Portugal und weitere Auffälligkeiten
Sonntag, 29. Januar 2012, 15:02
Die Aktienmärkte legen - im Vorfeld des Facebook-Börsengangs - deutlich zu. Ist das der „Real Deal“? Oder gibt es Anzeichen für eine sich abschwächende wirtschaftliche Situation? Der IFO-Index signalisiert für Deutschland zum dritten Mal hintereinander steigende Werte. Eine solche Entwicklung ist positiv. Entscheidend für die weitere Entwicklung an den Aktienmärkten dürfte die konjunkturelle Entwicklung in den USA sein.
In den vergangenen Monaten waren die Analysten in ihren Einschätzungen der Konjunk-turindikatoren regelmäßig zu negativ eingestellt. Dies zeigt der so genannte „Economic Surprise Index“ der Citigroup.
Jetzt, da die Zahl der Überraschungen ein positives Extrem erreicht hat, dürften sich die positiven Überraschungen sukzessive reduzieren. Mit anderen Worten: Die Aktienmärkte haben positive Überraschungen eingepreist. Keine oder gar negative Überraschungen dürften sich an den Aktienmärkten in Korrekturform bemerkbar machen.
Die aktuelle Divergenz zwischen der Entwicklung der Aktienmärkte und der Entwicklung der Anleihenrenditen fällt auf.
Normalerweise unterstützen steigende Renditen (fallende Anleihen) die Aktienmärkte: Kapital wird aus den Anleihen in Aktien umgeschichtet. Dies ist momentan nicht der Fall. Die Aktienmärkte schaffen den Anstieg allein. Entweder ist genügend Liquidität vorhanden, um sowohl die Aktien- als auch die Anleihenmärkte steigen zu lassen, oder einer der beiden Märkte hat „unrecht“. Die bullish eingestellten Marktteilnehmer vermuten, dass die steigenden Aktienmärkte die Renditen demnächst nach oben ziehen werden. Diejenigen, die auf wieder fallende Aktienmärkte setzen, vermuten, dass die Renditen die Markteintwicklung korrekt anzeigen.
Ein Blick auf die Zinsstruktur zeigt eine flacher werdende Kurve.
Die Rendite für fünfjährige US-Anleihen ist am Freitag auf ein neues 60-Jahres-Tief gefallen. Eine sich abflachende Zinsstrukturkurve – man vergleiche den aktuellen Verlauf mit demjenigen vor einem Jahr - ist üblicherweise ein Zeichen einer sich abkühlenden wirtschaftlichen Entwicklung. Die amerikanische Zentralbank verstärkt durch ihre verbale Festschreibung der Nullzinspolitik bis Ende 2014 den Bedarf der Banken, Versicherungen und Pensionskassen, sich den aktuellen Zinsspread zwischen kurzem und langem Ende zu sichern, bevor er noch weiter zusammenschrumpft. Die Probleme von Versicherungen und Pensionskassen im Hinblick auf Rendite dürften sich verschärfen. Abhilfe könnte ein Engagement in anderen Märkten schaffen. Doch eine Bereitschaft dieser Institutionen, sich beispielsweise verstärkt an den Aktienmärkten zu engagieren, ist nicht erkennbar (man beachte das trotz steigender Kurse niedrige Handelsvolumen!)
Ein weiterer konjunktureller Negativ-Faktor ist die Entwicklung des Baltic Dry Index, ein Index für das Niveau der weltweiten Schiffsfrachtraten.
Der Schiffsbau leidet unter Überkapazitäten. Die Frachtkapazität steigt derzeit stärker an als das tatsächlich gefahrene Frachtvolumen. Ein stark steigendes Angebot steht einer nur moderat steigenden Nachfrage gegenüber: Die Preise fallen. Ökonomisch ergeben sich zwei Seiten einer Medaille. Für die Branche selbst (die Reeder) ist eine solche Entwicklung fatal. Die Gewinne brechen ein, Investitionen werden gestoppt, der Bau neuer Schiffe wird auf Eis gelegt oder verschoben. Erst wenn Angebot und Nachfrage im Einklang stehen, können die Preise wieder steigen. Für das weltweit operierende Business ist dieser Prozess zunächst positiv. Denn weniger Transportkosten bedeuten eine höhere Marge bei sonst unveränderten Parametern. Der Baltic Dry Index ist immer dann ein guter vorauslaufender Indikator, wenn eine fallende Nachfrage die Schiffsfrachtraten fallen lässt. In diesem Fall ist überwiegend das steigende Angebot für fallende Raten verantwortlich. Andererseits: Ein Fall von 2.200 auf 726 Punkte innerhalb von vier Monaten erscheint groß genug, um dahinter die eine oder andere negative Überraschung vermuten zu können. Möglicherweise steckt nicht nur das steigende Frachtangebot dahinter, sondern eine sich stärker als erwartet verlangsamende Nachfrage. Und das wiederum wäre ein Hinweis auf eine sich verstärkende konjunkturelle Abkühlung.
Zuletzt noch die Beobachtung, dass sich der Frühindikator des Economic Cycle Research Institutes (ECRI) einfach nicht verbessern will. Der Spread zwischen diesem Indikator und der Entwicklung des amerikanischen Aktienmarktes hat sich auf ein in den letzten 15 Jahren nicht gekanntes Niveau ausgeweitet.
Auch hier stellt sich die Frage, wie diese Spanne nivelliert werden wird. Entweder fallen die Aktienmärkte oder der ECRI steigt (oder beides geschieht). Das ECRI geht weiterhin von einer US-Rezession in diesem Jahr aus. Geschähe dies, so müsste sich der Dow Jones Index dem ECRI-Index nähern und nicht umgekehrt.
In diesem Prozess existieren zwei „Wild-Cards“. Die eine dürfte der Iran sein, der gedroht hat, die Straße von Hormuz zu blockieren. Durch diese Straße werden 20% des weltweit vermarkteten Öls transportiert. Der Ölpreis verhält sich derzeit nicht so, als ob diese Bedrohung akut wäre.
Anders ist es im Falle der zweiten „Wild-Card“. Diese betrifft die Einschätzung der Händler im Hinblick auf die Solvenz Portugals. Der Chart zeigt folgendes: Als der Spread zwischen der Rendite 10jähriger griechischer Staatsanleihen und der Rendite 10jähriger Bundesanleihen die 15-Prozentpunkte-Marke überschritt, war das Schicksal Griechenlands im Hinblick auf den „Default“ besiegelt. Der Rendite-Spread stieg anschließend schnell auf das aktuelle Niveau an.
Wir nehmen an, dass eine Überschreitung der 15-Prozent-Marke des Spreads portugiesischer Staatsanleihen zu Bundesanleihen eine ähnliche Wirkung entfalten würde. Von dieser Marke ist der Spread nicht mehr weit entfernt.
Fazit: Größer als jetzt können die positiven ökonomischen Überraschungen kaum mehr werden. Die Renditen sollten bei steigenden Aktienmärkten anziehen. Sie tun dies aber nicht. Der Baltic Dry Index fällt stark. Auch wenn dieser Fall Angebotsinduziert scheint: Aufgrund des starken Rückgangs kann man vermuten, dass eine Nachfrageschwäche nicht ausgeschlossen ist. Dies wiederum würde auf eine sich abschwächende Konjunktur hindeuten. Ähnliches gilt für die wachsende Spanne zwischen Dow Jones Index und ECRI-Index. Und schließlich sehen die Händler die Solvenz Portugals sehr kritisch. Der Name „Portugal“ dürfte in den kommenden Wochen häufiger in den Medien zu lesen sein, möglicherweise häufiger als der Name „Griechenland“. Eine Insolvenz Portugals mit dem Zwang zur Abwicklung wäre eine negative, an den Märkten nicht eingepreiste Überraschung.
Facebook kann viel. Aber kann ein Facebook-Börsengang „die Welt retten?“ Wohl kaum. Verfolgen Sie die Entwicklung der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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Quelle: » Wellenreiter-invest.de