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Regeländerung mitten im Spiel

Von Steffen Uttich

05. Juli 2008 Der Plan war kühn, die Durchführung konsequent: Auf dem Höhepunkt ihrer Spekulation im Jahr 1980 nannten die Hunt-Brüder Nelson Bunker und William Herbert über die Hälfte der amerikanischen Vorräte an Silber ihr eigen - das entsprach zur damaligen Zeit 15 Prozent der weltweiten Vorräte. 6,6 Milliarden Dollar hatten sie sich die Kontrolle über den Preis für das Edelmetall kosten lassen und schienen ihn tatsächlich nach Belieben bewegen zu können. Nur mit einer Sache hatten sie nicht gerechnet: Dass während des Spiels die Spielregeln geändert werden könnten. Das brachte ihr kühnes Vorhaben letztlich zum Einsturz.
Als Sprösslinge der texanischen Wirtschaftslegende Haroldson Lafayette Hunt wuchsen Nelson und William auf. Ihr Vater hatte den sprichwörtlichen Sprung vom Tellerwäscher zum Milliardär geschafft. In jungen Jahren zog er als Holzfäller und Pokerspieler durchs Land. Eines Tages, so geht die Legende, gewann er im Spiel eine wertvolle Ölkonzession. Es war der Einstieg in ein Geschäft, das seinen Wagemut belohnte und ihn zu einem der reichsten Männer Amerikas machte.

Aufbruch in neue Dimensionen
Zunächst versuchten Nelson und William Hunt, in die Fußstapfen des Patriarchen zu treten und an den Erfolg im Ölgeschäft anzuknüpfen. Doch vor allem Nelson schien im Laufe der Zeit immer mehr die Aussicht zu locken, aus dem Schatten des berühmten Seniors herauszutreten. Schließlich hatte der ihn lange Zeit als Versager abgestempelt. Öl blieb zwar die wichtigste Einnahmequelle der Familie. Silber war es aber, das den Aufbruch in ganz neue Dimensionen verhieß.
Anfang der siebziger Jahre traten die Hunt-Brüder mit Nelson als treibender Kraft erstmals sichtbar als Käufer am Silbermarkt auf - ein enger Markt, von Produktionsdefiziten geprägt, dem aber in Zeiten hoher Inflation eine zunehmende monetäre Rolle des Edelmetalls angehängt werden konnte. Trotzdem hinterließ der erste Versuch keine große Wirkung. Erst beim zweiten Anlauf ab Mitte der siebziger Jahre wagten sie es, das ganz große Rad zu drehen - nach dem Tod des Familienpatriarchen.

Der Silberpreis verzehnfacht sich
Die gewünschte Eigendynamik entfaltete sich spürbar ab 1978. Von weniger als 5 Dollar für eine Unze Silber ging der Preis über 16 Dollar im Jahr 1979 in immer schnellerer Geschwindigkeit auf die 50 Dollar zu. Das Vorgehen der Hunts war dabei ungewöhnlich für spekulativ orientierte Anleger. Sie erwarben nicht nur das Silber auf dem Papier, sondern ließen sich das Edelmetall auch liefern. Die Geschichte machte die Runde von einem Nelson Hunt, der vor drei Boeing 707 auf dem Rollfeld des New Yorker Flughafens steht - vollbeladen mit über 1000 Tonnen Silber, die er auf den Weg in die Schweiz schickt.
Mit diesem ungewöhnlichen Vorgehen wurde die angestrebte Knappheit auf jeden Fall spürbar und fand nicht nur in irgendwelchen Handelsbüchern statt. Die Vorräte für Silber gingen zur Neige. Es kam zu Lieferproblemen. Zu spüren bekamen dies besonders hart die großen amerikanischen Warenterminbörsen in Chicago und New York, denen es immer schwerer fiel, ihre Lieferverpflichtungen zu erfüllen. Rund um den Jahreswechsel 1979/80 wurde die Lage aus ihrer Sicht immer bedrohlicher. Ein Handel in geordneten Bahnen schien nicht mehr möglich zu sein. Der Preis stieg auf unglaubliche 50 Dollar.

Rohstoffbörse in New York zieht die Reißleine
Schließlich platzte den Verantwortlichen der New Yorker Rohstoffbörse Comex der Kragen. Die Situation wurde als so ausweglos empfunden, dass sie in ihrer Not am 21. Januar 1980 zu einer ungewöhnlichen, bis dahin noch nie gesehenen Maßnahme griffen: Sie verboten schlicht den Kauf von Silber in größeren Mengen. Von diesem Tag an waren nur noch Verkäufe erlaubt. Gleichzeitig erhöhten sie drastisch die geforderten Sicherheitseinlagen auf Terminkontrakte für Silber.
Bis heute ist dieses Vorgehen umstritten. Auf jeden Fall brachte die Änderung der Spielregeln aber das Spekulationsgebilde der Hunt-Brüder unweigerlich zum Einsturz. Der Preis für eine Unze Silber fiel innerhalb kürzester Zeit auf 11 Dollar zurück. Ende März 1980 waren die Hunts nicht mehr in der Lage, ihren Nachschussverpflichtungen nachzukommen. Alle ausstehenden Terminkontrakte wurden daraufhin liquidiert. Das große Rad, das sie drehten, fuhr sich fest.

Viele spekulierten auf Pump
Dass das darauffolgende Beben nicht auf den überschaubaren Silbermarkt beschränkt blieb, sondern auf sämtliche Kapitalmärkte ausstrahlte, kam gleichwohl überraschend. Mit den Hunt-Brüdern waren viele Trittbrettfahrer unterwegs gewesen, die ihre Silberkäufe nicht selten mit Krediten finanziert hatten. Als ihnen mit den fallenden Kursen das Geld knapp wurde, schwappte die Krise auf die anderen Märkte über. Besonders sichtbar wurde dies am Aktienmarkt, wo die Kurse im Frühjahr 1980 in den Keller rauschten.
Tatsächlich sah es wochenlang so aus, als ob führende amerikanische Brokerhäuser in den Ruin schlittern könnten. Schließlich fühlte sich auch der Chef der amerikanischen Notenbank Paul Volcker zum Eingreifen genötigt. Um die Märkte wieder zu beruhigen, bemühte er sich um das Zustandekommen eines langfristigen Kredits über 1,1 Milliarden Dollar an die Hunt-Brüder, damit diese ihren Zahlungsverpflichtungen weiter nachkommen konnten. „Eine Milliarde Dollar ist auch nicht mehr das, was sie einmal war“, lautet eine Bemerkung von Nelson Hunt aus dieser Zeit.

Die Hunt-Brüder widersprechen ihren Kritikern
Die Auslöser der Silberspekulation selbst bestreiten hartnäckig, dass sie den Markt manipulieren wollten. Nelson Hunt sprach vielmehr davon, dass er sich gegen die galoppierende Geldentwertung in den siebziger Jahren schützen wollte. Gleichwohl versuchte er kurz vor dem Ausbruch der Krise 1980 in mehreren Interviews, den Silberpreis nach oben zu reden. Von bedeutenden Käufern aus Arabien raunte er. Von einer zwischenzeitlichen Korrektur, die sich später einmal als günstige Kaufgelegenheit herausstellen werde. Gefragt nach der Menge an Silber, dass er eigentlich besitze, blieb er ebenfalls im Ungefähren: „Über das eigene Geld zu reden ist nicht nur schlechtes Benehmen, sondern bringt auch Pech.“ Die Zurückhaltung hat ihm trotzdem nichts genützt.
Vor dem Hintergrund des Debakels der Hunt-Brüder konnte die amerikanische Notenbank mit Volcker an der Spitze ihre Lieblingsrolle als zuverlässige Feuerwehr für die Finanzmärkte spielen. Der Flächenbrand an der Wall Street war rasch eingedämmt. Nur der Silberpreis bewegte sich unentwegt weiter abwärts in die Richtung, aus der er Mitte der siebziger Jahre gekommen war. Die Akteure an den Finanzmärkten sind seither jedenfalls gewarnt, es mit dem Versuch von Preismanipulationen nicht zu weit zu treiben. Ein Markt lässt sich langfristig nicht unter Kontrolle bringen, so eng er auch sein mag.

1985 verkauften die Hunts ihre letzte Position
Wird eine Schmerzgrenze überschritten, werden Kräfte freigesetzt, die sich zuvor nicht einmal ansatzweise erahnen lassen. Die Finanzkrise im Frühjahr 1980 wurde bewusst herbeigeführt, um die Funktionsfähigkeit des Silbermarktes zu gewährleisten. Das war die Schmerzgrenze, die die Hunt-Brüdern übersehen hatten. Ungewöhnliche Umstände rufen nach ungewöhnlichen Maßnahmen.
1985 verkauften die Hunt-Brüder ihre letzte Silber-Position. Es folgte ein Flut von Schadensersatzklagen.
1988 wurden sie von einem Bundesgericht in New York zur Zahlung von 130 Millionen Dollar an eine Handelsfirma aus Peru verurteilt. In diesem Verfahren ist eine „Verschwörung zur Monopolisierung des Silbermarktes“ festgestellt worden. Nelson und William mussten sich sogar sagen lassen, sie hätten Gangstermethoden angewandt. Ein Jahr später folgte die Bankrotterklärung. Von einem geschätzten Vermögen über 10 Milliarden Dollar Ende der siebziger Jahre blieben letztlich etwa 3 Millionen Dollar übrig. Seither widmen sich die Hunt-Brüder in aller gebotenen Zurückhaltung dem Geschäft, dass die Familie wohl doch am besten versteht - dem Öl.

Quelle: http://www.faz.net