Als 9/11 die Finanzwelt erschütterte
von Notker Blechner
Mit doppeltem Schaudern werden sich viele Börsianer an den 11. September 2001 erinnern, denn sie waren menschlich und finanziell betroffen. Dax und Dow Jones erlebten einen der schlimmsten Kursstürze in der Geschichte.
Früh am Morgen des 11. September 2001 war die Welt in New York noch in Ordnung. Eine halbe Stunde vor Handelsbeginn richtete man sich an der Wall Street auf einen freundlichen Börsentag ein. Die Futures lagen im Plus. Doch dann kam alles ganz anders. Es geschah etwas, was sich keiner bis dato hatte vorstellen können und was bis heute tief in der Erinnerung von Millionen Menschen bleibt. Um 8.46 Uhr New Yorker Zeit raste ein voll besetztes Flugzeug von American Airlines in den 411 Meter hohen Turm des World Trade Centers (WTC). Zunächst glaubten viele noch an ein Unglück, als bereits ein zweites Flugzeug in den Zwillingsturm des WTC stürzte. Ein riesiger Feuerball bildete sich. Eine Milliarde Zuschauer an den Fernsehbildschirmen verfolgte live und fassungslos, wie nach und nach das Gebäude in sich zusammen fiel. Der Welt stockte der Atem. Das Wirtschaftsleben kam zum Erliegen. Auf der Internationalen Automobil-Ausstellung IAA in Frankfurt waren die Autos plötzlich nur noch Nebensache. Die Eröffnungsfeier wurde abgesagt.
Schnell wurde klar: Die Terrorattacken auf das World Trade Center waren nicht nur ein Anschlag auf New York und die USA, sondern auch auf das Herz der Finanzmärkte. In beiden Türmen arbeiteten zahlreiche Wertpapierhändler und Analysten.
Panik an den Aktienmärkten
Die Börsen reagierten entsetzt. Weltweit brachen die Kurse ein. Der Dax krachte um rund zehn Prozent nach unten und verlor rund 500 Punkte. Das sei mehr als ein Crash, meinte ein Händler.
Vor allem Aktien von Versicherern und Fluggesellschaften gerieten heftig unter Druck. Die Titel der Allianz sackten um 17 Prozent ab, die Papiere des Rückversicherers Münchener Rück büßten 25 Prozent ein.
Davon profitierten kaltblütige Zocker, die auf fallende Kurse gesetzt hatten. Sie hatten sich rechtzeitig Aktien von Versicherern und Rückversichern geliehen, um sie dann gleich wieder zu verkaufen.
Short-Seller Bin Laden?
Auch bei den Aktien von American Airlines und United Airlines, mit deren Maschinen die Selbstmordattentate durchgeführt wurden, wurde ein reger Handel kurz vor den Anschlägen beobachtet. "Sieht so aus, als hätten irgendwelche Leute von den bevorstehenden Attentaten gewusst und auf fallende Kurse gesetzt", meinte ein Frankfurter Broker entsetzt. Doch die Ermittlungen liefen ins Leere. Bis heute haben die Börsenaufsichten nicht herausgefunden, ob das Netzwerk des Drahtziehers der Terroranschläge, Osama Bin Laden, mit perversen Börsenspekulationen Kasse gemacht hat.
Immer lauter wurden Stimmen, die ein Aussetzen des Börsenhandels forderten. Doch die Deutsche Börse, die Londoner Börse und die Euronext blieben hart und entschieden, die Märkte offen zu halten. Man dürfe den Terror nicht triumphieren lassen, rechtfertigte sich die Deutsche Börse trotzig. Dann aber musste der Handel in Frankfurt doch für kurze Zeit gestoppt werden. Bei der Deutschen Börse ging am Abend eine Bombendrohung ein. Das Gebäude musste geräumt werden. Am Ende war es nur falscher Alarm.
Vier Tage kein Handel an der Wall Street
An der Wall Street hingegen wurde der Handel am 11. September gar nicht erst begonnen - und für den Rest der Woche ausgesetzt. Erst am Montag, den 17. September, wurde der Börsenhandel wieder aufgenommen. Der Dow Jones brach um mehr als sieben Prozent ein. Binnen einer Woche rutschte der Dow auf den Stand von Oktober 1998. Über eine Billion Dollar an Börsenwert wurde vernichtet. Dass es nicht noch mehr wurde, verdankten die US-Börsen den "patriotischen Investoren". "Lasst uns unsere Feinde mit den Waffen des Markts bekämpfen, ordert Aktien, bis die Leitungen glühen", hatte im Vorfeld ein Börsenreporter die TV-Zuschauer aufgerufen. Selbst US-Milliardär Warren Buffett zeigte sich solidarisch und versprach im Fernsehen, keine Aktien zu verkaufen. Einen stärkeren Kursrutsch verhinderte auch die US-Notenbank Fed, die eine Stunde vor Wiederöffnung der US-Börsen den Leitzins von 3,5 auf 3,0 Prozent senkte.
Die einzigen Aktien, die unmittelbar nach den Terroranschlägen deutlich nach oben kletterten, waren die Titel von Rüstungs- und Sicherheitstechnik-Firmen. Am Tag als die US-Börsen wiedereröffneten, sprang die Aktie des Langstrecken-Raketen-Herstellers um 25 Prozent in die Höhe. Rüstungsfirmen hofften auf eine Terror-Dividende nach dem 11. September 2001.
Erst die Bilanzskandale trieben den Dow nach unten
Eine Mischung aus Patriotismus und Schnäppchenjagd sorgte in den folgenden Wochen für eine Erholung der Aktienkurse. Zahlreiche Investmentbanken und Konzerne wie Intel, Pepsi und Disney stützten mit dem Rückkauf eigener Papiere den Markt. Dass der Dow Jones wenige Monate später dann eine lange Talfahrt erlebte, hatte andere Gründe: die Bilanzskandale von Enron, Worldcom & Co.