Inflation: Ein Flächenbrand in den USA
Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) kämpft zunehmend aussichtslos gegen einen Flächenbrand an. Nach den aggressiven Zinssenkungen der vergangenen Monate würde jeder weitere Schritt nach unten die Inflation ausufern lassen. Ein unkalkulierbares Risiko – nicht nur für die USA.
NEW YORK. Will die Fed die fortschreitende Geldentwertung aber hartnäckig über Zinserhöhungen bekämpfen, würgt sie den ohnehin stotternden Konjunkturmotor in der größten Volkswirtschaft der Welt endgültig ab. Dann drohte die nächste Welle von Kreditausfällen, ein womöglich noch schlimmeres Beben im Bankensektor – und die hartnäckige Finanzkrise begänne von vorn.
So gesehen ist die erste Zinspause seit Beginn der Subprime-Milliardenverluste nicht nur ein erwarteter, sondern auch logischer Schritt. Sie zeigt deutlich die Grenzen der Finanzpolitik in Krisensituationen auf: Bei der Fed arbeiten keine Magier, sondern Menschen – auch wenn viele auf dem Höhepunkt des Greenspan-Hypes an geradezu übermenschliche Kräfte glaubten.
Was der eine Mensch zusammengebraut hat (Stichwort „billiges Geld“), muss der andere Jahre später ausbaden. Greenspan-Nachfolger Ben Bernanke kann – das dürfte bald mehrheitsfähig sein – weder die US-Konjunktur retten noch das Inflationsgespenst vertreiben. Der Chef einer Notenbank hat einen Instrumentenkasten, aus dem sich Bernanke in den vergangenen Monaten hastig und reichlich bedient hat. Jetzt ist der Kasten leer – und der Spielraum der Fed weitgehend ausgeschöpft.
Bernanke wird viele Reden halten in den nächsten Wochen und Monaten, aber mit Blick auf weitere Zinsschritte wenig handeln. Er wird nach der spektakulären Rettungsaktion um Bear Stearns vor allem gegen den Ruf ankämpfen, ein lustiger Kumpane der großen Investmentbanken zu sein – auch um zu verhindern, dass allzu gierige Kräfte der Wall Street den nächsten künstlichen Boom erzeugen und am Morgen nach der Party aufs Neue Alarm rufen. Die Begehrlichkeiten sind groß nach dem turbulenten Kredit-Festival im Bankensektor, und sie werden mit Blick auf die Schieflage der US-Konjunktur und ihre zusehends ohnmächtigen Verbraucher nicht kleiner.
Wem soll die Notenbank als Nächstes Geld leihen, nachdem sie den Investmentbanken gegenüber jetzt so großzügig ist? Einer großen US-Fluggesellschaft vielleicht, von denen ein halbes Dutzend geradewegs dem nächsten Konkursverfahren zusteuert? Der krisengeplagten Autoindustrie rund um Detroit, die ihre schweren Geländewagen nicht mehr vom Hof bekommt und Monat für Monat Milliarden verbrennt?
Gewiss: Die Fed hatte in den vergangenen Monaten zu Recht die gefährlichen Spielereien des Bankensektors im Auge, um einen drohenden Kollaps des gesamten Finanzsystems abzuwenden. Sie muss auch in Zukunft dafür Sorge tragen, dass der Zusammenbruch einer großen Bank keinen verheerenden Dominoeffekt quer über die Kontinente auslöst – zur Not über strengere Regeln.
Mit seinen aggressiven Leitzinssenkungen bis auf zwei Prozent und dem schwindsüchtigen Dollarkurs als direkte Folge hat Bernanke freilich einen gefährlichen Brandherd an anderer Stelle vernachlässigt. Die Inflationssorgen werden mit jedem Monat größer, die Preise steigen in vielen Bereichen rasant: Unternehmen stöhnen über dramatische Kostensteigerungen beim Einkauf von Rohstoffen.
US-Verbraucher – viele von ihnen hoch verschuldet – stehen kopfschüttelnd vor Tanksäulen und Supermarktregalen, weil selbst Grundnahrungsmittel wie Reis, Brot und Milch im Monatstakt teurer werden. Die Produzentenpreise sind im Mai per Jahresfrist um mehr als sieben Prozent gestiegen. Derweil ist das Verbrauchervertrauen in den Staaten zu Wochenbeginn auf den niedrigsten Stand seit 16 Jahren abgesackt. Sommerurlaube nach Paris, Milano oder Munich werden verschoben oder gestrichen, weil der Dollar nichts mehr hergibt.
Damit muss sich Bernanke vorwerfen lassen, eine zentrale Hausaufgabe der Notenbank nicht erledigt zu haben: Preise und Währung stabil zu halten. Die jüngsten Erklärungen zum Ende der Zinssenkungen in den USA sind eindeutig: Die Risiken hinsichtlich der Inflation bewertet die Fed mit einem Mal sichtbar höher als die Sorge davor, dass die US-Wirtschaft ins Minus abdriften könnte.
Der nächste Schritt der Notenbank, das ist leicht herauszulesen, dürfte eine Zinserhöhung sein – selbst auf die Gefahr hin, dass der neue US-Präsident im November als erste Amtshandlung die Rezession ausrufen muss. Ein Blick in die Geschichtsbücher lehrt, dass stabile Preise eine wichtige Voraussetzung sind für kontrolliertes und stetiges Wachstum. Die USA sind auf einem anderen Weg.
Quelle: www.handelsblatt.com