Steinbrück sieht Staatsverschuldung steigen
10. Dezember 2008
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Pendlerpauschale ersetzt nach Angaben von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) keinesfalls Überlegungen über weitere Konjunkturhilfen. Die Karlsruher Entscheidung habe mit der Debatte um ein mögliches zweites Konjunkturpaket nichts zu tun, sagte Steinbrück am Dienstagabend. Nach Ansicht von Haushaltspolitikern aus SPD und CDU ist der Spielraum für weitere Konjunkturimpulse nach dem Richterspruch jedoch weitgehend ausgeschöpft.
Während Linke-Chef Oskar Lafontaine für ein Kilometergeld für alle eintrat, forderte der frühere bayerische Finanzminister Erwin Huber eine Erhöhung der Pendlerpauschale. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Abschaffung der alten Pendlerpauschale am Dienstag für verfassungswidrig erklärt. Nun gilt zunächst wieder die frühere Pauschale ab dem ersten Entfernungskilometer.
Staatsverschuldung steigt
Steinbrück machte derweil klar, dass die Staatsverschuldung durch das Urteil steigen werde. Die Gerichtsentscheidung sei deshalb keine gute Nachricht für nachfolgende Generationen. Der Staat werde trotzdem nicht versuchen, das Geld über Umwege von den Bürgern zurückzuholen. Die Regierung werde sich „ohne schuldhaftes Zögern“ mit einer Neuregelung befassen, kündigte er an, „und wir werden es nicht abhängig machen davon, dass die Legislaturperiode zu Ende ist“. Laut Steinbrück gibt es nach dem Urteil mit den bereits beschlossenen Maßnahmen ein Konjunkturpaket in Höhe von 38 Milliarden Euro in 2009 und 2010. Ob weitere konjunkturelle Maßnahmen ergriffen werden, werde „in der nötigen Sorgfalt“ im kommenden Jahr entschieden. Die Entscheidung der Richter hat den Spielraum für weitere Konjunkturimpulse nach Einschätzung der Haushaltspolitiker der großen Koalition jedoch bereits weitgehend ausgeschöpft.
„Diese Entscheidung schließt größere Steuerreformen mit Nettoentlastungen auf absehbare Zeit aus“, sagte der SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider.“ Schneiders CDU-Kollege Steffen Kampeter sagte, die Koalition müsse nun weitere Belastungen der öffentlichen Haushalte vermeiden.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung zur Pendlerpauschale immerhin ein kleines Konjunkturprogramm ausgelöst. Steinbrück und Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) teilten mit, sie würden die Finanzämter anweisen, zu viel gezahlte Steuern zügig zu erstatten. Die Steuerausfälle von 7,5 Milliarden Euro für die Jahre 2007 bis 2009 wollen sie - anders als früher bekundet - nicht durch Steuerrechtsverschärfungen an anderer Stelle ausgleichen.
Man wolle in der aktuellen, schwerwiegenden Krise einen konjunkturpolitischen Impuls geben. „Wie eine künftige Neuregelung der Pendlerpauschale ab dem Veranlagungszeitraum 2010 aussehen wird, wird die Bundesregierung zur gegebenen Zeit entscheiden.“
Kanzlerin Merkel: „Richtige Antwort“
Die Beibehaltung der alten Pendlerpauschale ist nach Ansicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel „die richtige Antwort auf die jetzige Wirtschaftssituation“. „Ich halte es für absolut richtig, das wir das Geld angesichts der Wirtschaftslage jetzt den Menschen direkt zurückgeben“, sagte Frau Merkel nach den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen in Warschau.
Auch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) begrüßte die Wiedereinführung der Pendlerpauschale als einen „ersten steuerlichen Konjunkturimpuls“. Die Nettoentlastung von 7,5 Milliarden Euro für die Jahre 2007 bis 2009 komme für die Arbeitnehmer „in diesen schwierigen Zeiten gerade recht“, erklärte Glos in Berlin. Er begrüße deshalb die Ankündigung des Bundesfinanzministeriums, die Entlastung ungeschmälert wirken zu lassen und damit „einen ersten, steuerlichen Konjunkturimpuls zum 1. Januar 2009 zu verwirklichen“.
Sarrazin: Das war absehbar
Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor die Abschaffung der Entfernungspauschale für die ersten 20 Kilometer rückwirkend aufgehoben. Spitzenverbände der Wirtschaft, Autoindustrie, Gewerkschaften und Bauernverband begrüßten die Entscheidung. Umweltverbände forderten hingegen, die Pendlerpauschale ganz abzuschaffen.
Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) sagte der F.A.Z., es sei absehbar gewesen, dass eine steuerliche Ungleichbehandlung unterschiedlicher Pendelstrecken unter dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz bedenklich war. „Jetzt rächt sich, dass dem Bundesgesetzgeber 2006 der Mut gefehlt hat, auf die Pendlerpauschale gänzlich zu verzichten.“ Dann wäre dem Bund die jetzige Blamage vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Gesamtstaat die mit der Entscheidung verbundenen erheblichen Mindereinnahmen erspart geblieben.
Keine Ausgleichsmaßnahmen für Steuerausfälle
In einer gemeinsamen Mitteilung des Bundesfinanzministeriums und der hessischen Landesregierung heißt es, das Verfassungsgericht habe sich „leider nicht“ der Rechtsauffassung von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat angeschlossen. Diese betonen: „Auch wenn wir diese Entscheidung für falsch und ihre nachteiligen Konsequenzen für die Reformfähigkeit unseres Landes für noch nicht absehbar halten, ist sie selbstverständlich für unser politisches Handeln bindend.“
Die Bundesregierung werde keine Maßnahmen ergreifen, um die mit der Umsetzung des Urteils einhergehenden Steuerausfälle von insgesamt rund 7,5 Milliarden Euro für die Jahre 2007 bis 2009 an anderer Stelle einzusparen, heißt es in der Mitteilung weiter. Der Verzicht auf eine Gegenfinanzierung bis Ende 2009 solle der „Stärkung der Konjunktur“ dienen. Wie eine künftige Neuregelung der Pendlerpauschale vom Veranlagungszeitraum 2010 an aussehen werde, werde die Bundesregierung „zur gegebenen Zeit entscheiden“
Steinbrück sagte in Berlin, es solle die notwendige Zeit gegeben werden, um eine solide Entscheidung zu treffen und auch andere Aspekte, etwa ökologische, zu berücksichtigen. Er verwies darauf, dass die Abschaffung der Pendlerpauschale durchaus verfassungskonform gewesen wäre, allerdings nicht die Härtefallregelung.
Seehofer: „Volle Bestätigung für die CSU“
Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sagte in München: „Das ist ein guter Tag für die Arbeitnehmer und eine volle Bestätigung für die CSU.“ Das Bundesverfassungsgericht habe die politische Forderung der CSU zur Pendlerpauschale eindrucksvoll juristisch bestätigt. Seehofer verband seine Freude mit einem Seitenhieb auf die CDU: „Wir wollten mit unserem Vorstoß für die ungekürzte Pendlerpauschale nicht nur auf die höheren Energiepreise reagieren, sondern auch ganz offen eine Fehlentscheidung aus dem Jahr 2005 korrigieren. Es ist höchst bedauerlich, dass Politik in wichtigen Grundsatzfragen erst auf Gerichte wartet, anstatt selber aktiv zu werden und zu gestalten.
Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) begrüßte das Urteil. „Fahrten zur Arbeit sind rein berufliche Fahrten und sollten deshalb steuerlich abgesetzt werden können“, sagte Präsident Gerd Landsberg. „In einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft ist hohe Mobilität der Arbeitnehmer ein unverzichtbarer Standortvorteil.“ Dem müsse der Staat Rechnung tragen. Die deutschen Automobilclubs lobten, dadurch werde die steuerliche Belastung der Berufspendler verringert. „Die Pendler in Deutschland können aufatmen.“ ADAC-Vizepräsident Ulrich Klaus Becker sagte: „Jetzt ist die Politik am Zuge. Das Gericht hat heute die Voraussetzungen geschaffen, dass endlich die Benachteiligungen der Berufspendler aufhören und langfristig Steuergerechtigkeit herrschen kann.“ Wegen gestiegener Mobilitätskosten sprach sich der ADAC zudem für eine Erhöhung der Pendlerpauschale aus.
„Nützlich für Durchschnittsverdiener“
Auch der Auto Club Europa (ACE) zeigte sich erfreut. „Das Karlsruher Urteil korrigiert nicht nur eine höchst zweifelhafte Steuergesetzgebung, sie verschafft den Berufspendlern auch eine gewisse Entlastung“, sagte der ACE-Vorsitzende Wolfgang Rose. „Jetzt kommt es darauf an, dass die Entscheidung des obersten Gerichts in ihrem materiellen Gehalt nicht politisch unterlaufen wird. Damit würde das allgemeine Rechtsempfinden schwer gestört.“
Die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung in Sachsen-Anhalt teilte mit: „Dies wird vor allem den Durchschnittsverdienern nützen, die in ländlichen Räumen wohnen und zur Arbeit in die Mittel- und Oberzentren im Land fahren müssen.“ Es gewinne die gesellschaftliche Mittelschicht, die zum Teil für geringe Löhne arbeite und jeden Cent gut gebrauchen könne.
BUND: „Ökologisch fatal“
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) dagegen kritisierte die Wiedereinführung der Pendlerpauschale als „ökologisch fatal und sozial ungerecht“. Die Richter hätten weder die ökologischen noch die finanziellen Auswirkungen einer solchen Entscheidung berücksichtigt, schrieb die Umweltschutzorganisation. Mit einer Wiedereinführung werde nicht nur der Flächenverbrauch angekurbelt; sozial ungerecht sei außerdem, „dass das Finanzamt Besserverdienern pro Entfernungskilometer rund das Dreifache“ erstatte wie Geringverdienern. Alle Anstrengungen für eine neue Siedlungs- und Verkehrspolitik würden mit der Wiederkehr der alten Pendlerpauschale einen herben Rückschlag erleiden, sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger.
Der Kölner Steuerrechtler Joachim Lang begrüßte die Entscheidung: „Das Urteil reicht weit über die Regelung der Pendlerpauschale hinaus. Dem Steuergesetzgeber wird nachdrücklich klar gemacht, dass er mit den Prinzipien der Steuergerechtigkeit nicht beliebig hantieren darf, um den Bürger abzukassieren“, sagte Lang der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“. Das Bundesverfassungsgericht habe das Nettoprinzip, nach dem Erwerbsaufwendungen abziehbar sein müssen, gegen fiskalische Beraubung des Bürgers verteidigt, lobte Lang.
Der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel nannte das Urteil eine „Pleite für den Finanzminister, aber einen Erfolg für die Steuergerechtigkeit“. Es sei eine „Sternstunde für das Verfassungsgericht“.
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