Retter und Reaktionäre
Die Konturen einer neuen politischen und gesellschaftlichen Weltordnung treten immer stärker hervor. Die amerikanische Tea-Party-Bewegung sieht in Präsident Obama denjenigen, der den „amerikanischen Traum gestohlen hat“. Die Bewegung ist stark reaktionär. Reaktionär bedeutet die Forderung nach einer „Einsetzung in den vorherigen Stand“. Man möchte das Amerika der Gründerväter zurück.
Ich zitiere den US-Analysten Brian Wesbury: „Die US-Verfassung war entscheidend für den Freiheitsprozess Amerikas. Die Verfassung etablierte ein neues Land mit geschützten Eigentumsrechten. Die Unabhängigkeitserklärung trägt das unabänderbare Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück in sich. Dort steht auch, dass immer dann, wenn eine Regierung diesen Rechten gegenüber destruktiv agiert, es das Recht des Volkes ist, die Absichten der Regierung zu ändern oder eine neue Regierung einzusetzen.“ Aufruf zur Revolte? Immer mehr Amerikaner fühlen und denken so.
Hayeks Buch „Der Weg zur Knechtschaft“ ist die Bibel der Tea-Party-Bewegung. Dort begründet Hayek unter dem Einfluss des zweiten Weltkriegs, warum der Sozialismus - einschließlich des Nationalsozialismus - zwangsläufig im Widerspruch zu liberalen Individualrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien steht. Der US-Kongressabgeordnete Ron Paul hat dieses Werk in jungen Jahren verschlungen, seither ist er ein glühender „Austrian“, ein Verfechter der österreichischen Schule für Nationalökonomie. Wurde Ron Paul jahrzehntelang belächelt und von den amerikanischen Medien und Mitabgeordneten nicht ernst genommen, so steht er seit Beginn der Finanzkrise im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die Bevölkerung liebt ihn, weil er für das aufrechte und ursprüngliche Amerika steht. Paul stellt einen Politiker dar, der sich nie hat verbiegen lassen, einer „vom alten Schrot und Korn“.
Oswald Spengler schreibt in seinem kurz nach dem ersten Weltkrieg erschienen Hauptwerk „Der Untergang des Abendlandes“ über die Endphase der Demokratie: „Durch das Geld vernichtet sich die Demokratie selbst, nachdem das Geld den Geist vernichtet hat“. Und weiter: „Endlich erwacht eine tiefe Sehnsucht nach allem, was noch von alten, edlen Traditionen lebt. Man ist der Geldwirtschaft müde bis zum Ekel. Man hofft auf eine Erlösung irgendwoher, auf einen echten Ton von Ehre und Ritterlichkeit.“ Spengler sieht in einer solchen Entwicklung Anzeichen für einen Endkampf zwischen Demokratie und „Cäsarismus“. Cäsarismus bedeutet die Herrschaft einer charismatischen Einzelperson, die vom Willen des Volkes getragen wird (Wir hatten so etwas in Deutschland bekanntermaßen schon). Wir sollten uns jedoch hüten, mit dem Seitenblick auf das Deutschland der 1930er Jahre die Augen vor den Entwicklungen in Amerika zu verschließen. Auch in Amerika kam es in den 1930er Jahren zu einer langen Herrschaft einer charismatischen Einzelperson (Roosevelt), die vom Volk getragen wurde. Es ist sonnenklar, dass ein Versagen der „Geldwirtschaft“ – um nichts anderes handelt es sich – Veränderungen auch im „Mindset“ der Bevölkerung nach sich ziehen (wie schon in den 1930er Jahren).
Ob jetzt Ron Paul oder - weniger schön - Sara Palin oder jemand drittes zur charismatischen Einzelperson erhoben wird: Tendenzen in diese Richtung sind vorhanden. Diese Person bekommt möglicherweise eine vom Volk legitimierte Macht, die dem Idealbild eine freundlichen Tyrannen gleichkommt. Bei einem freundlichen Tyrannen würde das Volk einiges erdulden, damit Amerika wieder in Ordnung kommt. Das Volk würde einer solchen Person – auch deren Macht wäre durch die amerikanische Verfassung begrenzt – Spielraum geben, die Werte der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung wiederherzustellen. In die Lücke, die die gescheiterte Finanzwirtschaft gerissen hat, könnten die Austrians gehen, wenn sie es denn geschickt anstellen.
Zeigt Amerika als einziges Land eine Beharrung auf alten Werten? Selbstverständlich nicht. Man betrachte die Roma-Politik der Franzosen, die Sarrazin-Debatte in Deutschland oder auch den Widerstand gegen die Umsetzung von Stuttgart 21 (wobei Stuttgart 21 längst für mehr als die Verhinderung eines Bahnhofsbaus steht). Nicht nur in den USA, sondern auch in Europa wächst der Wunsch nach Ruhe und Beharrung. Man lässt sich sein Land nicht mehr kaputtmachen, man konserviert es. Man glaubt weder Bankern noch Politikern, man nimmt die Sache zunehmend selbst in die Hand. Die Partei der Grünen steht für den Erhalt der Umwelt, sie steht für Wertkonservativismus. Der grünen Partei kommt zugute, dass sie schon immer nach außen diese Werte vertreten hat. Man denke auch an Brasilien, wo eine grüne Präsidentschaftskandidatin bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen einen Überraschungserfolg erzielt hat. Ausbeutungen und Zerstörungen im Amazonasbecken sind vielen Brasilianern ein Dorn im Auge.
Weltweit existiert ein Hang zum Wert-Konservativismus.
In dieser Analyse der weltweiten Strömungen darf China nicht fehlen. China hat in dieser Phase einen großen Vorteil. Anders als die schwächelnden Regierungen der Industriestaaten, die genug mit sich selbst zu tun haben, kann das bevölkerungsreichste Land der Welt in aller Ruhe seiner Agenda folgen. Da es in den Augen des Volkes die chinesische Regierung ist, die dem Land seit zwanzig Jahren unablässig mehr Wohlstand zuführt, lässt man sie als „freundliche Tyrannen“ gewähren. Erfolg deckt viele Probleme zu, Erfolg macht selbstbewusst und wer Erfolg hat, strebt nach dem ihm gebührenden Platz in der Weltordnung. Das war im Falle der USA nach dem zweiten Weltkrieg nicht anders. Die Agenda der chinesischen Regierung dürfte in erster Linie einer Absicherungsstrategie folgen. Das bedeutet die Sicherung des Zugriffs auf Rohstoffe genauso wie die Sicherung von Arbeitsplätzen. China macht aktuell das, was schon unter dem chinesischen Admiral und Seefahrer Zheng He Usus war: Handel mit fernen Ländern. Der legendäre Investor und Spekulant Jim Rogers war dieser Entwicklung voraus: Er hat von Anfang an viel Wert darauf gelegt, dass seine kleine Tochter Mandarin lernt.
Zwischenfazit: China kann derzeit recht einfach die Schwächen nutzen, die sich bei den alten Industriestaaten auftun. In diesem Zusammenhang könnte die Meldung, dass Russland darüber nachdenkt, Mitglied der Nato zu werden, einen Sinn bekommen. Die immer offensichtlicher werdende Größe und Bedeutung Chinas dürfte Moskau nicht kalt lassen.
Oswald Spengler stellte fest, dass „der Kredit eines Landes in unserer Kultur auf seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und deren politischer Organisation beruht.“ „Je schlechter ein Kredit“, so Spengler, „desto höher steht das Gold“. Mit anderen Worten: Sinkt die Kreditwürdigkeit eines Staates und gerät deren politische Organisation unter Druck, steigt der Goldpreis in Landeswährung. Eine solche Entwicklung ist derzeit insbesondere für den US-Dollar zu beobachten.
Wiegt man die wirtschaftliche Leistung eines Staates (wie z.B. die USA) in Gold auf, so entsteht der folgende Chart. Wir stellen das US-BIP in Mrd. Dollar pro Feinunze Gold dar.
Der Chart zeigt anschaulich die Entwicklung der Wertigkeit der US-Wirtschaft im Verlaufe der vergangenen 80 Jahre. Man erkennt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika um das Jahr 2000 herum ihren wirtschaftlichen Höhepunkt erreichten. Seither hat sich der “Wert“ der USA auf nur noch 31 Prozent seines 2000er-Wertes reduziert.
Man fragt sich unwillkürlich: Sind die USA jetzt billig zu haben? Kommt ein Übernahmeangebot der Chinesen? Man erinnert sich, dass es die Japaner waren, die in den 1980er Jahren massiv in den amerikanischen Geschäftsimmobilienmarkt investierten. Die USA sind sicher eine Nummer zu groß, aber immerhin zeigen sich die Chinesen jetzt als „Retter Griechenlands“ und kaufen deren Staatsanleihen. Griechenland scheint für die Chinesen preiswert genug geworden zu sein: Das Land soll als Chinas Brückenkopf nach Europa ausgebaut werden. Wir sind gespannt, ob und wie sich die eher eigennützige griechische Mentalität mit einer zumindest erzieherisch auf Gemeinnutz ausgerichteten chinesischen Mentalität vertragen wird.
Staaten unterscheiden sich nicht großartig von Unternehmen: Je tiefer der Wert eines Staates/ Unternehmens sinkt, desto eher spüren Wettbewerber oder Finanzinvestoren die Chance, sich in den Staat/ in das Unternehmen hineinzukaufen oder es ganz zu übernehmen. Nachhaltige Übernahmegedanken kommen jedoch erst, wenn die potentiellen Investoren glauben, dass ein Boden gefunden wurde. Dies erscheint im Falle Griechenlands möglich, im Falle der USA noch nicht. In solchen Zeiten steigt die Wahrscheinlichkeit der Einflussnahme/ Übernahme durch Außenstehende.
Es ist ja nicht so, dass die hohe Staatsverschuldung ein globales Problem ist. Der Anteil der öffentlichen Verschuldung am BIP liegt in weiten Teilen Südamerikas, Afrikas, Asiens und auch in Australien und Neuseeland deutlich unter 50 Prozent. Da besteht überhaupt kein Handlungsbedarf. Japan, die USA und viele europäische Staaten verlieren hingegen derart an Wert, dass sie bald jedes trojanische Pferd annehmen werden, das man ihnen vor das Holztor schiebt. Die Griechen haben es bereits getan, obwohl sie es eigentlich besser wissen müssen: Sie waren es, die das trojanische Pferd – in dessen Bauch sich griechische Soldaten versteckten - vor die Tore Trojas schoben. Sie waren es, die Troja mit diesem Trick einnehmen konnten.
Weder Mises noch Hayek haben den Aufschwung Chinas zu einer wirtschaftlichen Großmacht verfolgen können bzw. dies in ihren Theorien berücksichtigen können. Da kommt ein planwirtschaftlich organisierter Staat (allerdings nur mit einer Staatsquote von 21 Prozent!) und greift massiv ins Wirtschaftsgeschehen ein. Dieses Land verfügt obendrein durch seine ständigen Handelsbilanzüberschüsse über Devisenreserven wie kein zweiter Staat auf der Welt.
China ist durchaus Willens und in der Lage, den alten Industrienationen unter die Arme zu greifen. Die chinesischen Devisenreserven betragen 2,5 Billionen US-Dollar, angestiegen von lediglich 500 Milliarden US-Dollar im Jahr 2004.
Das bedeutet, dass sich die Handlungsoptionen Chinas in den vergangenen sechs Jahren erheblich vergrößert haben. China hätte genug Power, seine Währungsreserven in Euro von aktuell 26 Prozent zu erhöhen und damit den Euro zu stützen. Die Währungsreserven in Euro könnte man effizient erhöhen, indem man z.B. über den liquiden Markt der deutschen Staatsanleihen agiert. So kauft man sich in Europa ein, genauso wie China in erheblichem Maße US-Schuldentitel gezeichnet hat (China besitzt US-Anleihen im Wert von 850 Mrd. US-Dollar). Indem man europäischen Staatsanleihen kauft, hält man die Zinsen niedrig. Man könnte – wenn man es wollte – sein Engagement in US-Staatsanleihen noch stärker zurückfahren. In diesem Fall wäre Fed-Chef Bernanke genötigt, über den geplanten Erwerb von US-Anleihen im Wert von 500 Mrd. US-Dollar hinaus die Druckmaschine noch deutlicher anzuwerfen. Europa hingegen könnte länger in den Genuss niedriger Zinsen kommen, um so den Zahltag für die Staatsverschuldung noch ein wenig hinausschieben zu können.
Was sagen uns die Finanzmärkte? Gold und Silber steigen. Betrachten wir es umgekehrt: Die Volkswirtschaften der alten Industrienationen verlieren gegenüber Gold und Silber an Wert. Derzeit lässt sich dies insbesondere von der amerikanischen Volkswirtschaft behaupten. Die Bewertung Eurolands und der Schweiz bleibt derzeit gegenüber Gold und Silber neutral. Amerika und Großbritannien sind die einzigen Länder, die momentan erfolgreich die Strategie der Währungsabwertung durchsetzen können. Großbritannien dürfte – bei einer verhältnismäßig hohen Inflationsrate von mehr als 3 Prozent – noch vor den USA in eine Inflationsspirale geraten. Vorausgesetzt, die Pfund-Abwertung setzt sich fort. Für Euroland ist eine solche Spirale derzeit nicht erkennbar.
Fazit: Die Gesellschaftsordnungen verändern sich. So wie es in der Renaissance („Wiedergeburt“) zu einer Rückbesinnung auf die Antike kam und in der Phase der Restauration (1815 – 1830; direkt nach dem Wiener Kongress) zu einer Rückbesinnung auf die Zeit vor der französischen Revolution, so zeichnet sich jetzt erneut der Beginn eines reaktionären, konservativen, die guten alten Werte beschwörenden Zeitalters ab. Die Menschen haben die Probleme in der Finanzwirtschaft satt. Wer kann schon noch das Wort HRE hören? Wie viele Milliarden Euro müssen dort noch hineingeschoben werden?
Auch wenn es penetrant klingt und wir bereits in unserem Jahresausblick darauf hingewiesen haben, dass die zweite Dekade eines Jahrhunderts häufig eine Dekade der Neuordnung war – wie der Wiener Kongress im Jahr 1814/15 – so wiederholen wir es an dieser Stelle: Es wird eine politische Lösung des Problems der Staatsverschuldung geben. Das klingt möglicherweise unspannender als eine Hyperinflation oder eine große Depression. Die Politiker – und auch die Völker – wollen weder das eine noch das andere. Es wird ein Punkt kommen, an dem sie eine völlige Neuordnung der Finanzwirtschaft einfordern werden, ob im Sinne der Austrians („Free Markets, Free Money, Free Banking“) oder im Sinne eines mehr an China orientierten Modells, dürfte Verhandlungssache sein.
Besser man verhandelt jetzt – noch steht ja z.B. Deutschland vergleichsweise gut da – als später, wenn nur noch einer die Bedingungen diktiert: China. Es ist die Aufgabe der Politiker – nicht diejenige der Finanzwirtschaft – dem Lebensstand der Bevölkerung keinen oder nur einen minimalen Schaden zuzufügen. Auch wenn wir den Politikern momentan so gut wie gar nichts mehr zutrauen: Eine echte Alternative zur einer weltweiten Verhandlungslösung unter zu Hilfenahme von Währungsschnitten und Zwangsentschuldung bzw. Gläubigerverzicht gibt es nicht. Gesucht wird der Fürst Metternich der zweiten Dekade des einundzwanzigsten Jahrhunderts.
Verfolgen Sie die Entwicklung der Finanzmärkte in unserer handelstäglich erscheinenden Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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Quelle: » Wellenreiter-invest.de