht – so etwas gibt es dort gar nicht. Es gibt Sparquoten von 30 bis 40 Prozent. Das ist das andere Phänomen. Und das bedeutet nichts anderes, als dass China individuelle Schocks durch eine niedrige Bewertung von Hypotheken viel besser wegstecken kann, ohne dass der Wirtschaftszyklus gefährdet wird. Das ist die erste Antwort.
China außenpolitisch ist ein zweites Thema. Wir müssen hier diskutieren, dass die außenpolitische Macht latent weiter zunimmt und dass der Einfluss im Nahen und Mittleren Osten deutlich ausgeweitet wird - dass die Allianz zwischen Russland, Neu-Delhi, Brasilia und Peking ausgebaut wird. China ist ein wachsender Stern am politischen Himmel. Die USA sind genau das Gegenteil.
Heißt das, dass die Amerikaner die Maus und die Chinesen die Katz sind?
Soweit will ich noch nicht gehen, aber die Tendenz geht in diese Richtung.
Welchen Zeitraum sehen Sie?
Da möchte ich mich ungern festlegen. Aber nehmen wir mal an, China wächst weiter mit neun Prozent über die nächsten zehn Jahre. Dann wird China die größte Wirtschaftsnation der Welt mit Abstand sein. Und finanzökonomischer Macht folgt i m m e r politische Macht.
Schauen wir auf Europa und die Eurozone. Nichts als Ärger gab es dort in den lezten Wochen. Jetzt hat sich die Lage durch das 750 Milliarden schwere Bankenrettungsprogramm etwas beruhigt. Wie sehen Sie die ganze Sache?
Die Eurozone muss darauf achten, dass sie die Statur, die sie derzeit hat, auch hält, und dass sie darüber hinaus über eine Innovationspolitik den Wohlstand, der hier aufgebaut worden ist, verteidigt. Europa wird ebenso wie die USA in der politischen Bedeutung in der Tendenz eher rückläufig sein. Das bedeutet aber nicht, dass wir deswegen nicht mehr Wohlstand haben müssen – wenn wir smart sind. (schmunzelt)
War das ein politisches Statement?
Es ist sicherlich nicht aus der Demographie ablesbar. Europa gehört mit zu den fertilsten und ökonomisch entwickeltsten Gebieten, was Infrastruktur anbetrifft. Wir werden hier nicht zu einer Sahelzone der Wirtschaft. Wir haben hier ein sehr hohes Niveau an Know How. Es liegt an uns, das Bildungsbürgertum wieder zu fördern. Wenn wir das machen und wenn wir da auf dem richtigen Weg sind, war das kein politisch korrektes Argument, sondern eines, hinter dem ich stehe. Aber es bedarf vieler Hausaufgaben, die gemacht werden müssen. Und das gilt gerade für die Bildungspolitik als auch für die Wirtschaftspolitik

Wir bräuchten also eine neue Regierung?
In Europa grundsätzlich schon, weil die Egoismen von gestern die Zukunft der Eurozone oder Europas gefährden können. Wir brauchen ein größeres europäisches Verständnis. Gerade die Probleme, die mir jetzt gerade in Südeuropa hatten zeigen, dass das Bewusstsein dafür das ist, dass man bereit ist dort zu agieren. Die Diskussion über die Wirtschaftsregierung geht in die richtige Richtung. Vor dem Hintergrund bleibe ich grundsätzlich leicht optimistisch, was Europa anbetrifft.
Viele Euroland-Skeptiker sehen Europa politisch auf keinem guten Weg. Sie befürchten, dass sich die Demokratie über eine Demokratur hin zu einer zur Diktatur entwickelt. Ist dem so?
Wenn China als eine Diktatur zu einer größeren Machtentfaltung kommt im Laufe der nächsten zehn Jahre – und das steht auf der Agenda – und auch andere Emerging Markets-Länder beispielsweise Russland, die mit der Westminister-Demokratie weniger zu tun haben, dann wird in der Tat auch eine Auswirkung auf die westlichen Demokratien in der Form stattfinden - dass die Demokratie des Verständnisses der 70er Jahre in der Zukunft weniger Platz hat.

Dieser Bericht wurde nicht geprüft. Für Richtigkeit der Angaben übernimmt Silbernews.at keine Haftung.
Quelle: » Frank-Meyer.eu